Das Monatsgespräch im November
Franziska Keller trifft Patrik Böhler, Religionspädagoge, Gast in Einsiedeln
Jahrgang: 1968 Bürgerort: Solothurn Geburtsort: Zofingen Wohnort: Winterthur und Solothurn
Wir begegnen uns im SJBZ/ Hotel Allegro, wo wir mit 14 weiteren Frauen und Männern aus der ganzen Schweiz eine obligatorische Studienwoche besuchen. Von Patrik Böhler, der als Gast eine Woche bei uns ist, möchte ich erfahren, wie er Einsiedeln wahrnimmt, was er bereits entdeckt hat, was ihm an unserem städtischen und doch ländlichen Ort gefällt und welchen Ruf wir «ennet» der Kantonsgrenze haben. Wie hast du den heutigen Tag verbracht? Ich bin früh aufgestanden, habe am Laptop gearbeitet, bevor ich ein feines Frühstücksbuffet im SJBZ/Hotel Allegro genoss. Dann kam ein Arbeitsblock mit unserem Referenten Christian Cebulj zum Thema Jugendtheologie und Bibeldidaktik. Seit ich hier bin, erlebe ich mich in einem sehr angenehmen Flow und kann wunderbar runterfahren. Einsiedeln scheint mir gut zu tun. Was hat dich denn nach Einsiedeln gebracht?
Alle zehn Jahre habe ich in meinem Beruf die Möglichkeit, mich zurückzuziehen, zu reflektieren, mich weiterzubilden oder zu überlegen, in welche Richtung ich gerne weitergehen möchte. Man stellt sich konkret der Frage: Was ist in den vergangenen Jahren gut gelaufen, was möchte ich daraus mitnehmen, wo stehe ich und in welche Richtung möchte ich weitergehen. Es ist ein Ordnen vieler Dinge, die vielleicht ungeordnet herumliegen – eine wertvolle Zeit.
Was hast du gedacht, als auf der Einladung für diese Studienwoche Einsiedeln stand? Im ersten Moment kam mir das Kloster in den Sinn. Und gleich darauf ein Erlebnis bei meinem letzten Besuch hier vor Jahren, als ich den Sihlsee suchte, einer Hauptstrasse entlang marschierte, dann über eine frisch gemistete Wiese geführt wurde und trotz google maps «de Chäib» nicht finden konnte. Wenn man hierherreist, muss man alles einpacken: schöne Sachen, um ins Städtli zu gehen, und bodenständige, gute Schuhe, um an den Sihlsee zu gelangen. In Einsiedeln kommt das Städtische und Ländliche zusammen – eine schöne Mischung.
Wann hast du Einsiedeln zum ersten Mal besucht und was kennst du von hier? Das war vor 40 Jahren auf meiner Ministrantenreise mit Pfarrer Berger aus Zofingen. Damals imponierten mir die vielen Kioske vor dem Kloster – wie nannte man sie … «Muettergotteslädeli »? Ich kenne hier nur wenig, etwa dass es einige Hotels und viele Restaurants gibt und dass man als Pilger vor der Heimreise in der Bäckerei ein spezielles Gebäck kauft, das typisch einsiedlerisch ist – den Namen kenne ich nicht. (Wir alle wissen natürlich, dass er den Schafbock meint).
Nebst dem Kloster und dem schönen oberen Teil im Dorf gibt es einen Teil in «Eisidle» mit Blöcken und Industrie. Und natürlich weiss ich von euren Schanzen – wobei ich aber nicht weiss, ob die überhaupt benutzt werden, man hört und liest schweizweit nicht viel darüber. Einsiedeln gehört zum Kanton Schwyz. Was spricht man bei dir daheim über uns Schwyzer, vielleicht über uns Einsiedlerinnen und Einsiedler? Über euch Einsiedlerinnen und Einsiedler spricht man nicht viel. Der Kanton Schwyz ist wie der Kanton Uri eher klein mit wenig Einwohnern – etwa der Hälfte der Stadt Bern. Bekannt ist sicher, dass ihr politisch oft eure eigenen Wege geht. Woher bist du angereist? Und was zeichnet deinen Wohnort aus? Ich lebte in Bern, nun ist mein Hauptwohnsitz in Winterthur und mein Wochenaufenthaltssitz in Solothurn. Angereist bin ich am Montag also aus Winterthur, einer sehr lebendigen, kulturellen, initiativen Stadt. Kultur, Theater, Musik, Museen, Wochenmarkt – all das macht Winterthur nebst der grossen historischen Geschichte aus.
