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Er war ein treuer Wegbegleiter

Er war ein treuer Wegbegleiter Er war ein treuer Wegbegleiter

Persönliche Erinnerungen an Josef Sennhauser, den allseits bekannten «Etzel-Wanderer mit dem Plastiksack»

Mehr als einmal hat Marlies Mathis den Etzel-Wanderer Josef Sennhauser für unsere Zeitung porträtiert. Auf Wunsch der Redaktion hat sie ihre Erinnerungen an den mit knapp 91 Jahren gestorben Bütschwiler zusammengefasst.

MARLIES MATHIS

Es verging in den letzten Jahren kaum je ein Monat, an dem ich nicht von irgendjemandem in der Region angesprochen wurde, ob denn der Etzel-Wanderer mit dem Plastiksack nicht mehr unterwegs sei oder ob er überhaupt noch lebe.

Ausschau halten

Noch heute ertappe ich mich selber immer wieder einmal, dass ich auf meinem Heimweg von Egg über den Waldweg Richtung Einsiedeln nach ihm Ausschau halte, nach dem dunkelhaarigen Mann mit dem Plastiksack. Doch er kommt schon eine ganze Weile nicht mehr, er, der mich unzählige Male ein Stück weit begleitet und mich mit seiner unglaublichen Laufleistung und seiner bescheidenen zurückhaltenden Art stets beeindruckt hat. Nun hat Josef Sennhauser am Montag vor einer Woche seine letzte Wanderung angetreten, gut zwei Monate vor seinem 91. Geburtstag (EA 4/22).

Genau heute Dienstag vor elf Jahren, am 18. Januar 2011, war es, dass der damals 80-jährige Bütschwiler zum 3000. Mal in gut vier Stunden von Pfäffikon über den Etzel – wohlverstanden HochetzelviadenstrengenStrickliweg – nach Einsiedeln gewandert ist! Und im Jahr zuvor und zwei Jahre danach hat er sogar das fast Unmögliche geschafft, diese Strecke mit den vielen anstrengenden Höhenmetern täglich zu absolvieren, und das bei jedem Wetter! Unaufgeregt, aber zielstrebig

Wie gut kann ich mich erinnern, dass ich Josef Sennhauser 1999, als er im Alter von 68 Jahren als frischgebackener und von einem Velounfall genesener Rentner mit seinen Wanderungen gestartet hatte, ab und zu sah, als er jeweils zügig am Haus am steilen Hang an der Alten Etzelstrasse, wo mein Partner und ich eben erst eingezogen waren, vorbeiging. Als sich unsere Wege auch beim Galgenchappeli oder auf dem Waldweg zufällig und öfters kreuzten und wir stets einige wenige Worte wechselten und er meine neugierigen Fragen zu seinen täglichen Wanderungen geduldig, aber nicht sehr ausführlich beantwortete, schlug ich dem liebenswerten, aber eher scheuen Mann vor, doch ein Interview mit ihm zu machen. Doch das fand er gar keine gute Idee, im Gegenteil. «Stellen Sie sich vor, was die Leute denken würden!», war jeweils seine Antwort.

Ich aber liess nicht locker, und dank des gegenseitigen Vertrauens, das im Verlauf der Jahre wuchs, auch wenn wir uns bis am Schluss siezten, liess sich Josef Sennhauser nach über sieben Jahren erweichen, dass ich einen Artikel über ihn schreiben durfte! Ausschlaggebend dafür war, dass er Anfang 2008 die happige Strecke 2000 Mal gemeistert hatte!

Seine Freude war denn auch riesig, allerdings nicht unbedingt des Textes und des Bildes im EA wegen, sondern weil ihn danach so viele Leute entlang seiner Route auf sein tägliches Abenteuer ansprachen und ihm dazu gratulierten.

Selbst auf Geschenke verzichtete er So war denn das Eis endgültig gebrochen, und der Wanderer mit den pechschwarzen Haaren liess sich das Eine und Andere aus seinem Leben entlocken, auch wenn er nie redselig wurde und zudem immer zügig auszog und öfters auf seine Uhr schaute, galt es doch, in Einsiedeln die Bahn nach Bütschwil zu erwischen. Aber ein kurzer Schwatz mit den inzwischen vielen Bekannten am Weg lag meistens drin, und selbst der Einsiedler René Birrer von Tele Züri durfte ihn einmal mit der Kamera auf seinem Weg begleiten. Auf die andere Seite erlebte ich den sportlichen Rentner auch als stur, wurde ihm doch von verschiedensten Personen entlang des Wegs ein Rucksack an Stelle seines obligaten Plastiksacks mit der Mittagsverpflegung angeboten, was er bei allen dankend ablehnte. Er war sich einfach so gewohnt und wollte nichts anderes.

Zum 80. Geburtstag nahm er doch wenigstens ein paar Socken und einen Knirps dankend an, auch wenn er sich fast genierte. Einmal konnte ich sogar mit Erfolg eine Wunde an seinem Knöchel, der natürlich durch die tägliche Wanderung immer strapaziert wurde, behandeln. Seine grosse Dankbarkeit zeigte er mir, indem er mir ein Körbchen feinster Kirschen von «ennet em Etzel», wie er schlicht sagte, schenkte. Ich war richtig gerührt.

Die 4272. Wanderung war die letzte In den letzten Jahren plagten Josef Sennhauser aber immer mehr Rückenschmerzen, und er musste unterwegs vermehrt Pausen einlegen oder gar auf seinen geliebten Marsch verzichten, was ihn sehr betrübte. Am 17. Mai 2017 war die 4272. Wanderung ins Klosterdorf, was er wie immer fein säuberlich und korrekt notierte, endgültig seine letzte, musste er doch seiner geschwächten Gesundheit Tribut zollen.

So wurde es ruhiger um den freundlichen Mann, doch durfte ich zum Glück dank Theo Odermatt, eines eigentlichen Nachfolgers, der durch ihn ebenfalls zu ausgedehnten Wanderungen in der Region inspiriert wurde, ihn gegen Schluss einige Male begleitete und ihn auch gelegentlich in der Ostschweiz besuchte, mit ihm in Verbindung bleiben. Das werde ich nun gewiss auch nach seinem Tod, werde ich doch auf meinem wunderschönen Heimweg zu Fuss von Egg nach Einsiedeln immer wieder an den einzigartigen Wanderer mit dem Plastiksack erinnert.

Eine fotografische Erinnerung an Josef Sennhauser (rechts): hier im September 2014, zusammen mit seinem Begleiter Theo Odermatt. Dieser blieb bis kurz vor seinem Tod immer mit Josef Sennhauser in Verbindung.

Foto: Marlies Mathis (Archiv EA)

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