Der Weg durch die Mauern
Die St.-Gangulf-Kapelle wird in den nächsten Jahren für rund eine Million Franken restauriert
Das älteste Gebäude des Bezirks Einsiedeln – die Gangulfkapelle in Einsiedeln – wird in den nächsten Jahren restauriert. Bei einer Ortsbegehung ist zu sehen, wo der Sakralbau baufällig geworden ist. Die geplante Restaurierung hat übrigens einen entscheidenden Clou.
WOLFGANG HOLZ
Der Anblick mutet kurios an: Wer den kolorierten Holzschnitt anno 1577 aus der graphischen Sammlung der Zentralbibliothek Zürich betrachtet, auf dem Teile des Klosters Einsiedeln wie aus einem Hubschrauber zu sehen sind, der staunt erst mal ungläubig.
Durch eine Tür der Kapelle «S Gangulf.» – wie das rotgraue Häuschen auf der Karte bezeichnet ist –, führt auf der einen Seite ein brauner Weg hinein, der auf der Rückseite des Gebäudes wieder herauskommt. Auf dem Weg marschieren in bunten Gewändern mehrere Personen – alles Pilger – über die Brüelwiese Richtung Kloster. Eine Figur ist sogar auf einem Pferd zu erspähen. Ob er vor der Kirche abgestiegen ist?
Durch die Kapelle durch
Konkret heisst das: Vor mehreren hundert Jahren führte der St.Jakobs-Pilgerweg schnurstracks durch die St.-Gangulf-Kapelle – wo Pilger kurz innehalten und beten konnten –, bevor die Gläubigen dann die letzten rund 700 Meter bis zum Kloster Einsiedeln auf sich nahmen. Die Kapelle St. Gangulf war quasi ein Tor zum Kloster und letzte Wegstation. Und dieses Tor soll sich auch wieder an der Kapelle öffnen – wenn der Sakralbau restauriert wird. Sprich: Der alte Pilgerweg soll wieder «durch» die Kapelle führen.
«Einige der jungen Mönche im Kloster Einsiedeln wollen, dass die St.-Gangulf-Kapelle wieder öffentlich wird, und dass der alte Jakobs-Pilgerweg vom Etzel wieder durch die Kapelle und danach auf der linken Seite der Etzelstrasse zum Kloster geführt wird», sagt Heino von Prondzynski, Präsident der Vereinigung der Freunde des Klosters Einsiedeln und damit seit zwei Wochen auch Präsident des neuen Abt-Eberhard-Gönnerkreises (AEGK) – einem neuen Zirkel von Spendern, der ins Leben gerufen wurde, um dem Kloster bei der grossen Anzahl an anstehenden Projekten finanziell und ideell zu helfen (siehe Box).
Unter diesen Projekten figuriert auch die Restaurierung der St-Gangulf-Kapelle. «Wir wollen die Kapelle auf jeden Fall restaurieren – angedacht ist 2023/2024, allerdings abhängig von der starken Auslastung der Klosterwerkstätten.» Ein fränkischer Edelmann
Das älteste Gebäude des Bezirks Einsiedeln, das 1031 unter Abt Emrich gebaut wurde, soll also wieder zu neuem Leben erwachen. Dabei muss die Kapelle, die in ihren Massen der alten Gnadenkapelle entspricht, allerdings von Grund auf saniert werden: Dach, Wände, Türen und Sandsteinmauern.
Denn das Kirchlein auf der Brüelwiese, das dem einst Wunder wirkenden fränkischen Edelmann Herzog Gangolf von Varennes, der um 760 den Tod gefunden hat, gewidmet ist, hat historisch einiges auf dem Buckel. Und das harte, schneereiche Klima von Einsiedeln hat in dem Gemäuer seine Spuren hinterlassen. 1798 wurde die Kapelle von den französischen Truppen sogar beschädigt. 1814 erfolgte dann eine umfassende Restaurierung, bei der an der Westfassade eine klassizistische Vorhalle angebaut wurde. 1942–44 fanden archäologische Untersuchungen statt, bei denen die Kapelle in den vermeintlich «mittelalterlichen » Zustand zurückversetzt wurde, allerdings ohne die Vorhalle anzugehen.
