«Ich bin gar nicht verbittert»
Interview mit Wendy Holdener zum abrupten Saisonende im Ski-Weltcup und zu ihrer persönlichen Bilanz
Das Coronavirus hat vorzeitig die Ski-Weltcup- Rennen beendet. Längst ist die 26-jährige Unteribergerin wieder zu Hause im Ybrig und erholt sich von der vergangenen Saison. Im Interview blickt sie zurück auf ihre Leistungen.
WOLFGANG HOLZ
Die ganze Welt beschäftigt derzeit nur ein Thema. Wie gehen Sie damit um? Sehr ernst. Es ist ein Thema, das mich auch belastet. Ich versuche, positiv damit umzugehen. Ich habe alles organisiert, damit ich alles von zu Hause aus machen kann. Ich achte im Haushalt sehr auf Hygienemassnahmen wie Händewaschen und halte auch den nötigen Abstand ein. Wir nehmen das Thema Coronavirus sehr ernst. Wegen des Coronavirus mussten ja die letzten Weltcup-Rennen abgesagt werden. Haben Sie das sehr bedauert? Jein. Also, klar, wäre ich gerne Skirennen gefahren. Vor allem da wir bereits im Austragungsort Are waren. Es hätte noch zehn Stunden gedauert bis zum Rennen am nächsten Tag. Ich hätte natürlich auch gerne einen Saisonabschluss gehabt. Man hat die Unruhe der Organisatoren schon gespürt. Ich habe verstanden, dass Schweden Massnahmen ergreift, und es uns nicht erlaubt wird, Rennen zu fahren. Diese Situation war eben noch nie da, sonst hätte die FIS das Ganze vielleicht schon früher abgesagt. Von dem her ist es ein bisschen unglücklich gelaufen, aber die Sicherheit geht vor. Sind Sie zufrieden mit Ihrer Saison?
Ja.
Was waren für Sie die grössten Highlights?
Die grössten Highlights waren für mich ganz klar der Riesenslalom und der Super-G – ich meine damit die Podestplätze und die guten Läufe, die ich hatte. Im Riesenslalom konnte ich endlich den Schritt machen, von dem ich schon lange träume, nämlich in der Weltspitze mitfahren zu können und auch aufs Podest steigen zu dürfen.
Und im Super-G waren die Rennergebnisse in Zauchensee und Garmisch auch sehr gut für mich – so macht es spass. Im Slalom hatte ich einzelne Läufe, die sehr gut waren, aber die beiden Ausfälle haben mich schon sehr belastet. Und ich hätte natürlich noch neun Rennen gehabt, ich war gut in Form und hätte meine Bilanz damit noch stark verbessern können. Deshalb stimmt mich unterm Strich die Saison sehr positiv. Was hätte denn besser laufen können? Ja, eben, dass ich mehr Chancen hätte bekommen können. Dass ich mehr Rennen hätte fahren können. Und wenn ich eben die zwei Slalomausfälle nicht gehabt hätte, wäre es im Slalom einfacher gelaufen, und die Saisonbilanz besser ausgefallen. Nicht zu vergessen den Parallelslalom. Wir hatten zwar nur zwei Rennen. Das Rennen in St. Moritz war leider gar nicht so mein Tag gewesen. Und am Rennen in Sestriere war der eine Kurs schneller. Es müsste einfach Reruns geben, um dieses Problem zu beheben. Ich hatte in Sestriere einen Frühstart und so verlor ich bereits am Start zu viel Zeit. Ohne diesen Fehler wäre das Rennen sicherlich auch anders ausgegangen.
Bedauern Sie im Nachhinein, dass Sie einige Rennen ausgelassen haben, in denen Sie hätten punkten und damit weiter vorne im Gesamtweltcup landen können? Stichwort: Lake Louise. Stichwort: Bansko. Nein. Im Fall von Lake Louise hatten wir uns abgesprochen, dass ich da nicht fahre. Was Bansko betrifft, wäre ich, im Nachhinein betrachtet, dort gerne die Rennen gefahren. Aber, ob es besser gewesen wäre, bin ich mir nicht sicher. Ich habe Bansko nämlich ausgelassen, weil ich einen Super-G-Podestplatz gemacht habe. Ausserdem waren wir überzeugt, dass eine kurze Pause in der Mitte der Saison förderlich für den Rest des Winters ist, um danach wieder richtig gute Spitzenleistungen zu zeigen. So gesehen bin ich schon froh, dass ich es so gemacht habe. Wir haben es so entschieden, und es hat für uns so gepasst.
