«Einsiedeln ist noch immer ein attraktiver Detaillisten- und Wohnort»
Der Detaillistenverein Einsiedeln/Ybrig ist 100 Jahre alt. Am 25. Juni wird auf der Hauptstrasse gefeiert. Doch zuvor äussern sich die beiden Co-Präsidenten Heiri Kälin und Raffael Schefer zu ganz grundsätzlichen Fragen.
VICTOR KÄLIN
100 Jahre: Was hat den DVEY bewogen, seinen hohen Geburtstag zu feiern?
Heiri Kälin: 100 Jahre sind an sich Grund genug für eine Feier. Und nach einer doch stillen Coronazeit ist das Bedürfnis nach Festivitäten allgegenwärtig. Unsere Geburtstagsfeier ist grundsätzlich ein Dank nach innen und nach aussen. Ein Dank an alle jene, welche in den 100 Jahren im Detaillistenverein involviert waren. Und es ist ein Dank an die Bevölkerung.
Raffael Schefer: Wir Detaillisten sind ganz grundsätzlich nach aussen gerichtet – zur Kundschaft hin. Das ist unser Alltag. Deshalb wollen wir unser Jubiläum auch nicht im stillen Kämmerlein feiern, sondern draussen mit der Bevölkerung.
Und wer ist eingeladen?
Heiri Kälin: Wir hoffen, das Rahmenprogramm vom 25. Juni motiviert alle Einsiedler und Einsiedlerinnen für einen Besuch. Im Zentrum steht der längste Tisch, den unser Dorf je gesehen hat: Er reicht vom Bären by Schefer bis hinunter zum Central und dürfte so etwa 300 Meter lang sein. An dieser Tavolata kann sich jedermann kulinarisch verwöhnen las-sen. Dann gibt es zwei Musikbühnen und weitere Überraschungen.
Raffael Schefer: Eingeladen ist die ganze Bevölkerung, unsere Kunden und Kundinnen natürlich und alle jene, welche das noch werden möchten …
Wie ist der Verein aufgestellt: Sind 48 Mitglieder eine gute Zahl?
Raffael Schefer: Es ist eine im Grundsatz stabile Zahl. Es gibt Mitglieder, die uns verlassen, und andere, welche neu dazu stossen. Im schweizweiten Vergleich sind wir eine gesunde Pro-Bon-Sektion. Wir haben eine gute Mischung an Angeboten und aus kleinen und grösseren Betrieben.
Heiri Kälin: Wir stellen erfreut fest, dass in Einsiedeln keine Ladenflächen verschwinden, wie es auswärts oft zu beobachten ist. Und ebenso froh sind wir, dass der Leerbestand überschaubar bleibt. Ein hoher Leerbestand sagt nichts anderes aus, als dass dieser Standort unattraktiv ist. Umgekehrt gesagt: Einsiedeln ist noch immer ein attraktiver Detaillistenund Wohnort.
Was kann der Verein den Mitgliedern bieten – oder anders gesagt: Warum lohnt sich eine Mitgliedschaft?
Raffael Schefer: Der Verein vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegen aussen, insbesondere gegenüber den Behörden. Wir bringen uns gesamthaft ein in Diskussionen wie zum Beispiel die Entwicklung der Hauptstrasse oder generell in die Frage der Dorfentwicklung. Uns und unsere vielfältigen Angebote beim Bezirk in Erinnerung zu rufen, betrachte ich als unsere Hauptaufgabe. Ein weiterer Punkt ist der Solidaritätsgedanke: Alle Mitglieder zahlen in denselben Topf ein und profitieren von Marketingdienstleistungen, welche ein einzelner nicht zu stemmen vermag. Und drittens funktionieren wir als Ideenbörse: Miteinander bringt man mehr Ideen zum Fliegen.
Heiri Kälin: Als Fachgeschäft war und ist für die Walhalla Delikatessen AG entscheidend, von Aktionen profitieren und selbst mitwirken zu können. Im Verbund erzielen unsere Aktivitäten eine grössere Wirkung. Und letztlich wollten wir auch Teil des unverändert beliebten Pro-Bon-Treuesystems sein. Je mehr Geschäfte Pro-Bons abgeben, desto beliebter sind sie bei der Kundschaft. Und je beliebter sie bei der Kundschaft sind, desto höher der Anreiz für ein Fachgeschäft, ebenfalls Pro-Bons abzugeben.
Wo kann sich der DVEY behaupten, wo ist er stark?
Heiri Kälin: In der Vielfalt des Angebotes und im geeinten Auftreten nach aussen.
Raffael Schefer: Und in der inneren Vernetzung. Wir Mitglieder kennen uns besser. Erst wenn man sich kennt, kann daraus etwas resultieren.
Und wo ist er weniger präsent, eher schwach und in seinen Möglichkeiten limitiert?
