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Vergänglichkeit und ewige Verwandlung

Vergänglichkeit und ewige Verwandlung Vergänglichkeit und ewige Verwandlung

Schweiz2291: Podiumsgespräch «Ewiger Tod, ewiges Leben» in Einsiedeln

Am Freitagabend diskutierten Fachleute und lokale Gäste im Grossen Saal des Klosters über die Bedeutung des Todes, über ein mögliches Jenseits und die individuelle Vorstellung von Ewigkeit.

GINA GRABER

Das von Kurt Aeschbacher feinfühlig moderierte Podiumsgespräch regte das Publikum dazu an, sich über die eigene Vergänglichkeit und den Sinn des Lebens Gedanken zu machen.

Im Rahmen des Projekts «Schweiz2291» ist ein Sammelband mit Generationengesprächen zur Zukunft erschienen. Begleitend finden in der Deutschschweiz laufend verschiedene Veranstaltungen zum Thema Zukunft statt. Die Idee: Im Jahr 2291 wird die Schweizerische Eidgenossenschaft ihr 1000-jähriges Bestehen feiern können. Etwa sieben Generationen nach uns werden Menschen dieses Jubiläum gestalten. Wie wäre es, wenn wir oder unsere Kinder diese Feierlichkeiten selbst erleben könnten? Möchten wir dreihundert Jahre alt werden?

Der barocke Rahmen

Christian Häuselmann, Initiant des Projekts «Schweiz2291», begrüsste das Publikum im zur Hälfte gefüllten Barocksaal, der als Rahmen für dieses Podiumsgespräch nicht hätte passender sein können. Abt Urban Federer lenkte die Blicke des Publikums in den Saal: Die üppigen Formen des Barocks≠, seine dramatisch gemalten Szenarien, die den Blick immer wieder in den offenen Himmel schweifen lassen, spielen allegorisch mit dem Tod und der Ewigkeit. Vor 300 Jahren hatte gerade der 30-jährige Krieg begonnen. Während der folgenden drei Jahrzehnte sollten Tod, Hunger, Pest und Trostlosigkeit über die europäische Bevölkerung herrschen. Der barocke Prunk in den Kirchen diente nicht zuletzt dazu, den Menschen ein Fenster zum Himmel zu öffnen und Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Tod zu versprechen, auf dass sie vor lauter Hoffnungslosigkeit nicht dem Glauben abschworen.

Wären wir im Zeitalter des Barocks geboren, wären wir heute 300 Jahre alt. Unsere Lebenserwartung liegt heute bei gut 80 Jahren, Tendenz steigend, 110 Jahre scheinen keine Utopie mehr zu sein. Moderator Kurt Aeschbacher ergründete subtil die Vorstellungen und Visionen seiner Gesprächspartnerinnen und -partner, darunter auch Charlotte Schneider, die als junge Mitautorin bei «Schweiz2291» beteiligt war. Sie denke nicht so oft ans Sterben, möchte nur so lange leben, wie sie glücklich sein könne und hofft, dass die Schweiz 2291 noch existieren wird.

Die Vergänglichkeit

Die Frage nach dem Sinn des Lebens beschäftigt jeden einzelnen, besonders in Krisenzeiten. Philosophen wie Robert Unteregger versuchen dem Dasein auf den Grund zu gehen und es zu erklären. Wir wissen nicht, ob ein längeres Leben mehr Sinnhaftigkeit bedeuten oder vermehrt Probleme generieren wird. Der Berner Zukunftsphilosoph plädierte dafür, sich jetzt, in der Gegenwart, mit der Zukunft auseinanderzusetzen, um sie gestaltbar zu machen. Für Unteregger ist das Leben ein Mysterium, nicht der Tod. Abt Urban gab zu bedenken, dass man sich mit dem Tod abstrakt ganz gut befassen könne. Sich mit dem eigenen Sterben auseinanderzusetzen, falle hingegen den meisten Menschen schwer. Bernhard Jungen, ehemaliger reformierter Pfarrer und Betreiber einer mobilen Bierbar, sieht den Tod als unseren Lehrmeister, der uns zwingt, uns selbst immer wieder die Sinnfrage zu stellen und unsere irdischen Tage mit Leben zu erfüllen. Tatsache ist: Das ewige biologische Leben gibt es nicht, auch ein langes Leben endet im Tod.

