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«Ich laufe sehr gerne im Wald»

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Gian-Andri Müller nimmt an der Jugend-Europameisterschaft der Ski-Orientierungsläufer in Schweden teil

Gian-Andri Müller reist in den Fasnachtsferien nach Umea. Der 17-jährige Gymnasiast aus Einsiedeln will an der EM in Schweden eine Medaille ergattern. Er hofft auf ein gutes Gelingen und viel Schnee. Und bezeichnet diese Reise als einen Höhepunkt seines Lebens.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Was bedeutet Ihnen die Reise nach Schweden?

Sehr viel, denn es ist ein supertolles Ereignis. Es ist megacool, sich international messen zu können und auf Sportler aus anderen Ländern zu stossen. Ganz neu ist ein solches Ereignis nicht für mich. Immerhin nehme ich bereits seit vier Jahren an Jugend- Europameisterschaften teil. Die EM fällt ausgerechnet in die Fasnachtsferien. Werden Sie heuer gut auskommen ohne die Einsiedler Fasnacht? Das ist überhaupt kein Problem für mich. Denn ich bin, obwohl ich aus dem Klosterdorf stamme, alles andere als ein angefressener Fasnächtler. Auf die Fasnacht heuer verzichten zu müssen, fällt mir also nicht allzu schwer (lacht).

Dürfte die EM in Umea ein Höhepunkt in Ihrem Leben sein? Obwohl ich schon vier Mal an solchen Meisterschaften mit dabei war, freue ich mich immer wieder auf diesen Anlass. Es geht weniger darum, dass ich nun an dieser EM meine Karriere als Ski-Orientierungsläufer vollends lancieren könnte. Es geht eher darum, diese Veranstaltung mit Haut und Haar auszukosten. Naturgemäss freue ich mich auch darauf, gemeinsam mit all den anderen Ski-Orientierungsläufern aus der Schweiz diese Reise anzutreten. Treten Sie an dieser Europameisterschaft als Favorit an? Ich bin wohl in der Lage, in die vorderen Ränge zu laufen. Vor zwei Jahren schaffte ich es an der EM in Bulgarien zwei Mal auf den vierten Platz. Im letzten Jahr an der EM lief es mir nicht ganz so gut, weil ich mit dem Kartenlesen Mühe hatte. Läuferisch fühle ich mich sehr in Form. Die grosse Herausforderung in Schweden bleibt das Kartenlesen: Während wir in der Schweiz vor allem über hügelige Wiesen laufen, geht es in Schweden vorwiegend über flache Strecken komplett im Wald. Eigentlich laufe ich sehr gerne im Wald. Es ist allerdings von der Kartenlesetechnik her betrachtet ziemlich anspruchsvoll.

Was setzen Sie sich für Ziele an dieser EM?

Ein Diplom zu ergattern an dieser Europameisterschaft in Umea wäre toll. Noch schöner wäre es, eine Medaille zu gewinnen. Gold zu holen, wäre naturgemäss das Allerfeinste und würde mich mit Stolz erfüllen. Es wäre eine famose Belohnung für all die Arbeit, die ich bisher geleistet habe.

Wie haben Sie überhaupt trainieren können ohne Schnee in Einsiedeln? Die Schneearmut ist in der Tat in diesem Winter ein grosses Problem in Einsiedeln. So bin ich zum Trainieren in die Region Hoch-Ybrig, auf den Raten oder nach Alpthal ausgewichen. Zum Glück liegt Umea ganz im Norden von Schweden, dort ist Schneesicherheit garantiert. So hoffe ich auf viel Schnee an dieser EM.