Unterschied zu hier?
Hier grüsst man einander und auch ich selbst habe das Bedürfnis, die Menschen zu grüssen – was ich in Winterthur nicht mache. Ich treffe immer wieder auf Neuzuzüger und -zuzügerinnen, die nach der Pensionierung zu uns ziehen. Könntest du dir vorstellen, hier zu leben?
Einsiedeln ist mir etwas zu klein.
Hast du einen Lebenstraum? Möchtest du noch irgendetwas Besonderes verwirklichen? Meine Frau und ich suchen einen gemeinsamen Wohnort, weil wir, wie schon erwähnt, an verschiedenen Orten leben. Darum ist unser Zukunftstraum, einen schönen Ort zu finden, an dem wir gemeinsam wohnen können. Wenn wir hier ein tolles Angebot finden würden, würde ich es mir vielleicht sogar nochmals mit der Grösse überlegen. Der November ist eher ein schwieriger Monat. Manche Menschen mögen ihn, vielen schlägt er auf das Gemüt. Wie fühlt sich der November für dich an? Ich hab’ ihn gern … aber nicht überall. Ich mag ihn in Solothurn, weil dort der Nebel ganz nah ist und somit etwas Mystisches hat. In Winterthur hängt der Nebel meist oberhalb, was aufs Gemüt drückt. Wie erlebt man den November in Einsiedeln? Einfach so wegen der vorherigen Entscheidungsfrage (lacht) … Was ist dir wichtig im Leben?
Das hat sich in letzter Zeit intensiviert: ein sensibles Hinschauen und Wahrnehmen, was überhaupt rundherum abgeht. Mich interessiert der Mensch, warum er etwas tut und warum er oder sie es so macht. Wie sich die Menschen bewegen, warum etwa jemand hierher pilgert. Ich merke auch, dass ich mich verstärkt positioniere und vermehrt zu mir selbst stehe.
Was bereitet dir Mühe?
Die Überverwaltung in meiner Arbeit in der Pastoral. Die Verwaltung möchte organisieren und strukturieren, uns eine Sicherheit vorgaukeln, die gar nicht existiert, und verhindert dadurch Lebendigkeit. Ich denke, dies ist weit weg vom wirklichen Leben und von dem, was meine Arbeit ausmachen könnte; mit Menschen unterwegs zu sein, mit ihnen den Sinn des Lebens zu suchen.
Was macht dich zufrieden?
Wenn ich wie heute im Flow bin. Wenn ich mich im Machen spüre: etwa beim Gitarrenspielen in meiner Band, wenn ich Konfitüre zubereite oder etwas Feines koche. Aber auch, wenn ich der Musse frönen kann: mich hinsetzen, etwas Sinnloses im TV schauen, ein Buch lesen, im Winter eine Kerze anzünden und heissen Tee trinken, Freizeit und Rückzug geniessen.
Wann kommst du das nächste Mal nach Einsiedeln? Vielleicht wenn wieder ein Kurs ansteht? Dein Werbespot zu Einsiedeln
Schöner Sihlsee – wenn man ihn gefunden hat. Man muss sich Zeit nehmen und durch die Gassen streifen, um zu entdecken, etwa den herzigen Kaffeeladen an der Hauptstrasse, ich bin ein Kaffeeliebhaber.
Darf ich auch sagen, was mich nervt? Ich finde die Autos in der Hauptstrasse richtig störend und würde den Verkehr umleiten – trotz ängstlichen Vorbehalten. In Bern und Solothurn meinte man anfänglich auch, es sei unmöglich und heute sind wir froh und dankbar über die autofreien Zonen.
Von Franziska Keller