Veröffentlicht am

«Ich bereue nichts»

«Ich bereue nichts» «Ich bereue nichts»

Pater Gerhard Stoll tritt nach 19 Jahren als Seelsorger in der Pfarrei Einsiedeln zurück

Kein Blick zurück im Zorn: Im Frieden mit sich selbst und der Welt beendet der siebzigjährige Pater Gerhard Stoll seine Amtszeit als Seelsorger in Willerzell, Egg und Gross, um ins Kloster Einsiedeln zurückzukehren und dort neue Aufgaben in Angriff zu nehmen.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie sind Sie im Klosterdorf gelandet?

Mich hat als Weltgeistlicher in der Diözese Freiburg die Sehnsucht ergriffen, benediktinisches Leben zu erleben, und ich wollte zu diesem Zwecke möglichst weit wegziehen aus meiner Heimat. Und so bin ich im Kloster Einsiedeln gelandet und alsbald für die Pfarrei Einsiedeln tätig geworden. Wie kommt ein Weltgeistlicher dazu, inmitten des Lebens plötzlich Mönch zu werden? Es war in keiner Weise eine Flucht etwa aus Frust aus meinem alten Leben. Das Leben in einem Pfarrhaus mit drei Zugeh- Frauen zusammen, die selber nicht im Pfarrhaus wohnen, die eine wäscht, die zweite kauft ein und die dritte ist Mädchen für alles, hat ja auch seine Vorzüge (lacht). Und für das Pfarreileben ist es überdies von Vorteil, wenn der Pfarrer in seinem Pfarrhaus für die Gläubigen sicht- und erlebbar ist. Aber man bleibt als Weltgeistlicher schliesslich doch allein. Es macht einen Unterschied, ob man alleine für sich zu Hause betet oder zusammen in einer Gemeinschaft, auch wenn man hierfür für die Mette früh aufstehen muss des Morgens, nämlich um fünf Uhr.

