«Ich freue mich auf Einsiedeln»
Der 38-jährige Molliser Raffael Bosshard startet als neuer Rektor der Schulen Einsiedeln
Am 1. Dezember hat Raffael Bosshard die Leitung der Schulen Einsiedeln übernommen. Der Rektor steht Red und Antwort zu seinen Zielen und Aufgaben, die er als Abteilungsleiter Bildung und Kultur in Angriff nehmen will.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Wie sind Sie im Klosterdorf gelandet?
Sehr gut. Ich freue mich auf Einsiedeln und darauf, diese Herausforderung im Klosterdorf in Angriff nehmen zu dürfen. Das Stelleninserat hat mich überaus angesprochen. Der Bewerbungsprozess und die Gespräche wurden seitens des Bezirks sehr professionell geführt. Weil ich ein gutes Bauchgefühl hatte, habe ich für diese Stelle zugesagt.
Welche Erfahrungen nehmen Sie aus Ihrer letzten Wirkungsstätte mit?
In meiner letzten Funktion engagierte ich mich in der Glarner Volksschule in der Evaluation und Schulentwicklung. Im Zentrum stand hierbei die Einführung des Lehrplans 21, der in Zusammenarbeit mit den Behörden und Lehrern auf eine gute Resonanz im Kanton Glarus stiess.
Welche Aufgaben stehen im Fokus Ihrer neuen Herausforderung?
Zunächst werde ich mir einen Überblick über alle Bereiche in den Schulen Einsiedeln verschaffen, um systemisch Erkenntnisse zu gewinnen, wie die einzelnen Aufgabenfelder aufeinander abgestimmt werden sollen. Jetzt schon kann ich feststellen, dass sich ein gutes Team in den Schulen Einsiedeln um die in Angriff zu nehmenden Aufgaben kümmert und dass Behörden und Schulleitung zielgerichtet zusammenarbeiten. Wo es grundsätzlich einen Optimierungsbedarf in den Schulen Einsiedeln haben könnte, können Sie mich gerne in hundert Tagen fragen (lacht).
Wo orten Sie Baustellen im Schulwesen in Einsiedeln, die unmittelbar in Angriff genommen werden müssen? Es gibt keine Baustellen im Sinne von offenen Pendenzen, ausser die wortwörtlichen Baustellen im Schulhaus Nordstrasse und Trachslau (lacht). Hier geht es darum, den Schulraum zu erweitern. Natürlich gibt es auch Projekte wie die familienergänzenden Angebote in Form von Tagesstrukturen, die nun angegangen werden. Im März wird denn im Kultur- und Kongresszentrum Zwei Raben ein Mittagstisch für Schüler eröffnet. Dieser wurde vom Chinderhus initiiert und aufgebaut. Schulleiter und Lehrer geraten in diesen Zeiten vermehrt in Gefahr, ein Burnout zu erleiden. Wie schützen Sie sich davor? Ich finde viel Erfüllung in dieser Aufgabe und arbeite sehr gerne. Aber der achtsame Umgang mit den eigenen Ressourcen ist sehr wichtig. Energie tanke ich in meiner Familie. Erholung finde ich dank sozialen Kontakten und Sport, etwa durch Joggen über den Mittag. Welche Folgen hat aus Ihrer Sicht die Erhöhung der Schülerzahl in den Klassen im Kanton Schwyz?
Naturgemäss führen grössere Klassen zu einer erhöhten Belastung für die Lehrerschaft. Festhalten kann ich, dass als Folge dieser Massnahme aber keine Schulen in den Vierteln aufgehoben werden. An der Viertelsstrategie hält der Bezirksrat fest. Wie sich die neue Weisung des Kantons auf einzelne Schulklassen auswirken wird, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschliessend beantworten.
