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«Kinder sind im Prinzip gesund»

«Kinder sind im Prinzip gesund» «Kinder sind im Prinzip gesund»

Seit 25 Jahren ist Stephan Rupp Kinderarzt in Einsiedeln. Der 57-Jährige liebt seinen Beruf und schätzt sehr den Umgang mit den Kindern und Eltern, die in seine Praxis kommen. Unsere Zeitung unterhielt sich mit dem bekannten Arzt in seinem Haus am Schnabelsberg – wo er mit seiner Familie wohnt und einen herrlichen Blick aufs Klosterdorf geniesst.

WOLFGANG HOLZ

Stephan Rupp ist ein heimatverbundener Mensch. Auf dem Esszimmertisch liegt die neueste Ausgabe der Basler Zeitung. Auf dem Schrank im Wohnzimmer sticht einem eine Getränkedose mit dem Emblem des FC Basel ins Auge. Und wenn der Kinderarzt einen begrüsst, hört man gleich den sympathischen «Boosler»-Dialekt heraus. Wie ist es denn gekommen, dass es den gebürtigen Basler vom Rheinknie nach Einsiedeln verschlagen hat?

«Der frühere Ybriger Allgemeinarzt Joschka Zihler, den ich gut kannte, fragte damals im Basler Kinderspital nach, wer denn der nächste Arzt sei, der seinen Abschluss mache», erzählt Doktor Rupp. Da er und seine Familie damals gerne aufs Land ziehen wollten, entschied sich der 1988 promovierte Kinderarzt für das Angebot, ins Klosterdorf zu wechseln. Dort eröffnete er im April 1995 seine Praxis. Vor gut 25 Jahren also. Eine gute Gelegenheit, zurückzublicken auf seine medizinische Tätigkeit und auf die Erfahrungen, die er in all den Jahren gemacht hat.

Der Kinderarzt und der Gorilla

«Ich habe einen sehr schönen Beruf und ein dankbares Publikum », schwärmt der Mediziner. Als Bub sei er schon von seinem damaligen Kinderarzt in Basel fasziniert gewesen, der in der Praxis hin und wieder Menschenaffen aus dem Zoo behandelte. «Ich habe gesehen, wie der grosse, kräftige Mann auf der Kinderwaage mal einen kleinen Gorilla gewogen hat.» In seiner eigenen Praxis in Einsiedeln gehe es meistens fröhlich zu. Es werde viel gelacht. Kinder seien eben sehr positiv: «Weil Kinder ja im Prinzip gesund sind und meistens nur an kleinen Leiden erkranken. » Fünf Kinder bis jetzt auf Corona getestet Wobei er in der momentanen Corona-Krise auch schon Kinder auf das neue Virus testen musste. «Bis jetzt habe ich fünf Corona-Abstriche bei Kindern gemacht – alle waren negativ», so Rupp erleichtert. Der Einsiedler Kinderarzt ist grundsätzlich überzeugt, dass auch Kinder ansteckend sein könnten in Sachen Corona – aber eben weniger als Erwachsene, weil sie nicht so viele Viren ausscheiden. «Ausserdem sind sie angesteckt deutlich weniger krank.» Sorgen bereitet ihm allerdings, dass er in seiner Praxis womöglich vermehrt Corona-Tests durchführen muss, wenn die Schule am 11. Mai wieder beginnt. «Wenn es dann nämlich zu vielen Fällen mit Husten, Schnupfen und Fieber kommt, könnte dies eine Unmenge von Abstrichen nach sich ziehen.» Eine kostspielige Angelegenheit.

Ihm selbst flösst das neuartige Virus Respekt ein. «Man weiss eben nicht so recht, was man davon halten soll», erklärt er. Er meidet im Augenblick öffentliche Verkehrsmittel und überlegt sich genau, wohin er reist. Seinem Hobby als Fussballschiedsrichter kann er derzeit coronabedingt nicht nachgehen.

Rupp, der auch gerne in der Natur wandert, ist sich sicher, dass Corona die Welt verändern wird. «Man wird sich vielleicht plötzlich fragen, warum es überhaupt noch Grossraumbüros und Bürohochhäuser braucht, wenn viele bestens im Homeoffice arbeiten können.» Auch kann er sich vorstellen, dass das Händeschütteln künftig als Begrüssungsritual entfällt – nicht nur zwischen Lehrern und Schülern.

Doch wie stehts eigentlich heutzutage – ganz abgesehen von Corona – um die Gesundheit der Kinder? Sind Kinder heute kränker als früher, wie immer wieder zu hören ist?

