«Wir können gut loslassen»
Paul Jud, Autor von «Meiri und der Nuggi-Baum», und Toni Ochnser, Illustrator des Werks, stehen Red und Antwort
Mit dem zehnten Kinderbuch aus der Feder von Paul Jud und Toni Ochsner kommt eine berühmte Einsiedler Buchreihe an ihr Ende. So wie sich Kinder vom Nuggi lösen müssen, nehmen nun der Autor und sein Illustrator Abschied von ihrer Buchserie.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Wie kam es zu den Kinderbüchern rund um den Meiri? Paul Jud: Es begann mit dem Buch «Meiri und der Mond», das im Jahr 2010 erschienen ist. Am Anfang war das einfach mal eine Kindergeschichte, die für sich alleine stand. Als mich dann die Leute gefragt haben, ob es nicht eine Fortsetzung geben könnte, weil sie die Geschichte gut fanden, kam uns die Idee, eine Buchreihe zu starten. Wir haben von Anfang an festgelegt, dass die Reihe zehn Bücher umfassen und dass in jedem Jahr ein Werk erscheinen soll. Und darum ist jetzt auch Schluss. Definitiv. Wieso heisst der Bub ausgerechnet Meiri? Toni Ochsner: Das ist ein vollends typischer Einsiedler Vorname. Eigentlich kommt dieser Name eh vor allem im Klosterdorf und in der Region rundherum vor. Das war uns wichtig, dieser Name, weil die Geschichten spielen ja alle vorwiegend in Einsiedeln, wenn sie nicht gerade auf dem Mond über die Bühne gehen. Der Meiri selbst ist in jeder Geschichte so um die sieben bis zehn Jahre alt – und er ist auch immer gleich alt geblieben.
Wie sind die Geschichten der Kinderbücher entstanden? Paul Jud: Die Ideen sind mir immerzu so vom Himmel her auf den Kopf gefallen. Da musste ich mir nie gross den Kopf darüber zerbrechen. Weil ich Toni Ochsner schon lange kenne, hat sich die Zusammenarbeit mit ihm als Illustrator naturgemäss ergeben. Die Objekte in der Geschichte, die Spielorte etwa, die haben wir jeweils gemeinsam miteinander erarbeitet.
Haben Sie sich jeweils in den Bereich des anderen eingemischt? Toni Ochsner: Nein, höchstens denn in kleinen Details. Wenn ich etwa festgestellt habe, dass gewisse Sachen nicht ganz faktengetreu abgebildet werden, habe ich reagiert und auf die Fakten hingewiesen. Wie zum Beispiel im aktuellen Buch, als Fragen zu den korrekten Abläufen im Spitalwesen aufgetaucht sind.
Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen: Wie fällt Ihr eigenes Fazit zu den Büchern aus? Paul Jud: Es freut mich, dass die Kinderbücher bei den Einsiedlern auf vielfältige Art und Weise Anklang gefunden haben. Das hat naturgemäss mit dem vielen Lokalkolorit zu tun, der in den Büchern zu finden ist. So ist etwa zu beobachten, dass immer wieder mal Grosseltern mit ihren Enkelkindern zusammen die Orte aufsuchen, die eine Rolle spielen in den Geschichten. Wir haben ja auch ganz Naheliegendes zum Thema gemacht, das alle kennen: den Weihnachtsmarkt, die Viehschau, die Fasnacht, das Altersheim und die Fussballschule.
Welches war das erfolgreichste Buch und weshalb? Paul Jud: In die Geschichte eingegangen ist das Buch «Meiri und das Schaf Lili»: Das war bei den Kindern ein richtiger Hit, einfach weil sie das Buch herzig fanden, berührt wurden davon. «Meiri und die Fussballschule» hat auch grossen Anklang gefunden. Gedruckt wurden alle Werke in unserem eigenen Vogelherd- Verlag Einsiedeln in einer Auflage von 500 Büchern. Dank Beiträgen von Sponsoren konnten wir die Produktionskosten der Bücher immerzu abdecken.
Gibt es auch ein Buch, das nicht so Anklang fand beim Publikum?
Toni Ochsner: Ja, das Buch «Meiri und der Werkspion», das sich um das Unternehmen HLM dreht, kam nicht so gut an. Werkspionage ist wohl als Thema etwas zu abgehoben und abstrakt. Und für die Kinder zu kompliziert.
Welche Geschichten finden Sie selber die besten? Paul Jud: Mein Favorit ist das Buch «Meiri und der Weihnachtsstern »: Das handelt von einem grossen Stern, der von der riesigen Weihnachtstanne heruntergefallen ist. Als dann in der Realität, ein paar Wochen nach der Buchvernissage in der klostereigenen Schmiede, der Stern am Weihnachtsmarkt in Einsiedeln in der Tat runtergefallen ist, galten wir plötzlich über Nacht als Propheten im Land (lacht).
Hatten Sie nie einen Schreiboder Zeichnungsstau? Toni Ochsner: Nein, das ist eigentlich nie vorgekommen. Ich war ja immerzu auch sehr frei im Illustrieren der Bücher. Ich hatte die völlige Freiheit, aus einer Seite Text von Paul Jud ein bestimmtes Sujet auszuwählen und dieses zeichnend umzusetzen. Da waren meiner Kreativität keine Grenzen gesetzt.
Wie sind Sie zum Schreiben und Zeichnen gekommen? War dies ein Bubentraum von Ihnen? Toni Ochsner: Ich hätte gerne eine Kunstschule besucht. Aber da waren meine Eltern dagegen, es fehlte hierzu schlicht das Geld für diese Ausbildung. Als während meiner Hochbauzeichner-Lehre Zeichnungen von mir in Umlauf kamen, sagten Leute: Schmeiss die Lehre hin und besuche die Kunstschule. Aber ich habe die Lehre abgeschlossen und dann als Architekt selber Lehrlinge ausgebildet. Als kleines Kind hatte ich bereits «än Egge ab»: Ich zeichnete im Korridor, vollends im Dunkeln, blindlings aus der Phantasie – ohne dass ich gesehen habe, was auf dem Blatt entstanden ist.
