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Der Blickfang auf dem Dach

Der Blickfang auf dem Dach Der Blickfang auf dem Dach

Einsiedelns Architekt Toni Ochsner über seinen futuristischen Bau auf dem renovierten «Waldstatt»-Gebäude

Die Renovation des denkmalgeschützten Hotels Waldstatt in Einsiedeln sorgt für Gesprächsstoff im Klosterdorf. Vor allem der moderne, dunkle Anbau auf dem Dach. Was hat sich Architekt Toni Ochsner dabei gedacht?

WOLFGANG HOLZ

Die einen im Klosterdorf erinnert der futuristische Aufbau auf dem Dach des früheren Hotels Waldstatt an der Hauptstrasse an jenes «Vogelnest» von Peking. Sprich: an das Olympiastadion, mit dem die Schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron die Welt 2008 in Staunen versetzten. Andere denken spontan an ein Gefängnis – wenn sie die Fenster hinter dem grauen Gitter erspähen.

Keine Frage. Dieser Bau polarisiert. Aber so manches Gebäude, das Architekt Toni Ochsner entworfen hat, gab bekanntlich zu reden. Das sieht der 68-jährige Einsiedler selbst so. Öffentliche Reaktionen auf seine Bauten sind schon fast ein Markenzeichen von ihm. «Meine Bauten wurden mehrmals zu Fasnachtsthemen, beispielsweise das blaue Personalhaus beim Spital, das Haus Franziskaner vor seiner jetzigen Gestaltung und auch mein Eigenheim», sagt der Architekt, der auch das Schulhaus in der Nordstrasse und die Cineboxx entwarf.

Zeitgemässe Antwort

Aber im Grunde kann einem Architekten ja nichts Besseres passieren, als im Gespräch zu bleiben. Das ist beste Werbung. Und Toni Ochsner musste nie auswärts suchen: «Ich habe immer genügend Aufträge in Einsiedeln gehabt und auswärts baute ich nur auf speziellen Wunsch.» Doch zurück zum «Vogelnest» auf dem Dach. «An Herzog & de Meuron habe ich bei meinem Bau nicht gedacht. Das ist einfach meine zeitgemässe Antwort für eine Aufstockung auf ein denkmalgeschütztes Haus», erklärt Ochsner und zeigt himmelan. Die Denkmalpflege habe seine Pläne genehmigt. «Ich wollte durch den baulichen Gegensatz für den Betrachter signalisieren: Der Kern ist das alte, historische Gebäude, oben auf dem Annexbau der zeitgenössische Neubau », so der Architekt.

Der «Lattenverschlag» aus grauen Kunstharzverstrebungen lockere dabei die dunkle Fassade auf und belebe sie durch ihre diagonalen und senkrechten Linien. «Er lässt den aufgebauten Körper als Einheit erscheinen», erklärt Ochsner. «Die nach oben auslaufende Struktur zeigt auf, dass auch dieser Aufbau nicht das Endgültige sein muss, die Zukunft darf kommen.» Der dunkle Hintergrund verleihe der Struktur Tiefe, die bei sonnigem Wetter durch das Schattenspiel noch lebendiger werde. Das historische Geländer mit den Mauerpfeilern an der Dachbrüstung sorge für einen zusätzlichen interessanten Kontrast zu der modernen, dahinterliegenden Gitterstruktur.

Optische Wechselspiele Und während im alten Gebäude die Fenster als regelmässige Öffnungen in Erscheinung treten würden, verstecke der Gitterrost geheimnisvoll die Unregelmässigkeit der Fenster bei der Aufstockung. «Der neue Bauteil tritt so konsequenter als Körper auf», sagt der Einsiedler Architekt.

Durch diese «Loch-Fassadenverkleidung » ergeben sich changierende optische Wechselspiele zwischen dem freien und dem verstellten Blick – schaut man von den Wohnungen nach draussen. «Auf dem Eckbalkon in der oberen Wohnung wird einem durch diese Mischung von offen und geschlossen das Gefühl einer schützenden Räumlichkeit vermittelt», erklärt der Architekt. Raffiniert. Ein versteckter Ausguck sozusagen.

Trotzdem. Erinnern diese verstellten Panoramen nicht doch ein bisschen an ein Gefängnis? «Im Gefängnis sind die Gitterstäbe deutlich enger, hier könnte noch jeder Gefangene durch die Öffnungen abhauen», kontert der Architekt schmunzelnd. Zudem seien alle Räume der 4,5- und der 3,5-Zimmerwohnung sehr hell und freundlich gestaltet.

In der Tat wirken die Blockholzplatten aus Tannen-«Massivholzstäben » an der Decke, an den Wänden und vor allem an den riesigen Dachschrägen in Kombination mit dem freigelegten Mauerwerk sehr warm und behaglich. Nicht zuletzt sind alle Fenster – ausser jener der neuen Aufstockung – ohne Fassadenverkleidung und lassen so viel Licht in die geräumigen Wohnungen strömen.

Viel Erfahrung mit Historie

Noch ist das ehemalige Hotel Waldstatt, in dem kürzlich das «Booze 38»-Lokal im Erdgeschoss neu eröffnete, nicht fertig renoviert. «Aussen fehlen noch das Geländer für den Balkon im zweiten Stock, die Jalousien und andere Kleinigkeiten», erklärt Architekt Toni Ochsner. Diese werden ebenfalls im historischen Stil gestaltet sein.

Die Erfahrung mit denkmalgeschützten Bauten, wie etwa dem «Josefschappeli» und die Kirche in Euthal sowie nicht zuletzt seine jetzt zeitgenössische künstlerische Tätigkeit, so Ochsner, haben ihm geholfen, die Vergangenheit mit der Neuzeit gelungen zu verbinden. «Dies wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht ein aufgeschlossener und für das Neue offener Bauherr wie Beda Kälin voll dahinter gestanden wäre!» Einsiedeln kann sich auf jeden Fall jetzt schon freuen über die Renovierung der «Waldstatt». Das Gebäude mit dem spektakulären Dachaufbau verleiht dem Bahnhofplatz, dem zweifellos belebtesten, aber gleichzeitig wohl bislang vernachlässigsten Platz im Klosterdorf eine interessante stilvolle und urbane Note.

«Im Gefängnis sind die Gitterstäbe deutlich enger, hier könnte noch jeder Gefangene durch die Öffnungen abhauen.»

Toni Ochsner, Architekt

Der Bahnhofplatz erfährt mit der Renovation der «Waldstatt» und dem futuristischen Aufbau eine architektonische Aufwertung.

Architekt Toni Ochsner vor dem futuristischen Gitterrost des Dachaufbaus der «Waldstatt».

Fotos: Wolfgang Holz

Innen sind die Dachwohnungen warm und behaglich ausgestattet.

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