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Sandstein ist seine Leidenschaft

Sandstein ist seine Leidenschaft Sandstein ist seine Leidenschaft

Über 30 Jahre arbeitete Arthur Baschnagel als Steinmetz in der Klosterwerkstatt – wo er jetzt sein letztes Werk vollendet

Hart. Kalt. Leblos. So würden nicht wenige das Wesen von Steinen beschreiben. Wer indes mit Steinmetz Arthur Baschnagel spricht, spürt, wie viel Leben Steine haben und entfachen können. Ein Augenschein in der Werkstatt des Klosters.

WOLFGANG HOLZ

Sie stehen wie Zwillingsschwestern nebeneinander. Sie haben beide die gleiche Grösse und wirken in ihrer Haltung und Figur fast identisch. Vor allem sind beide erstarrt zu Stein.

Original und Kopie

Die Rede ist von den beiden Skulpturen in der Steinmetz-Werkstatt des Klosters Einsiedeln. «Die rechte Figur hier ist das Original. Sie wird im Werkkatalog von Peter Felder offiziell als attributlose Gewandfigur, die Linke an den Rücken gelegt» beschrieben, erklärt Steinmetz Arthur Baschnagel. Die linke ist ihre Kopie. Ihr Klon quasi.

Allegorien sind zumeist Frauengestalten, die bildlich abstrakte Begriffe symbolisieren. Wie etwa «Justitia», die mit ihrer Waage in der Hand darauf hindeutet, das Richter ihr Urteil sorgfältig abwägen sollen, bevor sie im Sinne der einen oder anderen Partei Recht sprechen. In der Klosterkirche Einsiedeln findet man viele solcher Symbolfiguren, die an den Seitenaltären moralische Tugenden verkörpern – wie die Wahrheit, die Liebe, das Vertrauen, die Hoffnung und der Zorn.

Neue Skulptur kommt am Klosterplatz zu stehen Die Allegorie-Skulptur, die 1,60 Meter gross und knapp eine Tonne schwer vor Arthur Baschnagel auf einem Sockel posiert, lag bis vor drei Jahren in Teilen stark beschädigt auf einem Lagergestell der Klostersteinhauerei. Der Bildhauer Johann Baptist Babel habe sie zwischen 1749 und 1751 in Sandstein gehauen. «Nun wird die Skulptur im Zuge der Klosterplatzsanierung durch eine Kopie ersetzt – das ist meine letzte Arbeit, bevor ich Ende November in Pension gehe», sagt der 65-Jährige.

Seit 1983 arbeitet Arthur Baschnagel in der Steinmetz-Werkstatt des Klosters. Diese 37 Jahre klingen wie eine halbe Ewigkeit. Aber angesichts der Tatsache, dass Steine über Jahrtausende durch Gebirgsfaltungen und Gletscherschmelzen geschliffen und geformt wurden, wirkt dieser Zeitraum ganz und gar nicht wie bereits in Stein gemeisselt.

Zumal die bildhauerische Leidenschaft nach wie vor aus den Augen des gebürtigen Zürchers sprüht. Ebenso wie seine Leidenschaft für Sandstein. Denn das ist das Material, mit dem sich Baschnagel am meisten in seiner Steinmetzzeit auseinandergesetzt hat. «Sandstein ist der Stein, der hier in der Region am meisten vorkommt und abgebaut wird.»

Mörtel als Botox

Aus Etzel-Sandstein gehauen ist besagte Original-Allegorie, die vor ihrem Schoss einen Blumenstrauss in der Hald hält, während sie ihren linken Arm grazil hinter ihrem Rücken versteckt. Obwohl die «Barock-Dame» schon fast 300 Jahre auf dem Buckel hat und stets Wind und Wetter ausgesetzt war, hat sie sich für ihr Alter eigentlich gut gehalten. Sie strahlt nach wie vor Anmut und weiblichen Charme aus. Doch Bildhauer Baschnagel relativiert diesen Eindruck und deutet auf die schadhaften Stellen hin, an denen die Skulptur vor Jahren «aufmodelliert» worden sei. Mörtel wird auf diese Weise zum Botox für steinerne Brüche und Falten.

Die Kopie, an welcher der Bildhauer nun schon seit einem Jahr arbeitet, wirkt im Gegensatz dazu natürlich frischer und jugendlicher. Die helle Leholz-Sandstein- Skulptur leuchtet geradezu. Allerdings fehlt ihr noch die Patina der skulpturalen Reife. Nur der Kopf und der Blumenstrauss sind noch nicht fertig behauen. Die vielen roten Punkte im Gesicht der Schönheit zeigen, wie aufwendig das Vorgehen des Bildhauers ist, bevor er mit Fäustel und Spitzeisen den Stein bearbeitet: Punktgenau werden mit der «Punktiermaschine», einer Art Zirkel, der an einem Holzgestell befestigt ist, mechanisch exakt die körperlichen Ausmasse des Originals in ihren Dimensionen auf die Kopie übertragen. Eine Sisyphusarbeit. Zeitungshut wider den Staub

«Die Arbeit eines Steinmetzes ist körperlich streng und erfordert viel Ausdauer und Geduld. Es dauert wirklich lange, bis man das Handwerk beherrscht », räumt Baschnagel ein. Ganz zu schweigen von dem vielen Staub, der in alle Körperporen dringt. Aus diesem Grund trägt der Steinmetz auch einen Hut aus Zeitungspapier während der Arbeit, um seine Haare vor dem Staub zu schützen. Trotzdem liebt er die Arbeit mit Stein über alles – «weil sich daraus etwas Neues entwickeln kann.» Wobei sich das Schaffen der Steinmetze in der Klosterwerkstatt nicht immer derart stilbildend barock gestaltet wie bei dieser Figur. Sie ist oft auch rein handwerklich. Mussten doch unzählige Fenstereinfassungen und Treppenstufen im Kloster über all die Jahre hinweg fachmännisch restauriert, Balustraden und Torbögen ausgebessert werden. Eine besondere Arbeit waren für Baschnagel und seine Kollegen etwa die zwei westlichen steinernen Kamintürchen auf dem Dach des Klosters.

Magische Wirkung Aber hätte es ihm nicht auch Spass gemacht, wie Michelangelo Marmor künstlerisch zu formen? «Typischen Marmor finde ich eher langweilig», lautet die überraschende Antwort des Steinmetzmeisters. Auch polierte Grabmale sind nicht sein Ding. «Die Trauer um einen lieben Menschen verändert sich, da darf ein Grabstein auch verwittern », ist Arthur Baschnagel überzeugt. Dass Stein auch die Leichtigkeit des Seins auszudrücken vermag, beweist der Steinmetz mit seinen kuriosen «Krümmlingen ». Diese gaukeln dem Betrachter auf magische Weise vor, Stein sei so weich und biegsam wie Schaumgummi.

«Mir ist wohl mit Sandstein.»

Arthur Baschnagel

«Die Arbeit eines Steinmetzes ist körperlich streng und erfordert viel Ausdauer und Geduld.»

Arthur Baschnagel

Hammerhart: Sammelsurium an Knüpfeln und Fäusteln.

Leichtigkeit des Seins aus Stein: Kurioser «Krümmling»

In der Steinmetz-Werkstatt des Klosters: Arthur Baschnagel vollendet sein letztes Opus – die Kopie einer Allegorie-Figur aus Sandstein.

Das Original wird vermessen.

Spitzeisen-Parade.

Skulpturenfriedhof in der Klosterwerkstatt. Fotos: Wolfgang Holz

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