Können Sie abschätzen, wie sich der Klimawandel auf die Sportart Ski-OL auswirken wird? Der Klimawandel wirkt sich sehr stark auf den Ski-OL aus. Nicht nur in Einsiedeln herrscht ein ausgesprochen milder Winter: Ganz Europa leidet heuer unter Schneearmut. Es gibt Länder, in denen in diesem Jahr noch nie Ski-OL trainiert werden konnte. Die EM hätte eigentlich heuer Anfang Februar in Lettland stattfinden sollen. Weil dort kein Schnee lag, wurde die EM verschoben und nach Nordschweden verlegt. Wenn es so weitergeht mit der Klimaveränderung, ist die Sportart Ski-OL akut in ihrer Existenz bedroht. Das wäre natürlich schrecklich. Wäre Kunstschnee eine Option, um die Bedingungen für Wintersportler in Einsiedeln zu verbessern?

Für den Langlauf könnte Kunstschnee eine Option sein. In Studen etwa, das in einem kalten Schattenloch liegt, dürfte es Sinn machen, die Loipe künstlich zu beschneien. Für den Ski-OL kommt allerdings Kunstschnee kaum in Frage. Es dürfte schwierig sein, ein ganzes Ski-OL-Gelände künstlich beschneien zu können. Realistischerweise muss man davon ausgehen, dass nur noch im hohen Norden von Europa Ski-OL möglich sein wird.

Wie sind Sie überhaupt auf diese exotische Sportart Ski-Orientierungslauf gestossen? Wie die Jungfrau zum Kind? Nicht wie die Jungfrau zum Kind (lacht). Vielmehr bin ich in einer klassischen OL-Familie aufgewachsen: Bereits meine Eltern und Grosseltern sind OL gelaufen. Zuerst bin ich nur im Sommer OL gelaufen, dann ist das Langlaufen dazugekommen, das ja viele in Einsiedeln machen. Mit mir zusammen geht mein Bruder Corsin an die Jugend-EM. Meine Schwester nimmt an der gleichzeitig stattfindenden Ski-OL-Jugend- WM teil. Und mein Bruder Nicola ist auch in Umea mit dabei: Er bestreitet dort mehrere Elite-Weltcuprennen im Ski-Orientierungslauf.

Was ist für Sie wichtiger: OL im Sommer oder Ski-OL im Winter? Es ist für mich beides gleich wichtig. Die beiden verschiedenen Sportarten bringen eine willkommene Abwechslung mit sich. Hinzu kommt die Option, auch den Langlaufsport betreiben zu können. Ich kann mir gut vorstellen, nach der Matura eine Profisportler-Karriere im Ski-OL in Angriff zu nehmen – idealerweise in Kombination mit Langlaufen.

Welche Fähigkeiten stehen beim Orientierungslauf im Vordergrund?

Man muss naturgemäss gute Augen haben und ebenso ein ausgeprägtes räumliches Vorstellungsvermögen. Hilfreich ist überdies ein gutes Gedächtnis, weil man sich die Dinge, die nacheinander auf der Strecke auftauchen, merken muss. Natürlich sind elektronische Hilfsmittel wie GPS nicht erlaubt. Interessanterweise verliert der Mensch all diese Fähigkeiten, seit es das Navi in den Autos gibt. Die Leute haben es verlernt, eine Strassenkarte zu lesen und dank dieser die Orientierung zu finden. Haben Sie sich auch schon verlaufen im Wald?

