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«Ein Sieg ist und bleibt mein Ziel»

«Ein Sieg ist und bleibt mein Ziel» «Ein Sieg ist und bleibt mein Ziel»

Interview mit Skirennfahrer Urs Kryenbühl angesichts der infolge des Coronavirus vorzeitig beendeten Weltcup-Saison

Es war mit Sicherheit für Urs Kryenbühl bis jetzt die aussergewöhnlichste Saison: In Bormio bei der Abfahrt plötzlich Zweiter – noch vor Abfahrts-Ass Beat Feuz. Unmittelbar danach wochenlang verletzt. Und nun jüngst in Kvitfjell wieder am Start. Wie blickt der 26-jährige Unteriberger auf seine bewegte Zeit zurück?

WOLFGANG HOLZ

Guten Morgen, Herr Kryenbühl, wie gehts Ihnen? Seit wann sind Sie wieder zurück in Unteriberg?

Gut. Ich bin letzten Sonntag aus Kvitfjell in Norwegen zurückgekommen. Im Augenblick trainiere ich gerade auf dem Heimtrainer und bin völlig verschwitzt. Wie wars denn in Kvitfjell bei den letzten beiden Rennen? Es war sicher schön, nach meiner Fussverletzung wieder ins Renngeschehen eingreifen zu können – und zu sehen, dass es noch gut geht mit dem Skifahren.

Sie müssen ja nach Ihrem Wahnsinnserfolg in Bormio und dem darauffolgenden tragischen Sturz beim Training zur Lauberhornabfahrt wie auf Nadeln gesessen sein, noch einmal in dieser Saison bei einem Weltcup-Rennen an den Start gehen zu können. Haben Sie sich denn arg geärgert über Ihr Missgeschick? ( lacht) Jeder in meiner Situation wäre wohl froh gewesen, wieder fahren zu können. Am Anfang war ich schon enttäuscht über meinen Ausfall durch den Anriss des Syndesmosebands infolge des Trainingssturzes am Lauberhorn. Aber letztlich war es ja mein eigenes Verschulden. Ich war dafür selbst veranwortlich. Ausserdem hatte ich ja noch Glück mit meiner Verletzung. Es hätte noch viel schlimmer kommen können.

Hatte der Sturz am Lauberhorn unterbewusst nicht doch auch etwas damit zu tun, dass Sie mental nach Ihrem unglaublichen zweiten Platz bei der Abfahrt in Bormio vielleicht doch nicht mehr ganz so locker auf den Skiern gestanden sind? Das ist schwierig zu sagen. Mental war ich eigentlich gut fokussiert ins Training gegangen. Letztlich war es ein Flüchtigkeitsfehler, der mir da passiert ist: Ich bin in der Kurve kurz auf den Innenski geraten, und als ich mich danach wieder aufrichten wollte, hatte ich plötzlich nicht mehr genügend Platz, um auszuweichen, und bin deshalb im Fangnetz gelandet. Solche Fehler unterlaufen auch grossen Fahrern. Und an der selben Stelle ist übrigens kurz darauf auch der Amerikaner Thomas Biesemeyer gestürzt. Wie gesagt: Ich hatte Glück, dass nicht mehr bei meinem Sturz passiert ist. Was den mentalen Druck nach dem Bormio-Erfolg angeht, hatte ich ja schon zuvor mit dem 22. Platz in der Superkombi bewiesen, dass ich dem Druck standzuhalten vermag. Kommen wir zurück zu Ihrem Super-Erfolg bei der Abfahrt in Bormio – mit dem zweiten Platz und nur acht Hundertstel Rückstand auf den Sieger Dominik Paris und auf das Schweizer Super- Ass Beat Feuz. Haben Sie das inzwischen schon verarbeitet oder träumen Sie immer wieder davon?

Es war sicher ein sehr schöner Erfolg für mich. Es ist vor allem ein Erfolg, der bleibt und an den ich mich immer zurückerinnern kann. Er war auch eine grosse Anerkennung für meine bisherigen Anstrengungen, aber auch für das Team. Der Erfolg hat einem das Gefühl gegeben, etwas richtig gemacht zu haben. Der zweite Platz in Bormio war für mich einfach auch enorm wichtig, weil ich dadurch die Punktevorgaben des Verbands vollkommen erfüllt habe, und ich für die nächste Saison die Garantie besitze, unter den ersten 30 starten zu dürfen. Ich war ja auch schon mal in Beaver Creek bei der Abfahrt gestürzt, und danach ging für mich der harte Kampf um jeden Punkt und jede gute Platzierung weiter. Jetzt geniesse ich doch etwas meine Sicherheit. Aber Sie wären gerne nach Bormio weitergefahren, um es allen zu zeigen, was Sie noch alles draufhaben? Ja, klar, es hat schon etwas weh getan, als ich während meiner Verletzungspause am Fernsehen immer zusehen musste, wie die anderen im Weltcup mitfahren konnten – und ich nicht. Ich wäre gern in dem «Flow», den ich hatte, weitergefahren.