Paul Jud: Ich hätte auch lieber einen anderen Beruf ergriffen, als Schriftsetzer zu werden. Ich wollte Archäologe werden. Aber ein Studium in Angriff zu nehmen, war unmöglich: Wir waren neun Kinder, eines davon krank. Bereits mit 15 Jahren habe ich begonnen, für Jugendzeitschriften und Lokalzeitungen Konzertberichte zu schreiben. Für die Lehrabschlussarbeit habe ich mich dem Familiengeschlecht Jud gewidmet, das bis ins Jahr 1650 zurückgeht. Fortan habe ich mich als Chronist betätigt und über vierzig Vereinschroniken verfasst. Als Vater bin ich für meine Kinder als Märchenerzähler in Aktion getreten: Sie gaben mir ein Stichwort vor, zum Beispiel eine Blume in einer Vase,und dann musste ich eine Geschichte rund um diese Blume erfinden – während exakt zehn Minuten.
Welche Projekte nehmen Sie nach «Meiri und der Nuggi- Baum» in Angriff? Paul Jud: Es folgt ein historischer Roman, der auf historischen Ereignissen basiert: Die Geschichte in der Zeit des Zweiten Weltkrieges handelt von einem Mann im Südtirol mit einer Hasenscharte. Um diese zu übertünchen, lässt er sich einen Hitlerschnauz wachsen, weil er ein Anhänger von Adolf Hitler ist. Die Nazigestalten und Ereignisse werden faktengetreu aus der Geschichte übernommen, der Rest ist erfunden. Toni Ochsner: Ich werde diesen Roman illustrieren. So wie ich dies bereits mit den publizierten Büchern von Paul Jud gemacht habe («Die Himmelfahrt des Johannes », «Totentanz» und «Schöne Wehmut»).
Wie sind Sie auf die Idee des aktuellen Buches gekommen? Paul Jud: Die Idee hatte der Kinderarzt Stephan Rupp, der vom Nuggibaum im Tierpark Goldau gehört hatte und fand, es bräuchte auch einen Nuggibaum in Einsiedeln – idealerweise beim Spital. Denn im Buch geht es ja um verunfallte Kinder, die im Notfall landen und dann im Spital getröstet werden müssen – vorerst durch einen Nuggi. Es ist eine Geschichte um eine Art «Nuggi-Entsorgung»: Kleine Kinder geben ihren Nuggi weiter und verlieren die Angst vor Arzt und Spital.
Was haben Sie selbst als Kind oder als Vater mit dem Nuggi erlebt? Toni Ochsner: Ich muss wohl so zwei Jahre alt gewesen sein, als bei mir der Nuggi entsorgt wurde. Bereits in den früheren Zeiten hat man die Eltern dazu angehalten, den Kindern möglichst bald den Nuggi abzugewöhnen. Gestaunt habe ich bei meinem Enkelkind, wie dieses den Entzug des Nuggis mit dem Verspeisen von Oliven kompensierte. Olive statt Nuggi (lacht)!
Im Buch geht es auch um Ängste von Kindern rund um das Spital. Haben Sie da auch eigene Erfahrungen gemacht? Paul Jud: Mit eineinhalb Jahren war ein Spitalaufenthalt notwendig wegen eines falschen Mageneingangs. Und mit etwa drei bis vier Jahren musste ich wegen einer Hirnhautenzündung ins Spital. Als Bub allein im Spital: Das löst natürlich Einsamkeit, Heimweh und Ängste aus. Mit dem Aufhängen des Nuggis an den Baum sollen also auch Ängste vor dem Spital gebannt werden. Das Buch richtet sich auch an junge Mütter, die sich ja sehr sorgen, wenn ihr Kind ins Spital muss. Und weil die Äste des Nuggibaumes hoch hängen, müssen eh die Mütter den Nuggi an den Baum hängen.
Nuggi steht für den Start ins Leben, das Spital oftmals für das Ende des Lebens. Schliesst sich mit Ihrem Buch ein Kreis? Toni Ochnser: Definitiv geht es bei der Geschichte um Heilung und nicht um den Tod. Wenn sich das Buch um den Tod drehen würde, hätten die Kinder möglicherweise erst recht Angst vor dem Spital.
Einsiedler Mönche stellen das Buch vor. Ist das Zufall? Paul Jud: Ursprünglich hat Abt Urban die Einführung gemacht. Und weil er das so toll gemacht hat, sind wir gleich bei den Benediktinern geblieben. Die Buchvernissage ist ja auch keine «normale» Lesung, an der wir einfach aus dem Buch vorlesen. Vielmehr gehen wir wie bei den bisherigen Vernissagen wie immer an den Ort des Geschehens. Diesmal also ins Spital Einsiedeln.
Fällt Ihnen selbst das Loslassen, das Abschiednehmen schwer? Toni Ochnser: Wir können gut loslassen und schauen immerfort vorwärts. Das ist mir schon bei der Arbeit für den «Nebelspalter » und der Glasmalerei so ergangen: Ich habe das alles gerne gemacht, das Loslassen war dann kein Problem für mich.
19. November, 19.30 Uhr, Spital Einsiedeln: Buchvernissage. Pater Aaron Brunner stellt das Bilderbuch «Meiri und der Nuggi-Baum» vor.
Toni Ochsner (links) und Paul Jud unter dem Nuggibaum beim Spital Einsiedeln. Foto: Magnus Leibundgut