«Vögel fühlen sich wohl bei uns»
Roger Bisig, Wildhüter beim Kanton Schwyz, zählt seit acht Jahren die Wasservögel am Sihlsee
Roger Bisig ist Wildhüter im Bezirk Einsiedeln. Der 54-jährige Grosser hat Mitte Januar, zusammen mit neun Helfern und Jägern, 234 Wasservögel am Sihlsee gezählt. Das bedeutet Rekord: Noch nie fanden sich mitten im Winter so viele Vögel am See ein. Der Klimawandel behagt den Wasservögeln offensichtlich.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Welche Wasservögel sind derzeit zu finden am Sihlsee?
Am Sihlsee niedergelassen haben sich derzeit 93 Blässhühner, 32 Haubentaucher, 29 Krickenten, 28 Stockenten und 26 Lachmöwen. Hinzu kommen sechs Reiherenten, fünf Gänsesäger, drei Kormorane und ein Graureiher. Zu guter Letzt haben wir am 12. Januar zu unserer grossen Freude auch noch einen Eisvogel entdeckt. Für die Blässhühner ist am Sihlsee der Tisch reich gedeckt: Sie fressen gerne Pflanzen, und weil der Sihlsee nicht sehr tief ist, ist er auch dementsprechend sehr verkrautet. Kam es jemals vor, dass Kormorane im Winter am Sihlsee waren?
In der Tat sind bis anhin Kormorane eher im November als im Januar gesichtet worden. Das Spezielle am Kormoran ist, dass er Standvogel sein kann, aber auch Zugvogel. Zu vermuten ist, dass es sich bei den Kormoranen am Sihlsee um Strichvögel aus dem Norden handelt: Diese verlassen im Winter ihr Brutgebiet, unternehmen aber keine langen, grossen Flüge nach Süden, wie etwa die Zugvögel, sondern bleiben in denselben Breiten. Bei winterlicher Kälte wechseln sie oft den «Landstrich» und suchen etwas wärmere Regionen auf, wie beispielsweise mild-gemässigte Gebiete. Neuerdings gehört auch der Bezirk Einsiedeln zu den mild-gemässigten Zonen.
Stimmt es, dass die Kormorane den Fischern die Fische wegfressen?
Da gehen die Meinungen weit auseinander. Tatsächlich zu beobachten ist, dass Kormorane mitunter die Netze der Fischer zerstören. So oder so spielt es aber keine Rolle, ob der Kormoran ein Fische fressender Raubvogel ist, weil es am Sihlsee keine Berufsfischer gibt, die sich über den Vogel beklagen könnten. Zudem hat es im Sihlsee eine grosse Menge an Ruchfischen. Der Kormoran braucht zum Jagen eine klare Sicht des Wassers. Dies ist im Sihlsee nicht immer gegeben. Von daher ist der Winter ideal für den Kormoran, weil zu dieser Jahreszeit der See in der Regel klar ist. Welche Vögel sind sonst noch neu am Sihlsee? Leider haben wir vermehrt auch fremde Vögel hier bei uns zu Gast, was uns weniger freut (lacht). Konkret handelt es sich um die Mittelmeermöwe, die sich hierzulande breit macht: Diese verdrängt einheimische Vögel. Wir haben vor einem Monat nur zwei Mittelmeermöwen gezählt, im November waren es sieben. Eine andere lästige invasive Art, die aus Afrika stammt, ist die Nilgans: Sie ist aggressiv und verdrängt einheimische Wasservögel. So attackiert die Nilgans andere Wasservögel.
Sind Zugvögel am Sihlsee in der Mehrheit gegenüber den Standvögeln?
Vermutlich ist in diesem Jahr das Verhältnis einigermassen ausgeglichen. Während die Stockente und das Blässhuhn als Standvogel das ganze Jahr über bei uns weilt, kommen die Zugvögelarten Krickente, Reiherente und Tafelente nur im Winter an den Sihlsee.