Wie erklären Sie sich, dass das Schweizer Ski-Team diese Saison insgesamt so gut abgeschnitten hat, im Nationen-Cup erstmals nach gut 30 Jahren wieder vor Österreich lag und insgesamt fünf Kristallkugeln holen konnte? Das Team hat sehr konstante Leistungen erbracht – und das auf einem Superniveau. Also, Beat Feuz ist ja sowieso in der Abfahrt sehr stark. Das hat man in den letzten zwei, drei Jahren gesehen. Corinne Suter und Mauro Caviezel sind bei allen Rennen stark gefahren, und die konstante Leistung hat ihnen den Erfolg gebracht.
Der Gewinn der Kristallkugeln selbst hat das Team eigentlich nicht so beflügelt – denn die gewinnt man ja erst am Schluss der Saison. Es hat einen einfach motiviert, wenn man die Skirennen der Teamkollegen angeschaut hat. Das hat einen angesteckt. Vor allem die Siege von Daniel Yule waren wirklich gewaltig. Aber es gab eigentlich in jeder Disziplin gute Ergebnisse, und die gesamte Teamleistung war beeindruckend. Das war einfach cool, weil man dann selbst sofort auch wieder schnell fahren wollte.
Sind Sie traurig, dass Sie selbst in dieser Saison keine Kristallkugel gewinnen konnten und Sie noch immer auf Ihren ersten Slalom-Sieg warten? Ja, ich hatte sicher Chancen gehabt. Es hat halt leider vieles nicht gepasst. Ich hatte, wie gesagt, zu wenig Rennen gehabt. Wenn das anders gewesen wäre, hätte vieles noch offen sein können. Und gleichzeitig bin ich sehr zufrieden mit dem Riesenslalom. Ich bin überhaupt nicht verbittert.
Leer ausgegangen in dieser Saison ist eigentlich auch Mikaela Shiffrin, obwohl sie wieder viele Weltcup-Rennen gewinnen konnte. Hatten Sie denn die Gelegenheit mit ihr zu sprechen, als sie nach dem Tod ihres Vaters in Are wieder in den Weltcup- Zirkus zurückgekehrt war? Nein, ich habe sie nicht persönlich gesehen. Gleichzeitig hatte man in der Situation mit dem Coronavirus den Kontakt zu den anderen Athleten gemieden. Man hatte keine grosse Lust, sich auszutauschen. Ich habe ihr privat eine SMS geschrieben nach dem Tod ihres Vaters und ihr so gezeigt, dass wir da sind. So etwas berührt einen natürlich. Man muss sich nur vorstellen, was das für eine Situation ist – das ist natürlich Horror.
Letzte Frage – was sind Ihre Ziele für die neue Saison?
Keine Auskunft. Die Saison ist jetzt fertig. Ich muss das alles noch ein bisschen verarbeiten und mir einen guten Plan machen. Diese Frage kommt einfach zu früh. Ab nächste Woche starte ich mit dem Sommertraining. Vielleicht kann man im Mai wieder auf die Ski. Ich hoffe, natürlich, dass es bald zu einer Verbesserung der Coronavirus-Lage kommt. Wir Schweizer haben es auf alle Fälle schön. Wir können ja gut auch daheim trainieren – egal, was kommt. Ich bin überzeugt, dass wir eine gute Lösung finden und die Situation gut meistern.
«Die beiden Ausfälle im Slalom haben mich schon sehr belastet.»
Wendy Holdener
«Es hat einen einfach motiviert, wenn man die Skirennen der Teamkollegen angeschaut hat.» «Ich habe Mikaela Shiffrin privat eine SMS geschrieben nach dem Tod ihres Vaters und ihr so gezeigt, dass wir da sind.»
Besonders im Riesenslalom machte Wendy grosse Fortschritte.
Jetzt kann Wendy Holdener sich zu Hause in Unteriberg nach den Strapazen der Weltcupsaison ausruhen. Fotos: zvg