Wie gehen Sie gegen den Mangel an Primarlehrern vor? Es muss sicherlich erkannt werden, dass wir mit anderen Kantonen direkt im Konkurrenzkampf stehen, was die Rekrutierung von Lehrpersonen angeht. Es ist entsprechend nicht nur eine Aufgabe des Bezirkes, sondern eine Situation, die auch auf kantonaler Ebene angegangen werden muss. Grundsätzlich glaube ich, dass eine transparente Lohnentwicklung für die Rekrutierung von Lehrpersonen wichtig ist – und dies hat der Kanton Schwyz. Das ist sicherlich positiv. Entscheidend für die Attraktivität des Lehrerjobs ist auch das pädagogische Konzept, wie sich der Schulunterricht gestalten und entwickeln lässt. Und wie sich die Lehrer in dieses Konzept einbringen und einfügen können.
Fallen Buben vermehrt durch die Maschen in den Schulen? In mehreren Medienberichten ist in der Vergangenheit der Schulerfolg als weiblich dargestellt worden. Bei den PISA-Erhebungen zeigte sich, dass Mädchen im letzten Jahr der Volksschule beispielsweise beim Lesen durchschnittlich besser abschneiden als Knaben. Hinsichtlich des Erreichens der Grundkompetenzen gibt es gemäss schweizweiten Erhebungen jedoch keinen nennenswerten Geschlechterunterschied. Auf Ebene der Gesamtschweiz erreichen zwar geringfügig mehr Mädchen die Grundkompetenzen im Lesen als Knaben, der Unterschied ist jedoch relativ gering. Die Buben generell als Bildungsverlierer abzustempeln, sehe ich als eine überzeichnete Darstellung an. Wie gehen Sie mit dem Druck um, den Eltern auslösen, auf dass ihre Kinder ins Gymnasium kommen? Dass die Eltern nur das Beste für ihr Kind wollen, ist verständlich. Es stellt sich allerdings die Frage, was das Beste tatsächlich ist. Es ist nicht jedem Lernenden gegeben, so lange die Schulbank zu drücken oder den Anforderungen eines Gymnasiums zu entsprechen. Der Wunsch, ans Gymnasium zu gehen, muss deshalb in erster Linie vom Lernenden kommen. Zudem ist das duale Berufsbildungssystem der Schweiz ein «Erfolgsmodell» und bereitet die Lernenden gut auf die Arbeitswelt vor. Auch ohne Matura und anschliessendem Studium kann man in der Schweiz erfolgreich sein. Und es darf auch nicht vergessen werden, dass das Abschliessen eines Studienganges an einer Uni nicht automatisch heisst, dass man einen Job auf sicher hat.
Welches Konzept verfolgen Sie, wie die Schulen mit Smartphone und sozialen Medien umgehen sollen?
Wir entwickeln derzeit das bisherige ICT-Konzept weiter. Der Einsatz und die Verwendung von digitalen Geräten werden dort genauer definiert. Grundsätzlich geht es im Lehrplan 21 darum, dass die Schüler Medien verstehen und verantwortungsvoll nutzen können. Dazu gehört auch ein sinnvoller Umgang mit dem Smartphone.
Wie hat sich aus Ihrer Sicht das Berufsbild des Lehrers gewandelt?
Es war früher als Lehrperson noch möglich, in einem gewissen Sinn ein Einzelkämpfer zu sein. Das Bild von «Ich und meine Klasse» konnte so gelebt werden. Spätestens mit der Einführung des Lehrplans 21 konnte man allerdings beobachten, wie neue Formen der Zusammenarbeit entstanden sind. Neue Zusammenarbeitsformen wie Unterrichtsteams, in denen in kleineren Gruppen unterrichtsnahe Fragestellungen bearbeitet oder Unterricht gemeinsam vorbereitet wird, sind sich am Etablieren. Die Rolle als Teamplayer wird zunehmend wichtiger. Was hat sich im Positiven in der Schule verändert seit der Zeit, als Sie selber die Schulbank gedrückt haben?
Lehrpersonen sind nicht mehr reine Wissensvermittler, sondern begleiten die Lernenden auf ihrem Lernweg. Die Schüler lernen, sich auch selber Wissen anzueignen. Der Unterricht ist daher abwechslungsreicher und für die Lernenden interessanter. Was hat sich demgegenüber eher verschlechtert? Ich habe den Eindruck, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an unsere Kinder zugenommen haben. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass zu meiner Zeit die Noten nicht so ein grosses Thema waren. Heute sind sie das. Ich würde es schätzen, wenn in Zukunft wieder vermehrt die eigentliche Förderung der Schüler ins Zentrum gestellt werden könnte.
