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«Die Politik entscheidet leider häufig ohne Blick auf den Vollzug»

«Die Politik entscheidet leider häufig  ohne Blick auf den Vollzug» «Die Politik entscheidet leider häufig  ohne Blick auf den Vollzug»

Der 38-jährige Illgauer Mario Bürgler ist seit bald vier Jahren Vorsteher des kantonalen Amts für Landwirtschaft. Ob er sich eingelebt hat, ob er den Puls der Landwirte fühlt und wo der Schuh gerade am meisten drückt, erzählt er im Interview.

SILVIA GISLER

Mario Bürgler, Sie sind seit vier Jahren als Leiter des kantonalen Amts für Landwirtschaft tätig. Haben Sie sich gut eingelebt?

Ja, ich habe mich sehr gut eingelebt. Die Leute, die Landwirte und die Mitarbeiter hier im Amt für Landwirtschaft waren sehr hilfsbereit, offen und engagiert. Ich habe sehr viel Neues dazu gelernt und würde sogar sagen, dass ich wohl einen der spannendsten Jobs hier im Amt und in der Landwirtschaft habe. Aber vom Pendeln zwischen Buttwil und Schwyz habe ich langsam aber sicher genug. Das heisst, Sie verlassen den Kanton Schwyz wieder? Nein, im Gegenteil. Ich werde vielleicht wieder zurück in die Heimat ziehen, momentan hat sich aber noch nichts ergeben.

Was beschäftigte Sie in Ihren ersten vier Amtsjahren am meisten? Das sind eigentlich drei Hauptthemen: Als erstes der Kampf ums Land, der jetzt auch im Kanton Schwyz begonnen hat. Amtsintern fordern mich die vielen Pensionierungen, die bis 2025 anstehen – rund ein Drittel des Personals wird pensioniert. Und selbstverständlich beschäftigt mich auch die aktuelle Situation mit dem Ukrainekrieg und der Frage der Ernährungssicherheit.

Diesbezüglich stelle ich fest, dass unsere Gesellschaft nach der grünen Welle wieder einen Wandel durchmacht. Es wird vielen bewusst, dass wir nicht alles zuungunsten der Produktion einschränken können. Sie sprechen den Kampf ums Land an. Was meinen Sie damit?

Es gibt inzwischen so viele verschiedene Interessengruppen, die um etwas kämpfen, was die Schwyzer Landwirtschaft betrifft. Alle diese haben eine ganz eigene Vorstellung, wie das Land bewirtschaftet werden soll, und was Landwirte machen müssten. So etwa beim Wolf, bei der Gewässerrevitalisierung, der Stromproduktion, beim Strassenbau aber auch beim Erhalt der Fruchtfolgeflächen – unserem nicht vermehrbaren, aber kostbarsten Gut. Am Ende entscheidet die Politik, in welche Richtung es geht – leider häufig, ohne vorher die Vollzugstauglichkeit zu prüfen.

Als Amtsleiter sind Sie mehrheitlich am Schreibtisch tätig. Spüren Sie trotzdem, was den Schwyzer Landwirten unter den Nägeln brennt? Ich würde sagen, ja. Einerseits, weil mein Bruder Landwirt ist in Illgau und ich auch mit anderen Landwirten regelmässigen Kontakt pflege – inner- und ausserkantonal. Andererseits, weil auch ein reger Austausch zwischen der kantonalen Bauernvereinigung und dem Bauernsekretariat besteht. Und was ist es, was die Bauern beschäftigt? Im Alp- und Berggebiet ist es sicher die ganze Wolfs-Problematik. Bei den Talbetrieben ist es viel eher die fehlende Perspektive, weil mit der Agrarpolitik der Fokus von der Produktion auf den Schutz und die Ökologisierung verlagert wurde.

Aktuell steigen die Preise für Diesel, Futtermittel und auch die Tierarztkosten erhöhen sich. Der Milchpreis stagniert oder steigt maximal um ein paar Rappen. Wäre hier nicht die Politik in der Pflicht? Doch. Aber nicht die kantonale, sondern die Bundespolitik in Sachen Grenzschutz und Zollrückerstattung. Ich denke aber, auch die Konsumenten wären gefordert. Sie sollten nicht nur davon sprechen, Regionales und Saisonales zu bevorzugen, sondern es auch kaufen. Vor allem auch dann, wenn im Regal nebenan die günstigeren Produkte aus dem Ausland liegen.

Beinahe jährlich werden dem Schweizer Stimmvolk Initiativen, die die Landwirtschaft betreffen, zur Abstimmung vorgelegt. Woher kommt dieser anhaltende Fokus auf die Landwirtschaft?

