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Viel Glück beim Zahlen mit Ihrer Karte

Viel Glück beim Zahlen mit Ihrer Karte Viel Glück beim Zahlen mit Ihrer Karte

SEITENBLICK: MILITÄR UND MILIZ

FRITZ KÄLIN

Etwas vom Ersten, was man als Rekrut lernt, ist der «Sackbefehl». Das Portemonnaie mit dem «Sackgeld» trage ich immer im Hosensack.Auch zivil trage ich immer Bargeld auf mir. Und alltäglich warnen uns Behörden, Politik und die Medien (auch diejenigen, die uns vor zehn Jahren den Atomausstieg schmackhaft gemacht haben) vor drohendem Energiemangel in der kalten Jahreszeit. Es gilt wieder «Kluger Rat ist Notvorrat » und «Nur Bares ist Wahres».

Gewinnchance

In diesen Zeiten bekomme ich von meiner Bank folgendes Werbemail: «Überall mit Karte bezahlen. Ob im Supermarkt, im Restaurant oder im Online-Shop – mit Ihrer […] Kreditoder Prepaidkarte zahlen Sie schnell kontaktlos und im Inland sogar kostenlos. » Solange der Strom ausfällt, könnte ich zwar nirgends mehr mit Karte bezahlen. Das aber dafür kontaktlos und im Inland sogar kostenlos! Und vielleicht trage ich wegen meines rückständig-konservativen Naturells eh noch eine kleinere Menge Bargeld auf mir. Um mir auch diesen letzten monetären Notvorrat abzugewöhnen, hat meine Bank im Werbemailtext folgenden Anreiz eingebaut: «Registrieren Sie sich jetzt, und jede noch so kleine Zahlung bis am […] ist automatisch eine Gewinnchance. […] Je häufiger Sie also Ihre Kredit- oder Prepaidkarte zücken, desto mehr Chancen auf den Gewinn haben Sie.» Mit einer Kreditkarte müsste ich kein mit Krankheitserregern kontaminiertes Bargeld mehr auf mir tragen (was für eine einzigartige Fauna auf dem Touchscreen meines Smart-phones gedeiht, gehört nicht in diese Kolumne …). Aber noch immer bräuchte ich das Portemonnaie, weil dort ja die Kreditkarte reingehört. Und für das Portemonnaie braucht es einen Hosensack, und für diesen eine Hose … wie mühsam!

Sind Kreditkarten nicht eh ein Plastik-Relikt aus dem umweltfeindlichen 20. Jahrhundert? Müsste ich nicht ein schlechtes Gewissen ha-ben, wenn ich im Urlaub meine Kreditkarte achtlos ins Meer werfe? Nein! Denn zum Glück bietet meine Bank Bio-Kreditkarten an, die aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen und so 80 Prozent weniger Plastik benötigen. Tod dem Kapital?

Biokreditkarte

Aber falls mir auch die Bio-Kreditkarte noch immer zu wenig bequemlich, äh, nachhaltig ist: Meine Bank wäre nicht meine Bank, wenn sie auch dieses imaginäre Kundenbedürfnis nicht längst antizipiert hätte. Der «smarte», digitale Bürger (und die mindestens so smarte digitale Bürgerin) kann die Biokreditkarte getrost zu Hause lassen oder in die unberührte Natur schmeissen. Denn: «Ihr Smartphone wird zur Karte. Um mit Ihrer Karte weltweit und kontaktlos zu bezahlen, reichen Ihr Smart-phone und eine Bezahl-App […].» Bei einem Stromausfall wird unsere Gesellschaftsordnung wegen ein paar Stunden oder Tage ohne Strom (hoffentlich) nicht in eine Zombie-apokalyptische Massenselbstjustiz umschlagen. Irgendwer wird schon dafür sorgen, dass wieder Strom fliesst und die Handynetze wieder stehen. Damit der moderne Bankkunde wieder überall kontaktlos und im Inland sogar kostenlos bezahlen kann. Nachdem er zuerst seinen leeren Smartphone-Akku wieder aufgeladen hat – aber bitte mit Öko-Strom!

Wann denkt sich meine Bank endlich eine Möglichkeit aus, wie ich den Zugriff auf mein eigenes Geld verlieren kann, ohne dass ich ständig so ein Smartphone mit mir rumtragen muss? Die abschliessende Grussformel des Werbemails meiner Bank scheint einen Stromausfall jedenfalls zu antizipieren: «Viel Glück beim Zahlen mit Ihrer Karte.»

«Sind Kreditkarten nicht eh ein Plastik-Relikt aus dem umweltfeindlichen 20. Jahrhundert?»

Dr. phil. I Fritz Kälin, geboren 1986 in Einsiedeln, Matura an der Stiftsschule Einsiedeln 2005. Anschliessend Lizentiat/Doktorat an der Universität Zürich 2012/2016. Kälin ist Experte für Sicherheitspolitik und Militärgeschichte und im militärischen Rang als Fachoffizier (Hauptmann) tätig.

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