«Wir sind die gleichen Menschen wie Fussgänger»
Seit Herbst letzten Jahres herrscht Baustopp über dem «Platz im Platz», weil sich das Kloster Einsiedeln, die Denkmalpflege und der Bezirk Einsiedeln uneinig sind über die Pflästerung. Nun gibt es ein neues Gutachten. Was sagt Werner Ruch, Rollstuhlfahrer und Initiant der IG Hindernisfreier Klosterplatz Einsiedeln, dazu?
WOLFGANG HOLZ
Wer Werner Ruch zum ersten Mal begegnet, spürt sofort, was für ein Kämpfer in ihm steckt. Nachdem der 64-Jährige mit seinem Rollstuhl neulich bei strahlendem Sonnenschein die südliche Begrenzung des neuen Klosterplatzes in Einsiedeln umkurvt hat und schliesslich auf dem mit Kies bedeckten «Platz im Platz» ankommt, zeigt er sich völlig entsetzt: «Diesen Kies gab es das letzte Mal, als ich hier war, noch nicht», sagt er und zeigt, wie mühsam es für Rollstuhlfahrer ist, sich auf diesem groben Untergrund fortzubewegen. «Kies ist etwas vom Schlimmsten für gehbehinderte Menschen!» Wegen Kinderlähmung gehbehindert Sein Unmut ist verständlich. Seit 2010 engagiert sich der heute in Gommiswald beheimatete und seit seinem zweiten Lebensjahr wegen Kinderlähmung gehbehinderte Rollstuhlfahrer für einen hindernisfreien Klosterplatz in Einsiedeln. Wobei er sich noch erinnern kann, dass seine Eltern mit ihm während seinen Jahren im Kinderspital nach Einsiedeln gefahren sind, um im Kloster für seine Heilung zu beten. «Der Rollstuhl war für mich nie ein Problem – es ist die Umwelt, die mich zum Behinderten macht!», so Ruch.
Sagts und macht klar, dass das Gesetz unmissverständlich verlange, dass die Erneuerung des Klosterplatzes, die rund acht Millionen Franken kostet, behindertengerecht zu erfolgen habe. Beim «Platz im Platz», wie er am Ende aussehen soll, handele es sich gar um eine völlige Neugestaltung. «Schon deshalb müsste dieser vollumfänglich hindernisfrei gestaltet werden », ist Ruch überzeugt. Sammelte 130’000 Franken an Spenden Dass Werner Ruch als Rollstuhlfahrer nicht nur fordert, sondern auch handelt, manifestiert sich in den über 130’000 Franken an Spenden, die er im Rahmen «seiner » IG allein im Jahr 2019 zur Realisierung der hindernisfreien Wege auf dem Klosterplatz gesammelt hat. «130’000 Franken, die das Kloster Ende Februar vom Spendenkonto der IG abgehoben hat, um einen grossen Teil der geschliffenen Flusssteine zu finanzieren, die bereits eingesetzt sind auf dem bald fertiggestellten hindernisfreien Weg entlang der Klosterfront », so der Rollstuhlfahrer.
Auf diesem Weg kann sich Werner Ruch als Rollstuhlfahrer endlich nahezu so leicht fortbewegen wie Fussgänger. «So gefällt es mir», sagt er und lächelt, als er wenig später über die flachgeschliffenen, mit Mörtel festverfugten Flusssteine fährt. Für ihn ist und bleibt es nicht nur deshalb ein Muss, dass auch der «Platz im Platz», über den das kantonale Bildungsdepartement letzten September aufgrund der Uneinigkeit der beteiligten Baupartner in der Frage der Pflästerung einen Baustopp verhängt hatte, auf seiner ganzen Fläche in dieser Manier saniert wird – auch mit Blick auf den Weihnachtsmarkt.
Denn diese mörtelverfugte Variante auf dem gesamten «Platz im Platz» sei 2018 der Kompromiss gewesen, auf den sich das Kloster Einsiedeln, die Denkmalpflege, der Bezirk Einsiedeln und die IG Hindernisfreier Klosterplatz Einsiedeln geeinigt hätten – dafür, dass die Vertreter der Menschen mit einer Behinderung dem südlichen, halbkreisartigen Treppenabschluss des Klosterplatzes unterhalb des Marienbrunnens zustimmten.
Rampen sind Fehlanzeige
«Denn für Besucher im Rollstuhl, wie auch für jene mit Rollator oder mit Kinderwagen ist diese Treppe unüberwindbar. Ausgerechnet sie müssen grosse Umwege machen, um überhaupt auf diesen Platz zu kommen », kritisiert Ruch. In der Tat gibt es zwar kleine Geländer an der Rundtreppe – doch Rampen sind Fehlanzeige.
Dieser Kompromiss mit mörtelverfugten geschliffenen Flusssteinen auf dem ganzen «Platz im Platz» sei aber nach einem Wechsel in der kantonalen Denkmalpflege irgendwann verworfen worden – und ebenso plötzlich auch vom Kloster.
Jüngstes Gutachten
Ein jüngstes Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission sowie der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege, die der Schwyzer Regierungsrat als Aufsichtsbehörde in Auftrag geben liess, hat nun der mörtelverfugten Pflästerungsvariante, welche der Bezirk Einsiedeln und die Behindertenvertreter befürworten, ebenfalls eine Absage erteilt (EA 50/2020). Grund: Die gebundene Pflästerung schade der historischen Ästhetik des Klosterplatzareals und sei für die Erhaltung des Klosterplatzes als Denkmal von grosser Bedeutung nicht angemessen.
«Gleiche Rechte» Damit der «Platz im Platz» barrierefrei bleibe, sollen, wie im ursprünglichen Auflageprojekt zur Sanierung des Klosterplatzes vorgesehen, zwei Bahnen unterhalb der Arkaden zum Marienbrunnen hin mit verfugten Pflastersteinen Rollstuhlfahrern und Gehbehinderten mit Rollatoren den Zugang ermöglichen.
«Das widerspricht klar dem 2018 vereinbarten Kompromiss », sagt Werner Ruch – den der Streit ums Klosterpflaster emotional sehr mitnimmt. «Wir Rollstuhlfahrer sind die gleichen Menschen und gleich viel wert wie die Fussgänger. Wir lassen uns nicht auf zwei Bahnen ausgrenzen! » Und was die Frage der historischen Ästhetik und Pflästerung angeht, ist er überzeugt: das sei irgendwann halt mal so festgelegt worden. Schliesslich würden ja noch andere historische Schichten unter den jetzt sichtbaren schlummern. «Und die verfugte Variante sieht doch gut aus: Jung, frisch, modern – eben passend für das Kloster Einsiedeln anno 2020.»
«Die verfugte Variante sieht doch gut aus: Jung, frisch, modern – eben passend für das Kloster Einsiedeln anno 2020.»
Werner Ruch, IG Hindernisfreier Klosterplatz Einsiedeln
Werner Ruch von der IG Hindernisfreier Klosterplatz in Einsiedeln vor dem Kloster.
Foto: Wolfgang Holz