Einerseits hängt dies sicher mit der aktuellen Zusammensetzung im Bundesparlament zusammen. Andererseits aber auch mit der Verbundenheit zur Landwirtschaft. Fast jeder hat irgendwie Bezug zur Landwirtschaft oder kennt einen Bauern in seiner Umgebung. Entsprechend glaubt jeder, mitreden und mitdiskutieren zu können, was richtig und was falsch ist. Deshalb wird die Landwirtschaft oft zu Unrecht an den Pranger gestellt.

Fehlt es gegenüber der Landwirtschaft an Wertschätzung von Seiten der Bevölkerung? Ja, aber nicht nur das; es fehlt auch am direkten Austausch untereinander. Dieser würde für mehr Verständnis sorgen, davon bin ich überzeugt. Wie gehen die Landwirte damit um, sich ständig beweisen und erklären zu müssen? Relativ gut. Sie haben gelernt, mehr zu agieren als zu reagieren, weil sie von einem Abstimmungskampf in den nächsten geschickt werden. Das stimmt mich schon nachdenklich und ist bestimmt nicht zielführend. Macht sich Frust bemerkbar?

Ja, gerade auch in Bezug auf die Wolfspolitik, die wenig lösungsorientiert ist.

Was können Sie als Amtsleiter dagegen tun?

Ich versuche, die Landwirtschaft in der Öffentlichkeit zu erklären. Wie funktioniert sie, warum macht ein Landwirt dieses oder jenes. Aufgrund eines Bundesratsbeschlusses von Mitte April müssen Bauern in Zukunft die Nährstoffverluste und den Gebrauch von Pflanzenschutzmitteln reduzieren. Was bedeutet das für die Schwyzer Landwirte? Das heisst, dass Landwirte zehn Prozent weniger Pflanzenschutzmittel und Nährstoffe ausbringen dürfen. Somit wird es auch zehn Prozent weniger Ertrag geben – sprich der Selbstversorgungsgrad kann sinken. Dies wird dazu führen, dass einige ihre Produktion und die Abläufe anpassen müssen. Im Herbst folgt mit der Massentierhaltungsinitiative gleich die nächste Agrar-Abstimmung. Betrifft sie die Bauern im Kanton Schwyz?

Ja, jeden einzelnen, weil dann alle Tierhaltungsbetriebe mindestens den Bio-Suisse-Standard erfüllen müssten. Dafür müsste ein Grossteil der Tier-halter die Platzverhältnisse pro Tier und die Herdengrösse anpassen. Zudem würde das jetzige Bio-Label an Wert verlieren. Und: Mit einer Annahme würde auch das Tierwohlprogramm RAUS obligatorisch, womit die Beiträge für diese Zusatzleistung der Landwirte in Zukunft wegfallen würden. Gibt es denn bei uns im Kanton Schwyz Massentierhaltung? Nein, gibt es nicht. Wir haben schweizweit keine Massentierhaltungsbetriebe.

Was ist der Unterschied zwischen Massentierhaltung und Grossbetrieb? Ein Grossbetrieb bewirtschaftet rund 100 Hektaren Land. Massentierhaltung hingegen ist, wenn Tiere als Masse gehalten werden und keinen würdevollen Umgang erfahren. Also dort, wo der persönliche Bezug zum Tier nicht mehr vorhanden ist.

Welche Ziele verfolgen Sie mit der Landwirtschaft im Kanton Schwyz im Allgemeinen? Ich möchte im Kanton Schwyz eine produzierende sowie nachhaltige Landwirtschaft, die von der Bevölkerung wertgeschätzt und vielleicht sogar mit dem Kauf im Hofladen unterstützt wird. Für mich wünsche ich mir eine gute Zusammenarbeit mit den Landwirten. Und zum Schluss: Welches Bild der Schwyzer Landwirtschaft werden Kinder in 20 Jahren zeichnen? Vielleicht zeichnen die Kinder im Berggebiet eine zerfallene, verlassene Alphütte, umringt von viel Wald – und einen Wolf. Talkinder zeichnen einen Hof mit 10 bis 20 Kühen auf der Weide. Nebenan eine prächtige Blumenwiese. Die Tiere tragen Hörner, weil hier noch viele am Original Braunvieh hängen – und Glocken, weil hier niemand etwas gegen das Geläut hat …

«Vielen wird wieder bewusst, dass wir nicht alles zuungunsten der Produktion einschränken können.» «Die Landwirtschaft wird oft zu Unrecht an den Pranger gestellt.» «Im Kanton Schwyz gibt es keine Massentierhaltung. »

Mario Bürgler: «Für mich ist das Kaufverhalten der Gesellschaft oft nicht nachvollziehbar.» Foto: Silvia Gisler

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