«Kinder sind nicht kränker oder gesünder als früher», versichert der Kinderarzt, der selbst Vater von drei erwachsenen Töchtern ist – die alle beim FC Einsiedeln Fussball gespielt haben. Auch das Spektrum an Kinderkrankheiten und Infekte sei im Prinzip gleich geblieben. «Natürlich kommt es immer wieder zu Wellen saisonaler Magen- Darm-Erkrankungen und Atemwegsinfekten.» Eltern mit Internet-Diagnosen

Und doch gibt es aus seiner Sicht Dinge, die sich für ihn als Kinderarzt in den letzten 25 Jahren als Kinderarzt stark verändert haben. Zum Beispiel, dass Eltern ihn manchmal mit fixfertigen Verdachtsdiagnosen zu den Krankheiten ihrer Kinder in seiner Praxis konfrontieren – infolge von sorgenvollen Recherchen im Internet. «Manchmal komme ich mir dann vor wie in einer Prüfung, die ich vor den Eltern bestehen muss», sagt Rupp und schmunzelt. Das Problem sei, dass das Internet zwar viele Informationen liefere, diese aber eben nicht klar bewerte oder priorisiere. «Dadurch kann es dann leicht zu Fehlinterpretationen in Bezug auf eine Krankheit kommen.» Andererseits müssten Eltern heutzutage viel öfters als früher ärztliche Atteste bei der Schule einreichen, wenn ihre Kinder krankheitshalber fehlten. «Man glaubt den Eltern offenbar nicht mehr einfach so.» Zu wenig pädagogische Therapien Apropos Schule. Doktor Stephan Rupp bedauert, dass die Schule inzwischen sehr «medizinalisiert » sei. Er meint damit die Art und Weise, wie man mit Lernschwächen der Kinder umgehe. «Heutzutage werden Diagnosen bei Schülern zum Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS getroffen und dann gleich medikamentös behandelt», sagt der Einsiedler Kinderarzt. Dabei kommen aus seiner Sicht alternative Therapien, in erster Linie pädagogische Massnahmen, viel zu kurz.

«Es handelt sich ja um ein Kind und nicht nur um eine Diagnose. » Zudem vertrügen gerade Buben das freie Lernen an der Schule nicht so gut. «Ohne klare Strukturen driften Buben leichter ab, sind abgelenkt oder werden wild.» In seiner Praxis versuche er, das Vertrauen der Kinder zu gewinnen und ihnen so die Angst vor einem Arztbesuch beziehungsweise die Furcht vor dem Schmerz bei einer Behandlung zu nehmen. Das gelingt ihm nicht immer. «Aber ich kann ihnen zumindest versichern, dass ich ihnen nichts Böses will, wenn es mal wehtut.» Medikamente verschreibe er grundsätzlich zurückhaltend. Ausschlaggebend für die Verabreichung einer Arznei sei für ihn stets die Gefährdung des kranken Kindes. «Bei einer Lungenentzündung beispielsweise muss man ein Antibiotikum geben.» Andererseits gebe es Klassiker unter Medikamenten für Kinder wie etwa der Algifor-Fiebersaft, den er sicher schon literweise verschrieben habe, weil er so gut wirke. Für die generelle Stärkung ihres Immunsystems bräuchten Kinder aber auch den Kontakt zu anderen Kindern. «Und bei uns auf dem Land in Einsiedeln darf es auch mal eine gute Portion Dreck sein, mit der die Kinder in Berührung kommen dürfen», sagt er und grinst.

Am schlimmsten sei es für ihn als Kinderarzt immer gewesen, wenn ein Kind verstorben sei. «Das macht mich sehr traurig. » Krebsfälle unter Kindern seien aber sehr selten. Die positiven Erlebnisse als Kinderarzt überwiegen deshalb in seinem Alltag. Vor allem sei es für ihn interessant zu sehen und mitzuerleben, wie die Kinder sich im Lauf der Jahre entwickelten. Rupp: «Neulich hat mir eine Praxisangestellte berichtet, dass ich als Arzt sogar bei ihrer Geburt anwesend war – so etwas freut mich natürlich sehr.»

«Kinder sind nicht kränker oder gesünder als früher.» «Und bei uns auf dem Land in Einsiedeln darf es auch mal eine gute Portion Dreck sein, mit der die Kinder in Berührung kommen dürfen.»

Kinderarzt Stephan Rupp schätzt den Kontakt mit den Eltern und Kindern sehr.

Foto: zvg

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