Das ist mir in der Tat auch schon passiert, als ich zehn beziehungsweise zwölf Jahre alt war. Ich habe dann einfach andere Leute nach dem Weg gefragt. Wenn mir das heutzutage passiert, laufe ich auf einen markanten Punkt in der Landschaft zu, der wohlweislich auch auf der Karte erkennbar ist. So finde ich die Orientierung wieder. Immerhin verletzt sich ein Läufer nicht gerade, wenn er sich einmal verirren sollte. Stürzen kann man immer oder auf den Skiern in einen Baum fahren, wenn die Route abwärts führt. Naturgemäss ist Langlaufen in der Regel keine wirklich gefährliche Sportart. Allerdings kann einem immer einmal etwas zustossen. Mein Bruder Nicola ist vor zehn Tagen beim Langlaufen auf eisiger Loipe gestürzt und mit dem Kopf auf den Boden geprallt – Langläufer tragen keinen Helm. Er hat eine Gehirnerschütterung und ein SchleuderTrauma davongetragen. Im Moment ist noch unklar, ob er nach Umea mitreisen kann. Wie können Sie sich diese Sportart finanzieren? Das ist ein grosses Problem. Die Ausrüstung ist teuer, man braucht sowohl Skier wie auch ein Kartengerät. Meine Hoffnung, einen Paten von der Sporthilfe zu finden, der mich bei der Finanzierung unterstützen könnte, hat sich nicht erfüllt. So helfen mir derzeit meine Eltern aus. Auch das Dasein als Profisportler im Ski-OL ist finanziell betrachtet alles andere als ein Zuckerschlecken. Um da über die Runden kommen zu können, braucht es hierfür sicherlich weitere Tätigkeiten, zum Beispiel einen Job als Trainer. Es gibt ja auch wenige Profisportler in dieser Sportart.

Was machen Sie sonst noch gerne in Ihrem Leben?

Ich halte mich gerne in der Natur auf und treibe allgemein viel Sport in meinem Leben. Zum Beispiel Biken steht da ganz im Vordergrund. Ich habe auch schon am Iron Bike Race in Einsiedeln teilgenommen. Wichtig sind mir zudem meine Freunde und meine Familie. Und das Verbringen der Zeit mit meinen Kollegen. Mit den langen Sommerferien von siebeneinhalb Wochen lässt sich manches anstellen: Zum Beispiel ein Besuch im Alpamare oder Böötlen auf der Limmat. Entscheidet das Schicksal über Sieg oder Niederlage oder hat vielmehr auch der liebe Gott seine Finger im Spiel? Wesentlich ist am Renntag, wie man einen guten Umgang mit dem Gelände finden kann. Hinzu kommen bei mir Rituale: Bereits am Abend vor dem Renntag montiere ich meine Startnummer am Ski-Dress. Vor dem Rennen konzentriere ich mich bewusst auf meinen Atem und führe Selbstgespräche, um meine Motivation zu fördern. Eine Stunde vor dem Startschuss esse ich ausserdem immer eine Banane. Und dann geht es schon bald ab auf die Piste, in das Gelände, in den Wald.

Gian-Andri Müller ist Gymnasiast in der Stiftsschule Einsiedeln und hat sein Leben dem Ski-Orientierungslauf verschrieben.

Foto: zvg

«Bereits am Abend vor dem Renntag montiere ich meine Startnummer am Ski-Dress. Vor dem Rennen konzentriere ich mich bewusst auf meinen Atem und führe Selbstgespräche, um meine Motivation zu fördern.» Zur Person

ml. Gian-Andri Müller ist am 14. Februar 2003 in Einsiedeln geboren und im Klosterdorf aufgewachsen. Er besucht die Stiftsschule Einsiedeln und will nach der Matura eine Profisportler- Karriere im Ski-OL einschlagen. Im Jahr 2018 erreichte Gian-Andri Müller an der Jugend-WM in Bulgarien zwei Mal den vierten Platz, im letzten Jahr den fünften Rang an der EM in Schweden. Er ist Mitglied beim Skiclub Einsiedeln, in der OL-Gruppe Galgenen, im SAS (Schweizerischer Akademischer Skiclub) und im Zentralschweizer OL-Nachwuchskader. Zu den Hobbys von Gian- Andri Müller gehören Sport, Natur, Freunde und Familie. Er lebt in Einsiedeln.

«Ich bin alles andere als ein angefressener Fasnächtler, obwohl ich aus Einsiedeln stamme.» «Die Schneearmut ist in der Tat in diesem Winter ein grosses Problem in Einsiedeln.» «Wenn es so weitergeht mit der Klimaveränderung, ist der Ski-OL akut in seiner Existenz bedroht.»

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