Die oberste Lehrerin der Schweiz stellt Noten infrage. Könnte man die Noten abschaffen? Die Präsidentin des Schweizer Lehrerverbandes, Dagmar Rösler, will Noten nicht direkt abschaffen, sondern möglichst spät einführen, um die Kinder nicht auf ein «Lernen für Noten» zu trimmen. Die Noten sind allerdings immer noch eine akzeptierte Praxis, um die Leistungen der Schüler abzubilden. Die Gesellschaft verlangt dies gewissermassen von uns. Es stellt sich folglich die Frage, wie sich die Notenzeugnisse im Kontext eines kompetenzorientierten Unterrichtes weiterentwickeln lassen. Was ist Ihre Meinung zum Lehrplan 21 und dessen Umsetzung in den Schulen? Ich bin dem Lehrplan 21 gegenüber grundsätzlich sehr positiv eingestellt. Dieser legt einen Fokus auf die Verbindung von Wissen und Handeln. Als ich zur Schule ging, musste vieles auswendig gelernt werden. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich im Fremdsprachenunterricht ganze Dialoge auswendig lernen musste. Heute werden die Bausteine für das Erstellen eines entsprechenden Dialogs vermittelt. Die Lernenden werden dann selber produktiv. Wissen kommt auf diese Weise zur Anwendung. Ich finde diesen kompetenzorientierten Ansatz gut.
Wie kommt bei Ihnen das integrative Schulsystem und die Abschaffung der Sonderklassen an? Ich schätze das integrative Schulsystem, bin aber der Ansicht, dass die besonderen Klassen eine sinnvolle Ergänzung darstellen. Der Schulrat hält an der Kleinklasse fest, und ich schätze diesen Entscheid. Auch die Werkschule auf der Sekundarstufe I ist in keiner Form in Frage gestellt. Von einer Abschaffung der «Sonderklassen » kann daher im Bezirk Einsiedeln nicht direkt die Rede sein. Ist im Kanton Schwyz das Einschulungsalter im Kindergarten zu tief angesetzt? Einerseits haben wir dank des HarmoS-Konkordats in den Kantonen die gleichen Bedingungen. Andererseits sind die Entwicklungsunterschiede bei vierjährigen Kindern in der Tat gross. Unser System bietet aber Möglichkeiten, das Eintrittsalter zu flexibilisieren: Für die Eltern besteht durch die gesetzliche Regelung eine Wahlmöglichkeit zwischen einem einjährigen oder zweijährigen Kindergarten. Im Kanton Waadt lesen Schüler systematisch im Unterricht Bücher. Wird das Lesen in den Schulen Einsiedeln auch gefördert?
Lesen ist selbstverständlich auch im Lehrplan 21 ein zentraler Bereich. Neben dem Aneignen von Grundfertigkeiten geht es auch um das Verstehen von Sach- und literarischen Texten. Auch die Reflexion über das eigene Leseverhalten ist wichtig. Darüber hinaus haben wir eine gut ausgebaute Schulbibliothek, in der die Kinder und Jugendlichen aus einer grossen Vielfalt unterschiedlicher Bücher auswählen können.
«Familienergänzende Angebote in Form von Tagesstrukturen werden nun angegangen.» «Naturgemäss führen grössere Klassen zu einer erhöhten Belastung für die Lehrerschaft.» «Buben als Bildungsverlierer abzustempeln, sehe ich als eine überzeichnete Darstellung an.» «Auch ohne Matura und anschliessendem Studium kann man in der Schweiz erfolgreich sein.» «Ich habe den Eindruck, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an unsere Kinder zugenommen haben.» «Lesen ist selbstverständlich auch im Lehrplan 21 ein zentraler Bereich.»
Im Alten Schulhaus im Paracelsuspark übernimmt der 38-jährige Raffael Bosshard das Rektorat in den Schulen Einsiedeln.
Foto: Magnus Leibundgut