«Die Pilgersaison kann diesen Frühling nicht beginnen»
Nur noch Kirche online? Im Kloster Einsiedeln finden wegen der Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus keine öffentlichen Gottesdienste mehr statt. Das trifft die Gläubigen hart – besonders in der baldigen Osterzeit. Abt Urban Federer nimmt zu diesem Verlust im Interview Stellung.
WOLFGANG HOLZ
Abt Urban, wie empfinden Sie als Abt des Klosters Einsiedeln derzeit die Corona-Krise? Wohl wie alle Menschen: Weil niemand weiss, was diese Krise genau bedeutet und wie lange sie dauert, verunsichert sie. Sie stärkt hingegen meinen Glauben, nicht alles von meiner Planung und meinem Willen abhängig machen zu können. Gerne bete ich im Abendgebet mit den Mitbrüdern zusammen: «Herr, auf dich vertraue ich, in deine Hände lege ich mein Leben.» Was bedeutet das konkret für das Zusammenleben im Kloster?
Auch im Kloster gelten die Regeln des Bundes, über die ich mit den Mitbrüdern regelmässig spreche: zu Hause bleiben, Abstand halten und Hände reinigen beziehungsweise desinfizieren. Für die älteren Mitbrüder gelten besondere Schutzvorkehrungen. Was bedeutet diese Zeit für das Kloster und den Ort? Einsiedeln empfängt seit vielen Hundert Jahren die Menschen von überall her. Der Klosterplatz ist fast leer, die Kirche auch. Die Pilgersaison kann diesen Frühling nicht beginnen. Das ist fürs Kloster, aber auch fürs Gewerbe im Dorf sehr schmerzhaft. Die Verschiebung des Welttheaters tut mir sehr leid für alle, die mit so viel Begeisterung dafür gearbeitet und sich darauf gefreut haben.
Was bedeutet das nun konkret?
Als Kloster und Wallfahrtsziel sind wir gezwungen, andere Wege zu finden, um Menschen zu empfangen. Wir wollen Menschen ermutigen und so gut es geht begleiten. Es gab in der Geschichte des Christentums immer wieder Zeiten, in denen Gottesdienste nicht möglich waren. Diese Zeiten sind meist nicht jene, in denen der Glaube verdunstet. Vielmehr finden viele Menschen zu neuen, persönlichen Zugängen zu Gott. Verunsicherte und suchende Menschen wenden sich nun vermehrt telefonisch ans Kloster oder via Internet. Viele Gläubige, Freunde und mit dem Kloster Verbundene nehmen über den Live-Stream an unseren Gebeten teil. Die Klicks auf unserer Homepage und die Teilnahme an unserem Gebetsleben nehmen sprunghaft zu.
Aber Gläubige wollen doch im gemeinsamen Gebet und in der Eucharistie-Feier ihren Glauben zu Gott manifestieren und feiern. Wie gross ist der Verlust, wenn dies nicht mehr möglich ist? Es geht um den Verlust des Gewohnten und gleichzeitig um die Chance, neue Wege des Glaubens zu entdecken. Die Familie ist der erste Ort, wo Glaube gelebt werden kann.
Wie meinen Sie das?
Unsere Benediktsregel kann hier einige Hinweise für das enge Zusammenleben geben: Der heilige Benedikt schlägt vor, den Tag einzuteilen in genügend Zusammensein, aber auch Alleinsein und Ruhe, in Arbeit und Lernen und in Miteinander- Essen und Geniessen. Familien können ihre Ängste und Aggressionen in ein gemeinsames Gebet fassen, das sie um eine Kerze herum sprechen – das gilt natürlich auch für Alleinstehende. Im Internet gibt es viele nützliche Hinweise, wie zu Hause das Gebet neu entdeckt werden kann, auch auf unserer Homepage. Und was ist mit Ostern und den Ostergottesdiensten?
Das bedeutet auch, dass Ostern, die wichtigste Zeit im christlichen Leben, zu Hause verbracht wird. Wir können den Menschen beistehen durch die liturgischen Texte auf unserer Homepage «Gottes Wort», durch Texte meiner Mitbrüder auf Facebook und durch das Internet-Streaming.
«Die Familie ist der erste Ort, wo Glaube gelebt werden kann.»
Will Gläubigen durch liturgische Texte auf der Website beistehen: Abt Urban Federer. Foto: Wolfgang Holz