Jakobspilger Paul Jud: «Man ist mit sich selbst allein»
Pilger Paul Jud hat bereits eine Reihe von Jakobswegen abgeschritten. Die Begegnung mit sich selbst und mit interessanten Menschen unterwegs bereichern ihn.
Am vergangenen Wochenende hat Paul Jud den Jakobsweg Südtirol-Graubünden nach drei Jahren abgeschlossen. Es ist nicht der erste Jakobspilgerweg, den er zurückgelegt hat, aber jedesmal ist ihm der letzte Teil trotz der wochenlangen Strapazen schwergefallen. «Wenn man nahe am Ziel ist, wird man wehmütig und verlangsamt das Tempo, weil man den Weg nicht zu Ende kommen lassen will», erzählt er. So ging es ihm kurz bevor er den Dom von Santiago de Compostela erreichte, und ebenso am Sonntag, als er sich eine halbe Stunde vor dem Kloster Disentis befand. Seit 2012 ist Jud als Pilger unterwegs, als er zusammen mit seiner Frau von München über Bregenz bis Le Puys gewandert ist und von da aus alleine weiter bis Santiago de Compostela. Steiniger Weg durch Tiroler und Schweizer Alpen Der Jakobsweg durchs Südtirol und durch Graubünden hat eine Strecke von 500 Kilometern über insgesamt fast 28’000 Höhenmetern. Von Innsbruck führt er über den Brenner nach Bozen, Meran und Mals, dann nach Müstair, Scuol, Zernez, über den Scalettapass nach Davos, von da über Schatzalp und Strelapass nach Chur, Domat-Ems, Laax nach Disentis.
Nur einmal musste er ihn nach drei Tage starkem Regen abbrechen. Das will schon etwas heissen, denn normalerweise lässt sich Jud nicht so leicht vom Wandern abhalten. «Wenn man einmal gegangen ist, kann man nicht mehr aufhören. Man hat ein Ziel und kommt an», so Jud. Einsamkeit und bereichernde Begegnungen Pilgern ist eine einsame Sache. «Man ist stundenlang mit sich selbst allein», erzählt Jud. Und dennoch kommt es immer wieder zu erstaunlichen und bereichernden Begegnungen. In den Südtiroler Rebbergen wurde er mehrmals von den Bauern zu einem Glas Wein eingeladen. «Irgendwann musste ich ablehnen, weil ich sonst nicht mehr gehfähig gewesen wäre», erzählt er lachend.
Bei der Überquerung des Strelapasses stiess er auf zwei Jäger, die ihm erzählten, dass sie einen Rehbock verfolgen. Überraschenderweise waren sie bereit, ihn auf die Pirsch mitzunehmen, und nach zwei Stunden stand der Hirsch richtig, sodass er geschossen werden konnte.
Besonders eindrücklich war die Begegnung mit einem Buschauffeur in der Region von Müstair, der ihn gratis mitfahren lassen wollte. «Aber ich lehnte ab – ein Pilger fährt nicht», erzählt Jud. Das beeindruckte den Chauffeur offenbar so, dass er Jud eine Hunderternote in die Hand drückte. «Das Geld konnte ich tatsächlich gebrauchen, denn die nächste Unterkunft war ziemlich teuer – 100 Franken!» Heute sind viele Kirchen abgeschlossen Beeindruckend für Jud sind auch die zahlreichen Kirchen, Kapellen und Klöster entlang des Jakobwegs, in denen er die Kulturschätze aus dem 13. bis 16. Jahrhundert bestaunt, aber auch ausruht und ab und zu eine Kerze anzündet. «Leider sind heute vielerorts die Türen abgeschlossen, weil viel gestohlen wird.» Der Pilgerplan gibt Auskunft über die schönsten Kulturdenkmäler und gibt einen einfachen Wegbeschrieb. Das genügt Jud zur Orientierung, der ohne GPS-Navigation und Karte unterwegs ist. «Der Pilgerweg ist so gut ausgeschildert, dass ich nicht mehr als den Plan benötige», meint er stolz.
Fotografierender Pilger
Seine Wege und Begegnungen dokumentiert Jud fotografisch. Die Bilder stellt er später zu Präsentationen zusammen, die er an Vorträgen zeigt. Mittlerweile ist er ein routinierter Pilger, der seine Ziele und Möglichkeiten gut einschätzen kann. Er bricht frühmorgens auf, und sobald er weiss, wie weit er vorwärts kommt, avisiert er die Unterkunft für den Abend.
Doch trotz seiner Erfahrung hat er sich auch schon verrechnet. Einmal plante er, zwei Etappen an einem Tag zurückzulegen, da die Wegstrecke mit je knapp 20 Kilometern angegeben wurde. Doch er unterschätzte die vielen Höhenmeter, die dabei bewältigt werden mussten. «Das bringt einen an die eigenen Grenzen», so Jud. Neben der grossen Anstrengung ist oft die Hitze das grösste Problem. Darum führt Jud immer genügend Wasser im Rucksack mit sich und füllt an jeder Quelle kaltes Wasser nach. Luxus interessiert nicht mehr
Viel mehr braucht der einsame Wanderer, der stolz seinen Pilgerpass mit den vielen Stempeln vorzeigt, nicht. «Man ist ein wenig Zigeuner. Man gewöhnt sich an das Leben aus dem Rucksack, und mit der Zeit interessiert einen der Luxus nicht mehr.» Als Beweggründe für seine Pilgertouren gibt der gläubige Katholik sowohl die Religion wie auch die Begegnung mit sich selbst an. «Das Wandern ist eine gute Möglichkeit, mit alten Geschichten fertig zu werden – man kann die Vergangenheit nicht ändern, aber verarbeiten. Danach fühlt man sich leer, aber auch frei.»
Fotos: Paul Jud