«Schiedsrichter im Volleyball ist man aus ideellen Gründen, aus Freude»
Stephan Grieder und Yves Kälin sind langjährige Schiedsrichter. Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählen sie, was sie daran fasziniert.
VICTOR KÄLIN
Der eine steht am Ende einer eindrücklichen Karriere als nationaler und internationaler Schiedsrichter, der andere ist bereit, in dessen Fussstapfen zu treten. Der Einsiedler Anzeiger hat Stephan Grieder (55 Jahre) und Yves Kälin (28 Jahre) zu einem Gespräch geladen.
Kennen Sie sich? Stephan Grieder: Ja, sicher. Naheliegenderweise vom Volleyballclub Einsiedeln her …
Yves Kälin: Du bist damals der Coach der 1. Mannschaft gewesen …
Grieder: Und ich hatte Deinen Bruder Silvan im Team. Yves war einer unserer treuesten Fans. Seit dieser Zeit kennen wir uns. Kälin: Manchmal war Stephan auch Ersatztrainer unserer Junioren- Mannschaft. Das waren dann immer die strengsten Einheiten!
Standen Sie schon einmal zusammen als Schiedsrichter im Einsatz? Kälin: Ja, selbstverständlich. Für das Aufgebot zuständig ist im Normalfall die nationale Schiedsrichter-Kommission. Grieder: Am Anfang war ich Yves’ Mentor und Yves der Mentee, also ein Schiedsrichter zu Beginn seiner NLA-Karriere. Da Yves mittlerweile ebenfalls zu den besseren Schiedsrichtern gehört, werden wir häufiger gemeinsam aufgeboten. Speziell erwähnenswert ist natürlich, dass wir 2018 zusammen das letzte und entscheidende Playoff- Finalspiel der Herren leiteten.
Im Fussball werden Schiedsrichter nicht nur von den Fans beschimpft, sondern von Spielern und Funktionären verbal und teilweise physisch attackiert. Wie erleben Sie das im Volleyball? Kälin: Im Vergleich zum Fussball massiv weniger. Verbale Kritik kommt schon vor, selten aber beleidigend. Ich sage aber: Mit Kritik muss man umgehen können.
Grieder: Es gibt auch im Volleyball alles. Die räumliche Distanz zu den Spielern erweist sich für uns als Vorteil. Dafür hört man fast immer, was die Zuschauer meinen … Ist Ihnen noch nie etwas geschehen?
Grieder: Nein. Dass ab und zu ein dummer Spruch fällt, gehört irgendwie dazu. Aber Bedrohungen oder gar Tätlichkeiten erlebte ich in all den Jahren nie. Kälin: Auch ich wurde noch nie bedroht. Einmal warf jemand ein Matchheft nach mir. Das war aber eher aus Frust geschehen, und nicht als Drohung gemeint. Herr Grieder, Sie pfeifen seit 40 Jahren. Erzählen Sie doch einmal von einzelnen Höhepunkten … Grieder: Das ist schwierig … Vielleicht das erste Spiel in der World League in Kuba 2012. Damals stellte Kuba international dominierende Spieler und Spielerinnen. So lernte ich Mireya Luis und Joël Despaigne persönlich kennen. Höhepunkte waren auch die Senioren-Weltmeisterschaften in Italien (Frauen) und Bulgarien (Männer). Und auch die diesjährige Europameisterschaft der Herren in Frankreich bleibt als extremer Event in Erinnerung: Das war Entertainment von Anfang bis zum Schluss!
Und Sie Herr Kälin? Sie leiten auch schon seit 10 Jahren Volleyballspiele. Woran erinnern Sie sich besonders gerne? Kälin: Da ich meistens in der Schweiz im Einsatz stehe, stechen die zwei internationalen Turniere in Spanien und Portugal natürlich heraus. Ich lernte Schiedsrichter aus sieben Ländern kennen. Zwei davon treffe ich im Dezember wieder: am Schiedsrichterkurs in Ankara.
Was für ein Kurs ist das? Kälin: Es handelt sich um einen neuntägigen Kurs des Europäischen Volleyballverbands. Er findet vom 15. bis 23. Dezember in Ankara statt. Besteht man den Kurs, ist man erst einmal Kandidat. Um definitiv international zugelassener Schiedsrichter zu werden, muss man sich in den drei Folgejahren in der Praxis bewähren.
Wie sind Sie Schiedsrichter geworden, Herr Grieder? Grieder: Das war ganz einfach: durch meinen Vater. Die ganze Familie spielte Volleyball und mein Vater war Schiedsrichter. So ergab sich das eine und das andere. Ich rutschte sozusagen in die Rolle hinein. Kälin: Bei mir war es nicht der Vater (lacht). Ausschlaggebend waren zwei Faktoren: Der Verein ist verpflichtet, eine gewisse Anzahl Schiedsrichter zu stellen, sonst müssen Teams aus der Meisterschaft zurückgezogen werden. Ich war es gewohnt, an Juniorenspieltagen Spiele zu leiten. Dank der ersten Mannschaft, welche damals in der NLB spielte, standen in Einsiedeln auch NLA-Schiedsrichter im Einsatz. Es war interessant, diese an der Arbeit zu sehen. Für mich als Junior war das ein Erlebnis. Seither ist es auch eine Challenge zu sehen, wie weit man es als Schiedsrichter bringt.