Wie fällt Ihr Blick zurück auf Ihre Amtszeit aus? Fürs Erste hatte ich gleich mal Dinge zu erledigen, in denen ich sehr erfahren war. Bereits in den 80er-Jahren musste ich als Priester drei Pfarreien zusammenlegen. Abt Georg beauftragte mich, die Viertel in der Pfarrei Einsiedeln zusammenzulegen. Damals hatte ja jedes Viertel seinen eigenen Priester und teils sogar Unterpfarrer. So begann ich in Willerzell, dann kam Egg hinzu und schliesslich auch noch Gross. Was wundersamerweise der Reihe nach das Wort «WEG» ergab: Sinnbildlich für den Weg, auf dem wir uns befinden, um schliesslich eine Gemeinschaft zu erreichen. Welche Viertel sind Ihnen besonders ans Herz gewachsen? Es ist mir sinnigerweise ergangen wie einem Vater mit seinen Kindern: Das erste wird verwöhnt, weil es eben das erste ist. Beim zweiten ist man bereits etwas strenger, und beim dritten hat man sich schon daran gewöhnt, dass da nochmals ein Kind kommt (lacht). Ist das Loslassen schwierig für Sie nach zwanzig Jahren Mitarbeit in der Pfarrei Einsiedeln? Ich darf getrost und in Frieden mit mir und der Welt diese Pfarrei verlassen – gerade weil kein Blick zurück im Zorn meine Erinnerungen an diese Zeit trübt. Naturgemäss werde ich einiges vermissen – in erster Linie mein Dienstauto, das mir die Pfarrei zur Verfügung stellte (lacht): Dank dieses Autos war es mir immerzu möglich, spontan eine Ausfahrt zu unternehmen. Diese Freiheit werde ich vermissen. Womöglich muss ich bald Autostopp machen wie Pater Martin (lacht). Was waren Höhepunkte in Ihrer Tätigkeit als Pfarrvikar? Die Zusammenarbeit mit den selbstlosen Ehrenamtlichen in den Vierteln, die durch ihre Freiwilligenarbeit so wertvolle Dienste für das Pfarreileben geleistet haben. Gleichzeitig ist das auch der Tiefpunkt: Feststellen zu müssen, dass es immer weniger Freiwillige gibt, die sich engagieren. Naturgemäss hat dies auch mit den gesellschaftlichen Umbrüchen zu tun. Frauen etwa sind heutzutage selten mehr nur einfach Mütter, sondern müssen arbeiten gehen. Dadurch haben sie auch einfach nicht mehr die Zeit,sich im Pfarreileben engagieren zu können. Sind Sie nie jemals ausgebrannt in Ihrer Tätigkeit in der Pfarrei Einsiedeln? Nein. Ich habe als Nordbadener, als Mannheim-Heidelberger, eine dicke Haut. Da erleidet man nicht so schnell ein Burnout. Auch wenn die Kreativität leidet, wenn die Arbeitslast überhandnimmt. Wie kann man auch auf die leichte Schulter nehmen, wenn man als Pfarrer in Einsiedeln allein fünfzig Beerdigungen im Klosterdorf pro Jahr zu absolvieren hat. Die Gefahr besteht durchaus, dass wir Seelsorger uns verzetteln in dieser Aufgabe. Auch die Seelsorger sollten sich um ihre seelische Gesundheit kümmern, das Team muss schliesslich gepflegt werden. «Tue deinem Körper Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen», sagte Theresa von Avila. Wären strukturell Veränderungen angebracht, um die Arbeit in der Pfarrei Einsiedeln neu auszurichten? Immer wieder hat sich grundsätzlich die Frage gestellt, ob sich das Leben eines Benediktinermönchs mit der Tätigkeit in der Pfarrei Einsiedeln überhaupt vereinen lasse. Der Resignation bin ich nie verfallen in meiner Tätigkeit in der Pfarrei Einsiedeln. Weil ich mich «aus einer Einsicht in die Notwendigkeit heraus» (Immanuel Kant) allem ergeben habe. Letztendlich sei nicht zu vergessen, dass wir zwar einen Chef haben, nämlich den Bischof, dieser aber zum Glück weit weg ist, nämlich in Chur. Ist es entscheidend für Ihre Arbeit in der Pfarrei Einsiedeln, wer zum neuen Bischof in Chur gewählt wird? Nein, für die Pfarrei ist das kaum relevant. Für das Bistum allerdings ist es wichtig, wenn eine Persönlichkeit Bischof werden würde, die in der Lage wäre, die ewigen Grabenkämpfe im Bistum zwischen links und rechts zu beenden. Leider hat es Vitus nicht geschafft, über seinen Schatten zu springen, Frieden auf seine Fahnen zu schreiben und zurückzutreten wie Papst Benedikt. In einer solchen Situation muss ein Bischof einfach gehen. Halten Sie es für möglich, dass jemand aus dem Kloster Einsiedeln Bischof werden könnte? Ich glaube,dass es im Kloster Einsiedeln Leute gibt wie unser Abt und unser Alt-Abt, die im Bischofsamt als Kraft des Ausgleichs wirken könnten. Gott möge uns beide für unser Kloster bewahren! Ideal wäre es allerdings für die Pfarrei Einsiedeln gleichsam nicht, wenn es Pater Basil treffen würde mit diesem Amt, weil dann nach dem Rücktritt von Pater Benedict eine weitere Person die Pfarrei verlassen würde. Wie kommt bei Ihnen die Neuausrichtung der Pfarrei an? Aufgrund des akuten Personalmangels gibt es gar keine Alternative zu einer Zusammenlegung des kirchlichen Angebots in den Vierteln und einer Zentrierung dieser im Dorf. Naturgemäss ist der Widerstand in den Vierteln gross gegen einen gemeinsam gefeierten Weissen Sonntag in der Klosterkirche. Allerdings ist hierbei ja noch nichts in Stein gemeisselt: In einem Jahr könnte man diesen Entscheid wieder umstossen und zurückgehen auf die bisherige Lösung. Auf der anderen Seite frage ich mich, was es der Pfarrei und den Vierteln wirklich gebracht hat, dass man wie bis anhin den Weissen Sonntag in den Vierteln gefeiert hat. Hat das Interesse an der Pfarreiarbeit unter den Benediktinermönchen abgenommen? Ich verorte das Personalproblem vielmehr darin, dass wir auch nicht mehr so viele Mönche sind wie noch vor fünfzig Jahren. Der Orden muss seine Kräfte bündeln. In erster Linie werden deswegen Patres erst einmal für die Wallfahrt und die Betreuung der Stiftsschüler abberufen. Und die Suche, einen Ersatz für die Mönche zu finden, gestaltet sich in diesen Zeiten des allgemeinen überhandnehmenden Priestermangels als sehr schwierig. Bräuchte es neue Gottesdienstformen, neue Inhalte in der Pfarrei Einsiedeln? Wieso soll sich nicht etwa ein Rosenkranzgebet zu einem Wortgottesdienst wandeln und entwickeln? Ich finde aber, dieser Wandel müsste von unten her angestossen und nicht von oben herab deklariert werden. Neue Formen sollten spontan Einzug halten können. Und in dieser Frage, für diese Arbeit, wären dann die Freiwilligen gefragt.