Raffael Schefer: Unsere Struktur schränkt uns insofern ein, da eine Mitgliedschaft an den Pro-Bon gebunden ist. Das kann für Unternehmer durchaus zum Knackpunkt werden, da nicht jeder das eingehen will oder kann.
Wie ist das zu verstehen?
Raffael Schefer: Über den Pro-Bon erfolgt automatisch eine finanzielle Abgabe an den Verein. Aus dem Erlös finanziert der DVEY seine Marktaktivitäten. Es gibt Unternehmer, die wären gerne Mitglied, um an den Aktivitäten teilnehmen zu können, aber scheuen sich vor der obligatorischen Abgabe.
Führt das zu Diskussionen im Verein?
Heiri Kälin: Alle paar Jahre kommen wir auf diese Frage zurück. Bisher haben wir aber keine Lösung gefunden, diesen gordischen Knoten zu lösen.
Wie wichtig ist der Pro-Bon?
Raffael Schefer: Er ist elementar. Heiri Kälin: Für uns Detaillisten ist er unser Marketinginstrument Nummer 1. In unserer Region weiss jeder, was Pro-Bons sind. Diesen «Brand» haben wir uns über Jahre erarbeitet. Dass es auch anders sein kann, zeigen verschiedene Gegenden in der Schweiz, in denen man den Pro- Bon nicht kennt.
Es heisst Detaillistenverein Einsiedeln/ Ybrig: Hat der DVEY Mitglieder aus dem Ybrig? Heiri Kälin: Aktuell nicht.
Raffael Schefer: Leider gibt nur unsere Filiale in Oberiberg Pro-Bons ab. Dafür haben wir ein Mitglied in Rothenthurm.
Besteht Handlungsbedarf?
Raffael Schefer: Ja, es ist Bedarf. Wir wollen als DVEY letztlich die Grossregion Einsiedeln vertreten. Aber je breiter man aufgestellt ist, desto schwieriger wird es, gute Marketingmassnahmen zu finden, welche allen gerecht werden …
Heiri Kälin: … oder auch alle gleich begeistern. Es wird schwieriger, Aktionen zu entwickeln, welche allen gleichermassen zusagen. Auch wenn man es allen recht machen will, ist es ein schwieriges Unterfangen. Nur schon bei 48 Mitgliedern sind die Ansichten manchmal sehr unterschiedlich.
Wie reagiert der Verein auf die Konkurrenz von Migros, Coop und Co.?
Raffael Schefer: Grundsätzlich zählen auch sie zu den Detaillisten. Doch für mich sind es Detailhandelskonzerne, Grossisten. Doch zur Frage: Es gilt, sich der Konkurrenz bewusst zu sein und sich genau zu überlegen, warum der Kunde bei mir einkaufen soll statt alles auf einmal beim Grossisten. Ein klares Profil ist wich-tig. Ein Kunde muss einen Mehrwert erkennen, damit er bei uns
einkauft.
Heiri Kälin: Persönlichkeit und Dienstleistungsservice sind bei uns Detaillisten höher als bei den Grossen. Es liegt allerdings an jedem einzelnen, sich hier zu profilieren und diese Chance zu nut-zen.
Raffael Schefer: Es gilt aber generell, mit den Grossen partnerschaftlich umzugehen, wie zum Beispiel im Migroscenter, in dem nicht weniger als sechs unserer Mitglieder eingemietet sind.
Welches Kundenverhalten nehmen die Fachgeschäfte insgesamt wahr?
Raffael Schefer: Die Fachgeschäfte behaupten sich auf ho-hem Niveau, gerade angesichts der auch bei uns stetig wachsenden Konkurrenz der Detailhandelskonzerne. Man muss aller-dings den Warnfinger heben: Die Kundenzahlen im Dorf sinken tendenziell. In der Peripherie ist das Einkaufen bequem. Diese Tendenz ist auch in Einsiedeln erkennbar. Deshalb müssen wir auf ein starkes Nischensortiment setzen. Damit überleben wir trotz Grossisten und Online-Einkauf. Heiri Kälin: Wenn ich ausschliesslich für die Metzgerfachgeschäfte spreche, nehmen wir eine positive Veränderung wahr: den bewussteren Fleischkonsum. Die Leute wollen vermehrt wissen, woher das Fleisch kommt. Das spielt uns Kleinen in die Hände. In den letzten sechs bis acht Jahren hat unser Betrieb den Detailhandelsumsatz im Laden um 30 bis 40 Prozent erhöhen können. Und zusätzlich haben wir neue Absatzmärkte erschlossen.
Zeigt auch der Einsiedler Wochenmarkt das Bedürfnis der Kundschaft auf nach direkten Kontakten, nach frischen Angeboten und transparenten Produktionsketten?