Grieder: Ich hörte immer, Yves pfeife gut. Ich sah ihn aber nie selbst … Kälin: Ich bin relativ jung ins nationale Schiedsrichter-Kader gekommen. Aber mir fehlte noch ein Turnier, an welchem ich getestet werden sollte. Dieses Sichtungsturnier findet jährlich an den Junioren-Schweizermeisterschaften statt, an welchem ich als Spieler im Einsatz stand! Als Mitspieler konnte ich natürlich nicht auch noch Schiedsrichter sein. Da organisierte Stephan ein anderes Spiel für mich. Er war dann als Schiedsrichterbeobachter mit dabei und ich konnte doch noch an die Aufnahmeprüfung.
Dann sind Sie so etwas wie Yves sportlicher Götti? Grieder: Wie gesagt: sein Mentor. Yves war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das Glück gehört manchmal auch dazu. Da ich von seinem Talent hörte, bin ich ihm zu Hilfe geeilt. Will man es als Schiedsrichter ganz weit voranbringen, muss man früh beginnen.
Was hat Sie, Herr Grieder, 40 Jahre im Business gehalten? Grieder: Die Freude am Sport. Und jedes Spiel ist eine neue Herausforderung. Dass ich von Jahr zu Jahr immer bedeutendere Spiele und Meisterschaften leiten konnte, übte schon eine gewisse Faszination aus. Kälin: Dem schliesse ich mich eins zu eins an. Erwähnen möchte ich auch die Kollegialität unter uns Schiedsrichtern. Mit 70 Leuten für die NLA und NLB sind wir ein grosses Team. Ich spüre bei vielen eine tiefe Verbundenheit mit dem Sport. Nach dem Spiel geht man oft miteinander essen. Da lernt man auch andere, persönliche Seiten kennen.
Verdient man da auch etwas? Grieder: Brutal viel (beide lachen)! Es gibt eine Entschädigung. Im Vergleich mit Fussball oder Eishockey ist sie aber marginal. Schiedsrichter im Volleyball ist man aus ideellen Gründen, aus Spass am Sport
Sie Herr Kälin, lassen sich im Dezember zum internationalen Schiedsrichter ausbilden. Was treibt Sie an, noch mehr in Ihr Hobby zu investieren? Kälin: Meine Motivation ist vor etwa sieben Jahren so richtig geweckt worden. An einem Champions-League-Match war Stephan Reserve-Schiedsrichter und ich Linienrichter. Auf der Rückfahrt sagte Stephan, dass er altershalber in rund sieben Jahren aufhören müsse und er einen «Nachfolger» brauche! Ich persönlich möchte mich als Schiedsrichter stetig verbessern und andererseits auch meine Limiten ausloten. Sich weiterzubilden und Schiedsrichter zu sein, hat auf die Persönlichkeitsschulung einen enormen Einfluss. Das kommt einem auch im Alltag zugute … Grieder: Wobei ich immer sage, dass man eine charakterliche Grundveranlagung braucht, um Schiedsrichter sein zu können. Vor allem, wenn man eine internationale Karriere anstrebt.
Bei Yves Kälin geht es voran, doch bei Ihnen Herr Grieder, läuten die Altersglocken: Sie sind 55 Jahre alt – zu alt für Schiedsrichter?
Grieder: Das ist so. Im Jahr des 55. Geburtstages darf man international bis zum Ende des Jahres Spiele leiten, national bis zum Ende der Meisterschaft – also bis im Frühjahr 2020. Vom Wollen und Können her könnte ich schon noch weitermachen. Aber jeder Schiedsrichter kennt diese Regelung. Volleyball kann keine Methusalems auf dem dem Schiedsrichterstuhl haben und gleichzeitig den Sport als dynamisch und jung vermarkten. Das ist schon in Ordnung so. 40 Jahre sind ja auch eine lange Zeit. Und seit ich international pfeife, wurde mein Hobby zu einer Ganzjahres- Beschäftigung. Da kommt eine gewisse Sättigung auf. Es darf durchaus auch einen Wechsel geben.
Wie blicken Sie zurück – hat es sich gelohnt? Grieder: Ja. Ich würde wieder denselben Weg einschlagen. Erlebnisse, Erfahrungen, Netzwerke … sind einmalig. Ein Gewinn. Wenn Sie jetzt den 27 Jahre jüngeren Yves Kälin anschauen: Wo könnte er von Ihren Erfahrungen profitieren? Grieder (schaut Yves an und lacht): Am Morgen immer rasieren …! Wir können Spiele gemeinsam analysieren. Ich kann ihm sagen, was er als Schiedsrichter machen und was besser lassen sollte – vor allem bei internationalen Einsätzen. Wir Schweizer sind es gewohnt, «zu allem unseren Senf zu geben». In anderen Kulturen ist das verpönt. Da muss man halt auch einmal nur zuhören, schweigen und schlucken, was die Offiziellen einem sagen. Aber nicht ohne darüber nachzudenken, was der Offizielle einem eigentlich mitteilen wollte.
Und Sie, Herr Kälin, was möchten Sie von Stephan Grieder wissen? Kälin: Für mich war und ist es sehr gut, einen so erfahrenen Schiedsrichter wie Stephan vor Ort, hier in Einsiedeln zu haben. Die Reflexion mit ihm bringt mich enorm weiter. Es braucht aber auch die Bereitschaft, sich selbst hinterfragen zu wollen. Wenn man selber nicht bereit ist, an sich zu arbeiten, bringt alles nichts. Grieder: Dem pflichte ich bei: Ehrliche Selbstreflexion nach jedem Spiel ist der Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg.
Stephan Grieder – rechts – an der Europameisterschaft 2019 in Frankreich (im Spiel Italien gegen den Gastgeber).
Yves Kälin leitet mehrheitlich Spiele in der Nationalliga A. Fotos: zvg
Stephan Grieder (links) mit der internationalen Schiedsrichter-Uniform und Yves Kälin mit der nationalen Uniform. Foto: Victor Kälin