Kirche meist geschlossen Heutzutage wird in der Kirche, die meist das ganze Jahr geschlossen ist, nur noch am Gedenktag des heiligen Gangulf am 11. Mai eine Eucharistiefeier gefeiert. Ganz selten findet auch mal ein Familiengottesdienst dort statt. Dass die Gangulf- Kapelle bei Einsiedlern einen hohen Stellenwert besitzt, kann man schon nach kaum fünf Minuten feststellen.
Nachdem Prondzynski die Tür zur Kapelle für eine kurze Ortsbesichtigung aufgeschlossen hat, streckt plötzlich eine Einsiedlerin den Kopf zur Türe herein und fragt neugierig und überrascht: «Kann man denn die Kapelle nun öffentlich besichtigen? » Sie sei in der Nachbarschaft aufgewachsen, aber noch kein einziges Mal in der Kapelle St. Gangulf gewesen. Prondzynski weiss aus Gesprächen, dass viele Bewohner in der Nachbarschaft das Kirchlein als ihre Kirche ansehen.
In dem schlicht eingerichteten Kirchlein, wo hinter dem Altar durch zwei schöne Glasfenster mit den Motiven des heiligen Gangulf und des heiligen Laurentius die Sonne blau ins Innere leuchtet, werden schnell die Baumängel sichtbar.
Wände sind verblichen. Der Farbputz ist an vielen Stellen abgeplatzt. Risse ziehen sich durchs Mauerwerk. Viele Kacheln des mehrere hundert Jahre alten, wunderschön bunt gefliesten Majolika- Bodens vor dem Altar sind völlig «blind» und durchgetreten. «Die Original-Mauern, fast tausend Jahre alt, sind an vielen Stellen von der Feuchtigkeit zernagt und müssen komplett restauriert werden», so von Prondzynski. Die Kosten der Sanierung belaufen sich deshalb auf rund eine Million Franken. «Geld, das uns aus dem Umfeld des AEGK bereits zugesagt worden ist», so der Präsident der Freunde des Klosters. Allerdings gebe es im Augenblick für die Klosterwerkstätten noch andere bauliche Prioritäten – die Fertigstellung des Klosterplatzes etwa und die Sanierung des Gästebereichs im Kloster.
Dicke Spinnweben
Draussen und drinnen sind übrigens die Türen, durch die einst die Pilger durch die Kapelle schritten, um zur Stiftskirche und zur Schwarzen Madonna zu gelangen, noch zu erkennen. An der Nordfassade hängen dicke Spinnweben um die verschlossene Holztür mit Vordach. Und auf der Südfassade ist der Torbogen der Tür solide zugemauert – mit dem Hinweis auf die letzte Sanierung, die bekanntlich 1944 abgeschlossen wurde. Seitdem steht die Gangulf- Kapelle übrigens auch unter Denkmalschutz.
Diese Restaurierung war unter der Leitung des berühmten Einsiedler Kunsthistorikers Linus Birchler durchgeführt worden – der ja in der Kapelle begraben wurde. Er würde sich sicher über die nun komplette Restaurierung des historischen Kleinods auf der Brüelwiese freuen.
«Die Original-Mauern, fast tausend Jahre alt, sind an vielen Stellen von der Feuchtigkeit zernagt und müssen komplett restauriert werden.»
Heino von Prondzynski, Präsident der Vereinigung der Freunde des Klosters Einsiedeln
Nach der Restaurierung sollen Pilger wieder durch die jetzt zugemauerte Tür an der Südfassade auf ihrem Weg Richtung Kloster schreiten. Das klassizistische Portal an der Westfassade stammt von 1814.
Wie ein Eingangstor zum Kloster: So funktionierte die St. Gangulf-Kapelle auf dem kolorierten Holzschnitt anno 1577. Graphik: zvg
Der heilige Laurentius und der heilige Gangulf sind auf dem Glasfenster abgebildet.
Fotos: Wolfgang Holz
Geschlossene Tür an der Nordfassade: hier kommen Pilger rein.
Heino von Prondzynski deutet auf allfällige Baumängel in der Kapelle hin.