Raffael Schefer: Der Markt unterstreicht den Trend zum bewussten Einkauf. Das zu sehen, ist für uns Detaillisten etwas Tolles und stimmt uns optimistisch. Der Kunde ist bereit, für ein ehrliches Produkt einen entsprechenden Preis zu bezahlen.
Heiri Kälin: Der Wochenmarkt sorgt für höhere Kundenfrequenzen. Damit steigt auch die Möglichkeit, dass die Marktbesucher auch bei uns Detaillisten einkaufen. Den Markt sehe ich generell als Bereicherung für Einsiedeln: Er holt Leute ins Dorf. Und ein attraktiver Dorfkern ist aus Sicht des DVEY wichtig.
Raffael Schefer: Es ist eine Win-win-Situation.
Welche Trümpfe können die Mitglieder Ihres Vereins ausspielen, wenn es um die Gunst der Kundschaft geht? Heiri Kälin: Das sind ein attraktives Sortiment, aufmerksamer Service sowie Kundennähe.
Raffael Schefer: Ein guter Mix im Dorf mit klaren Öffnungszeiten. Wenn wir uns einig sind, was wir anbieten wollen, nehmen dies die Kundinnen und Kunden wahr. Das wiederum führt zu einer Belebung des Dorfkerns und letztlich zu einem florierenden Detailhandel.
Um das zu erreichen, geht der Detaillistenverein offen auf neue Geschäfte zu und vermittelt die Botschaft, hier gemeinsam wirken zu wollen. Neue sollen spüren, dass hier in Einsiedeln eine Allianz besteht, die sich für einen guten Mix und neue Angebote einsetzt.
Wo orten Sie die generellen Herausforderungen für die Fachgeschäfte?
Heiri Kälin: Branchenübergreifend ist das sicher die Personalrekrutierung. Es ist gerade für kleine Fachgeschäfte schwierig, Mitarbeitende zu finden, welche eine Begeisterung ausstrahlen, wie wenn sie selbst der Inhaber wären.
Raffael Schefer: Der Onlinehandel schürt auf Kundenseite die Erwartung, auch bei den Fachgeschäften jederzeit ein riesengrosses Sortiment vorzufinden. Es braucht vonseiten Detailhandel enormen Mut zum Verzicht: Hinzustehen und zu kommunizieren, das und das nicht im Angebot zu haben. Diese Entwicklung zwingt zu einem klaren Profil: Der Kunde muss wissen, was er hier erhält. Und was nicht.
Überlebt das Fachgeschäft? Überlebt es in Einsiedeln?
Heiri Kälin: Ja, es überlebt, so-fern Angebot und Qualität stimmen. Ich bin sicher, dass es noch Marktbereinigungen geben wird. Aber genau davon profitieren jene Anbieter, bei denen eben Angebot und Qualität stimmen. Wenn selbst Online-Händler stationäre Läden eröffnen, zeigt das auf, dass Einkaufen nicht nur Konsum, sondern auch ein Erlebnis ist. Etwas Emotionales.
Raffael Schefer: Die Qualität ist die Basis, der Grundpfeiler. Und dann müssen wir alles daransetzen, die Fachgeschäfte im Dorf zu behalten. Ein belebter Kern ist einer der wichtigsten Bausteine für ein attraktives Dorf. Das zeigt sich nicht nur bei den Einheimischen, sondern auch bei den Gästen: Die Touristen be-leben das Dorf und tragen bei zu einem breiteren Mix – nicht nur in der Gastrobranche, sondern auch bei den Detaillisten.
Heiri Kälin: Viele Leute unternehmen einen Ausflug nach Einsiedeln, weil sie wissen, dass es hier auch gute Einkaufsmöglichkeiten gibt. Unser Dorf ist bekannt für sein breites Spezialitätenangebot.
Ein Dank an alle jene, welche in den 100 Jahren im Detaillistenverein involviert waren. Und es ist ein Dank an die Bevölkerung. Für uns Detaillisten ist der Pro-Bon elementar. Und unser Marketinginstrument Nummer 1.
Es gilt, sich genau zu überlegen, warum der Kunde bei mir einkaufen soll – und nicht gleich alles beim Grossen.
Die Fachgeschäfte behaupten sich auf hohem Niveau – gerade angesichts der auch bei uns stetig wachsenden Konkurrenz der Detailhandelskonzerne. Der Detaillist braucht enormen Mut zum Verzicht. Und der Kunde muss wissen, was er hier erhält. Und er muss auch wissen, was es hier nicht gibt. Wenn selbst OnlineHändler stationäre Läden eröffnen, zeigt das auf, dass Einkaufen nicht nur Konsum, sondern auch ein Erlebnis ist. Etwas Emotionales.
Heiri Kälin (links) und Raffael Schefer: Zu einem attraktiven Dorf gehören auch attraktive Einkaufsmöglichkeiten. Fotos: Victor Kälin