Veröffentlicht am

Wackliges Schloss

Wackliges Schloss Wackliges Schloss

BRIEF AUS DEN USA

Wer träumt nicht davon, ein eigenes Schloss zu bauen? Genau diesen Traum hat sich Jim Bishop erfüllt. Im zarten Alter von 15 Jahren kaufte er sich mit seinem Rasenmähen- Verdienst ein Grundstück für 450 Dollar im Süden von Colorado, in der Nähe von seiner Heimatstadt Pueblo. Kurz nach der Hochzeit mit seiner Frau Phoebe begann der Kunstschlosser auf dem Grundstück im Wald ein Wochenend-Häuschen zu bauen. Mit eigener Muskelkraft baute er eine Schutzmauer darum herum. Die wenigen Passanten, welche die Baustelle von der Strasse aus sahen, wollten wissen, ob er ein Schloss baut. Die neue Idee war geboren. Während 50 Jahren baute Jim an seinem Schloss. Ohne Kran, ohne Hilfe, ohne Baupläne und vor allem ohne Baubewilligung und ohne Messlatte baute er ein wackliges Schloss.

Auch seine Krebserkrankung vor einigen Jahren und die darauf folgenden Behandlungen hielten ihn nicht ab, am Wochenende mühsam Stein für Stein aufeinander zu stapeln. Schon früh entschied Jim, die Dauerbaustelle für alle, egal ob arm oder reich, zugänglich zu machen. Bis heute wird kein Eintrittsgeld verlangt. Jeder kann das kuriose Schloss besichtigen, sofern er oder sie sich an einige Voraussetzungen hält. Der Zutritt erfolgt ausschliesslich auf eigenes Risiko. Auf der Willkommenstafel wird darauf hingewiesen, dass der Bauherr das in der amerikanischen Verfassung verankerte Recht auf Redefreiheit sehr ernst nimmt. Wem dies nicht in den Kram passt, hat im Schloss nichts zu suchen und wird automatisch zum Eindringling. Es wird auch erwähnt, dass Jim manchmal eine laute und unhöfliche Wortwahl gebraucht. Dies konnte er im jahrelangen Streit mit dem Bund um die Steine aus dem benachbarten Bundeswald erproben.

Wer sich von der Tafel und von einigen Gerüchten nicht einschüchtern lässt, kann im Bishop’s Schloss einen regelrechten Adrenalinschub erfahren. Eine fehlende Baubewilligung bedeutet nämlich auch fehlende Bauvorschriften. Das Resultat sind schiefe und unregelmässige Treppenstufen, wacklige Metallbrücken, ungesicherte Fensteröffnungen und fehlende Geländer. Wer sich auf den höchsten Turm von über 50 Metern wagt, wird mit einer spektakulären Aussicht auf die «nassen Berge» belohnt. Ich würde aber allen Besuchern davon abraten, durch den lückenhaften Gitterboden nach unten zu schauen.

Regula Grenier * Die Einsiedlerin Regula Grenier- Flückiger (*1973) zügelte 2007 nach Denver im amerikanischen Bundesstaat Colorado, am Fusse der Rocky Mountains. Seit 2011 wohnt sie im Nachbarort Thornton. Dort kamen 2011 Sohn Cody Frederick und 2015 Tochter Stephanie Nova zur Welt.

Share
LATEST NEWS