Sind Sie erleichtert, die Arbeit in der Pfarrei Einsiedeln hinter sich lassen zu können? Ich bin froh, dass ich nicht mehr für das Pfarreiblatt schreiben muss: Einen Leitartikel für dieses Blatt zu verfassen, hat mir mitunter Kopfzerbrechen bereitet (lacht). Wenig vermissen werde ich zudem, dass ich des Abends bei regnerischem Wetter und schlechter Sicht mit dem Auto in die Viertel fahren musste.

Nun kehren Sie zurück in das heilige Kloster. Freuen Sie sich darauf, die lärmige Welt verlassen zu können?

So heilig ist unser Haus auch wieder nicht (lacht). Zumindest ist mitunter auch das Kloster von Lärm erfüllt. Jedenfalls sind nun Offline-Zeiten eingeführt worden: Von 22 bis 6 Uhr können die Mönche nicht mehr aufs Internet. Das finde ich eine gute Regel, ganz im Sinne Benedikts. Im Kloster warten neue Aufgaben auf mich, die ich ganz nach dem Motto meines Primizspruchs «Rede Herr, Dein Diener hört» zu erfüllen suche. Möglicherweise werde ich vermehrt die Beichte abnehmen. Währenddem das Busssakrament landesweit tief in der Krise steckt, ist die Nachfrage bei den Besuchern der Klosterkirche bezüglich Beichte nach wie vor gross. Haben Sie nie Zweifel gehabt, ob Sie den richtigen Weg eingeschlagen haben in Ihrem Leben?

Ich bereue nichts. Ich habe es nie bereut, einen geistlichen Weg beschritten zu haben. Im Zentrum meines Daseins ist immerzu die Frage gestanden, ob meine Christus-Beziehung stimmt, stimmig ist. Wenn alle so wären, wie ich hätte sein sollen, dann wäre diese Welt in Ordnung.

Wohin bewegt sich die Welt?

Man könnte in Skepsis verfallen, wenn man aus dem Fenster schaut – oder in eine apokalyptische Grundstimmung. Allerdings möchte ich die Offenbarung von Johannes lieber mal einfach so stehen lassen, weil die Apokalypse schwer zu verstehen und zu interpretieren ist. Gerne halte ich mich da lieber an Karl Rahner: «Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein – oder er wird nicht sein.» Wo finden Sie Gott in Ihrem Leben?

In allererster Linie in der Stille. Wenn ich ganz bei mir bin. Die Gottessuche scheint auf in der Mystik. Und ist durchdrungen von deren Paradoxie. Einerseits finde ich Gott im Allerinnersten, andererseits im Du, in der Beziehung zum Nächsten. Was bedeutet Ihnen der Tod?

Ich habe keine Angst vor dem Tod und dem Sterben. Eher würde ich fürchten, vierzig Jahre lang im Koma liegen zu müssen und nicht sterben zu dürfen. Es wird in diesen Zeiten ein grotesker Körperkult und mit der Gesundheit eine regelrechte Ideologie betrieben. Der Mensch will ewig leben und verdrängt den Tod. In unserer Gesellschaft ist der Tod zum Tabu geworden.

Welche Jenseitsvorstellungen haben Sie? Wenn ich eines Tages im Himmel aufwachen sollte, wüsste ich zumindest, dass ich mir nicht Gedanken machen muss über die Betriebstemperatur des Höllenfeuers (lacht). Ich weiss nicht, ob es den Himmel, das Fegefeuer und die Hölle wirklich geben mag. Und ob Jesus Christus seine Worte über die Endzeit als Warnung oder als Androhung gesprochen hat. Als Warnung verstanden, würde uns Jesus zu einem guten Leben aufrufen. Wären sie als Androhung zu interpretieren, hätten die Taten in unserem Menschenleben durchaus eine Konsequenz nach unserem Tod. Ich hoffe, dass ich nach meinem Tod nahe bei Gott sein werde. Und bin zuversichtlich, dass unser aller Wirken in unserem Dasein auf dieses Ziel ausgerichtet ist: Schliesslich in der Nähe Gottes aufzugehen.

«Im Kloster Einsiedeln gibt es Leute, die als Bischof als Kraft des Ausgleichs wirken könnten.» «Der Mensch will ewig leben.

In unserer Gesellschaft ist der Tod zum Tabu geworden.» «Im Himmel müsste ich mir nicht Gedanken machen über die Betriebstemperatur des Höllenfeuers.»

Pater Gerhard Stoll verlässt am Ende dieses Jahres die Pfarrei Einsiedeln. Foto: Magnus Leibundgut

Share
LATEST NEWS