Bedeuten wärmere Temperaturen, dass mehr Vögel im Winter an den Sihlsee kommen? Weil neuerdings der Sihlsee im Winter nicht mehr zufriert, wird er zum Paradies für die Wasservögel. Die Vögel fühlen sich wohl bei uns. Dementsprechend kommt auch die Rekordzahl von 234 Wasservögeln in diesem Januar zustande. In früheren Zeiten war es normal, dass sich kein einziger Vogel im Januar am Sihlsee blicken liess. Was hätten die Tiere auch fressen sollen auf einer Eisschicht mit einem Meter Schnee drauf (lacht). Ab dem Jahr 2013 änderte sich das Geschehen spürbar: Die überhandnehmende Milderung im Klima sorgt für wärmere Winter: Seither sind Wasservögel auch im tiefsten Winter bei uns zu finden. Eine Ausnahme war jedoch das Jahr 2017 – mit einen kalten Winter mit null Wasservögeln an der Januarzählung. Haben die Veränderungen in der Vogelwelt mit dem Klimawandel zu tun? Das haben sie in der Tat – auf eine ungeahnte Art und Weise: Denn just wegen der Klimaveränderung geht schweizweit die Zahl der Wasservögel zurück. Denn wärmere Temperaturen bedeuten, dass Zugvögel aus dem Norden im Norden bleiben und gar nicht mehr in den Süden reisen. Früher war es in der Schweiz so, dass es im Winter immer mehr Wasservögel hatte als im Sommer. Der Sihlsee ist ein Spezialfall: Wegen der Klimaveränderung gefriert er nicht mehr zu und lockt neuerdings Wasservögel aus dem Norden an. Bleiben Zugvögel im Winter neuerdings am Sihlsee und verzichten auf die Reise in den Süden, weil es neuerdings ausreichend warm ist in Einsiedeln? Die meisten Brutvögel wie Schwalben und Braunkehlchen, die bei uns den Sommer verbringen, fliegen im Winter in den Süden, weil sie bei uns in der kalten Jahreszeit keine Insekten zum Fressen finden. Aus diesem Grund können einheimische Brutvögel nicht immer von der Klimaveränderung profitieren und sich die Reise in den Süden sparen. Eine Ausnahme bildet da der Rotmilan, den ich kürzlich in Einsiedeln entdeckt habe: Diese Vogelart bleibt neuerdings im Winter bei uns. Der Rotmilan frisst allerdings auch keine Insekten, sondern vielmehr Mäuse und Aas. Was gibt es sonst Auffälliges zu berichten von der Vogelwelt in Einsiedeln? Immer wieder mal wird in Einsiedeln ein Wiedehopf oder ein Raubwürger wie der Neuntöter gesichtet, selten gewordene Vogelarten. Noch erstaunlicher ist der grosse Bestand an Auerhühnern in unserer Region: Das Auerhuhn gehört zusammen mit dem Schneehuhn und dem Birkhuhn zu Vogelarten, die aus der Eiszeit stammen: Denen wird es mit der Klimaveränderung zu warm hier – und es ist möglich, dass diese Arten in Zukunft seltener werden.
Wie entwickeln sich Amphibien am Sihlsee?
Grundsätzlich haben es Amphibien schwer in unserem Land, weil sich ihr Lebensraum immer mehr einengt. Am Sihlsee gibt es Erdkröten, Grasfrösche und Bergmolche. Sehr erfreulich ist der vor zwei Jahren entdeckte Bestand an Teichmolchen. Unterdessen konnten über zweitausend Exemplare dieser Tierart am Sihlsee nachgewiesen werden. Sind die Vögel am Sihlsee ausreichend geschützt? Es gibt Vogelarten wie den Gänsesäger, Graureiher, Haubentaucher und den Eisvogel: Die sind gemäss Jagdgesetz geschützt und dürfen grundsätzlich nicht erlegt werden. Kormorane können von Fall zu Fall geschossen werden – aber nur von Jägern, nicht von Fischern (lacht). Am meisten leiden die Wasservögel, wenn der Wasserstand nach Unwettern wegen hochgehender Bäche stark steigt. Auch wenn der See abgelassen wird, haben die Vögel ihre liebe Mühe damit: Dann geraten sie in Gefahr, dass ihr Nest über Nacht plötzlich auf dem Trockenen sitzt. Kommen die Wassersportler den Vögeln nicht in die Quere auf dem Sihlsee? Man kommt erstaunlich gut aneinander vorbei. Die Kitesurfer haben bisher noch nie ein Problem bereitet. Am ehesten fällt ins Gewicht, wenn die Surfer zu nah ans Schilfufer fahren und damit die Wasservögel stören. Aber da braucht es keine weiteren Massnahmen dagegen. Denn der Abstand zum Ufer, den die Schiffe und Surfer einhalten müssen, ist ja bereits durch das Gesetz bestimmt.
Seit 30 Jahren sind Sie unermüdlich für den Kanton Schwyz tätig: Zuerst als Revierförster, nun als Wildhüter. Wie sieht Ihre berufliche Zukunft aus? Leider wird das Amt für Natur, Jagd und Fischerei im Sommer dieses Jahres aufgelöst. Dadurch wird sich wohl einiges in Zukunft, auch für mich persönlich, verändern.
Roger Bisig ist seit drei Jahrzehnten für den Kanton Schwyz im Einsatz. Seit acht Jahren ist er als Wildhüter für das Wohl der Wasservögel am Sihlsee verantwortlich. Foto: Magnus Leibundgut