Hatten Sie eigentlich schon während Ihrer sensationellen Abfahrt in Bormio das Gefühl, sehr schnell zu sein? Das ist schwierig zu sagen. Bormio ist vom Terrain her sicher sehr anspruchsvoll. Ausserdem trügen solche subjektiven Gefühle während eines Rennens oft. Ich dachte schon bei mancher Fahrt, ich bin brutal schnell unterwegs, und landete am Ende auf dem 50. Platz. Bei der Fahrt in Bormio kam es mir fast zu einfach vor, um mir vorstellen zu können, ich sei richtig schnell. Grundsätzlich will ich immer gewinnen, wenn ich an den Start gehe. Mit meinem 19. Platz in Kvitfjell war ich nach meiner Verletzung sehr zufrieden, schliesslich ist es bislang mein drittbestes Abfahrtsergebnis. War Beat Feuz, dem Sie in Bormio noch direkt vor die Nase gefahren sind, nicht ein bisschen hässig auf Ihren Erfolg? ( lacht) Im ersten Moment hat es ihn vielleicht schon gefuchst, weil es ja auch um den Gesamtabfahrtsweltcup gegangen ist, und er nach dem damaligen Erfolg von Dominik Paris das rote Trikot des Leaders abgeben musste. Aber nein, er hat mir gratuliert und mir meinen Erfolg von Herzen gegönnt. Er hat mir nach dem Rennen sogar noch erklärt, wie das dann mit der Siegerehrung funktioniert. Ich war ihm dafür sehr dankbar, ich war dadurch nicht ganz allein. Auch Dominik Paris, der sich ja leider später auch verletzte, hat mir von Herzen als Underdog gratuliert. Der ist ein cooler Typ. Was hat sich eigentlich in Ihrem Leben nach Ihrem unerwarteten Erfolg geändert? Nicht viel. Manche Leute sprechen einen nun vielleicht etwas öfter an. Ich bin natürlich sehr zufrieden mit dem zweiten Platz bei einem Weltcup-Rennen und hungrig auf mehr. Aber einen Sieg wollen Sie jetzt in der nächsten Saison schon noch holen? ( lacht) Einen Sieg will jeder. Das ist und bleibt auch mein Ziel. Vielleicht klappt es ja nächste Saison tatsächlich. Ich setze mich deswegen aber nicht unter Druck. Man muss einfach auch bedenken, wie zeitlich dicht Sieg und Niederlage heutzutage im Skisport beieinander liegen. Das betrifft auch die acht Hundertstel Rückstand meiner Fahrt in Bormio. Ich weiss, wo ich diese Zeit verloren habe. Aber auch die Fahrt von Paris, – der ja acht Hundertstel schneller war als ich – war nicht perfekt. Die Leistungsdichte unter den Fahrern ist inzwischen enorm eng. Zwischen Platz eins und Platz zehn liegt ja oft nur eine halbe Sekunde. Und was machen Sie jetzt mit Ihrer vielen freien Zeit angesichts des Coronavirus bedingten Saisonabbruchs? Ich trainiere weiter meine Grundlagen – Ausdauer vor allem. Ich gehe joggen, fahre Velo. All die Planungen sind ja durch den Lauf der Ereignisse tatsächlich völlig über den Haufen geworfen worden. Sicherlich ist das Saisonende, wie es in der jetzigen Situation passiert ist, etwas speziell. Natürlich hätte ich gerne noch einige Rennen bestritten. Somit ist der Winter mit «nur» 7 Einsätzen auf Stufe Weltcup etwas kurz geraten. Nun ist es halt so, und ich fokussiere mich wieder auf das Sommertraining. Damit ich für die nächste Weltcupsaison bereit bin.

«Grundsätzlich will ich immer gewinnen, wenn ich an den Start gehe.»

Urs Kryenbühl

Ganz entspannt und voll in Action: Der Unteriberger Skirennfahrer Urs Kryenbühl. Bild oben – ganz lyrisch am Blausee. Auf den Bildern unten: Beim Mountainbiken und bei der letzten Weltcup-Abfahrt im norwegischen Kvitfjell.

Fotos: Nadine Marty, Moritz Sieber und zvg

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