Nach den anspruchsvollen philosophischen und religiösen Betrachtungen setzte sich Pater Theo Flury musikalisch mit den Themen des Abends auseinander. Gleichsam auf einer melodisch fliessenden Zeitachse improvisierte er nacheinander auf dem Cembalo, dem Flügel und der kleinen Saalorgel über Vergänglichkeit, Tod und Ewigkeit. Frenetisch applaudiert, liess er es sich nicht nehmen, die mündlichen Statements seiner Vorredner als Sprachspiele zu entlarven: «Niemand war mit seinen Aussagen wirklich bei sich selbst, jeder ist seiner Rolle als Abt, als Pfarrer, als Philosoph verpflichtet.» Jedoch: Von Selbstzweifeln geplagt, hat auch Pater Theo keine Lösung, mit der Vergänglichkeit und der Vorstellung von der Ewigkeit umzugehen.

Die ewige Verwandlung Stiftsschülerin Adriana Bamert bekräftigte ihre Vorstellung vom Jenseits, an das sie fest glaubt (siehe «Smalltalk» im EA vom 19. November). Schöner und einfacher stellt sie sich diese «andere Dimension» vor, in welcher die Seelen sich befänden. Lukas Bärfuss war in seinen Aussagen fassbarer als seine Vorredner: «Wir sind alle noch nie gestorben und sind entsprechend überfordert mit dem Sterben, aber das Leben gibt es nur dank dem Tod, darüber zu hadern ist sinnlos.» Der Literat bezeichnete das ewige Leben als Widerspruch in sich und stellt sich lieber eine «ewige Verwandlung » vor. Seine allegorische Vorstellung von der Seele als Lufthauch hatte etwas Zuversichtliches und Tröstliches.

Angesprochen auf das Einsiedler Welttheater 2020 gab er zu bedenken, dass sich seit Calderon die gesellschaftlichen Werte verändert hätten, vieles, was damals galt, gilt heute nicht mehr, aber gottlos werde das Theater nicht: «Gott ist nicht tot, auch wenn wir nicht immer wissen, was wir mit ihm anfangen sollen.»

Das Glück im Jetzt

«Der Tod ist nichts Exklusives, das Leben ist das Besondere», betonte Lukas Bärfuss. Eine Aussage, die auch Conny Wagner, die letzte Gesprächspartnerin des Abends, unterstützte. Die Künstlerin aus Sempach durchlebt seit sechs Jahren eine Brustkrebserkrankung, ein eigentlicher Totentanz, der sie aufs Heftigste mit den ganz fundamentalen Fragen des Lebens und des Sterbens konfrontierte: «Was ist wichtiger, möglichst lange zu leben oder das Leben, das man hat, zu schätzen und zu geniessen? » Für Conny Wagner ist vieles unwichtig geworden, was vor ihrer Erkrankung Gewicht und Bedeutung hatte. Die Kunst ist heute ihr Leben, dank ihr fand sie Zufriedenheit und Glück im Hier und Jetzt.

www.schweiz2291

Pater Theo Flury begeisterte mit seiner Improvisation auf drei Instrumenten.

Die Gesprächsteilnehmenden erörterten die Thematik aus ihrer persönlichen Perspektive (von links): Philosoph Robert Unteregger, Moderator Kurt Aeschbacher, Ex-Pfarrer Bernhard Jungen, Abt Urban Federer und Studentin Charlotte Schneider. Fotos: Gina Graber

Kurt Aeschbacher, hier im Gespräch mit Adriana Bamert, führte mit viel Empathie durch den Abend.

«Ewigkeit bedeutet für mich, bei Gott zu sein.»

Abt Urban Federer, Germanist

«Ich bin ein Zweifler und habe es auch nicht immer leicht mit mir.»

Pater Theo Flury, Musiker

«Ich glaube, ich bin ein glücklicher Mensch, weil ich mir treu geblieben bin.»

Conny Wagner, Künstlerin

«Der Tod ist nichts Exklusives, das Leben ist das Besondere.»

Lukas Bärfuss, Schriftsteller

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