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Ganz schön angriffslustig

Ganz schön angriffslustig Ganz schön angriffslustig

Wendy Holdener in Levi mit Platz sieben und Platz vier gut in den Olympiawinter gestartet

Mit je einem siebten und vierten Platz in den beiden Weltcup-Slaloms in Levi hat Wendy Holdener nach ihrer mehrwöchigen Trainingspause einen erstaunlich beachtlichen Saisonstart hingelegt.

KONRAD SCHULER

Vor rund sechs Wochen verletzte sich Wendy Holdener an beiden Händen, was zu einem mehrwöchigen Trainingsunterbruch führte. Erst etwa vor einer Woche begann sie mit dem Training zwischen den Stangen. «Die ersten richtigen Schwünge habe ich erst seit einer Woche hingebracht», so Holdener selber. Ihr Rückstand auf Schnee ist beträchtlich. Die Skischuhe konnte sie in Levi noch nicht selber anziehen. Beidseits trug sie noch Schienen an Händen und Armen.

Positives Fazit

Das alles hinderte Wendy Holdener nicht daran, am Samstag vor dem ersten Rennen ein positives Fazit zu ziehen: «Ich konnte viel ohne Stöcke frei fahren. Das hat mir sehr geholfen, das hat mir richtig gut getan. Die letzten paar Tage haben wir mit den Stangen qualitativ super gearbeitet. Der Körper hat supergut mitgemacht. Ich merke es nicht so stark, dass ich lange weg war.» Beim Fahren selber merke sie nichts. Der Start verlaufe schon noch etwas unkoordiniert. Im Alltag merke sie, dass es noch Zeit brauche. Die Muskulatur sei weg. Mit der Startnummer vier ging sie erstaunlich engagiert zu Werk. Den ersten flachen Teil fuhr die Unteribergerin gleich schnell wie die Zeitschnellste Petra Vlhova. Im Ziel verlor sie als Achte 0,93 Sekunden auf die Slowakin. Der erste Lauf war Wendy Holdener geglückt, was wohl vor allem auch für das Selbstvertrauen wichtig war. «Ich bin super gestartet. Der flache Teil oben liegt mir. Diesen Teil habe ich auch sehr gut trainiert. Das nehme ich mit.» Danach kam zum ersten Mal an diesem Wochenende eine erstaunlich kecke Aussage. «Ich wollte schon noch ein wenig mehr. Ich versuche mich im Steilhang zu verbessern. Ich hoffe, dass ich im zweiten Lauf ums Podest kämpfen kann.» Den zweiten Lauf fuhr sie dann tatsächlich sehr aktiv und angriffig. Dabei riskierte sie recht viel. Es ging auf. So jubelte sie im Ziel zu Recht vor den Augen ihrer vor Ort anwesenden Eltern. Mit der sechstbesten Laufzeit und 0,57 Sekunden Rückstand auf die wiederum Bestzeit fahrende Petra Vlhova belegte sie in der Endabrechnung den guten siebten Rang und wurde direkt vor Michelle Gisin beste Schweizerin.

«Realistisch ein kleines Wunder» An der Ranglistenspitze etablierten sich Petra Vlhova und Mikaela Shiffrin. Beide standen nun mit je vier Levi-Siegen da. Dahinter holte die 30-jährige Deutsche Lena Dürr ihren ersten Slalompodestplatz.

Wendy Holdener sprach nach dem ersten Rennen gefasst und ordnete ihr Ergebnis so ein: «Es hatte ein paar sehr gute Schwünge dabei. Auch habe ich zwei, drei Fehler gemacht, weil ich angegriffen habe. Ich war im Ziel happy mit dem Vorsprung, den ich hatte.» Natürlich würden ihr noch ein paar Kilometer fehlen. «Realistisch betrachtet ist es ein kleines Wunder, dass ich hier stehe und fahren kann, ohne dass ich an meine Hände denke.» An Podest geschnuppert Noch am Vortag des zweiten Rennens war die Marschrichtung für den Sonntag klar. «Morgen werde ich noch konsequenter fahren und versuchen, dass die Fehler nicht mehr passieren. Dann mache ich nochmals einen Schritt nach vorne. Vielleicht kann ich eine noch etwas frechere Linie auspacken.» Am Sonntagmorgen galt es dann diese Marschrichtung umzusetzen. Mit einer guten und soliden Fahrt reichte es mit 0,84 Sekunden Rückstand wiederum auf Petra Vlhova zum neunten Rang. Wendy Holdener war auf den flachen Abschnitten ganz oben und ganz unten bereits wieder voll dabei. Im Steilhang fuhr sie noch nicht ganz so elegant und flüssig wie die stärksten Konkurrentinnen.

«Es war cool zu fahren. Es hat Spass gemacht. Es waren wiederum ein paar gute Sachen drin, aber ich habe noch Luft nach oben», so die Unteribergerin weiterhin zuversichtlich nach dem ersten Lauf vom Sonntag.

Im zweiten Lauf sahen die Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer eine überaus angriffslustige Wendy Holdener. Sie verlor als drittbeste des zweiten Laufes gerade mal 0,13 Sekunden auf die Laufbeste Petra Vlhova. Ohne den kleinen Fehler am Ende des Steilhangs hätte die Unteribergerin gar Laufbestzeit aufgestellt.

Vierter Rang

Der tolle zweite Lauf reichte am Schluss für den sehr guten vierten Rang, wiederum vor ihrer Teamkollegin Michelle Gisin. Das Podest blieb gleich wie am Samstag. Vlhova, Shiffrin und Dürr belegten die drei ersten Ränge. Petra Vlhova gewann damit zum fünften Male in Levi, zum vierten Male hintereinander notabene. Nach den beiden Slaloms von Levi belegen die gleichen sechs Slalomfahrerinnen die ersten sechs Plätze im Slalomweltcup-Zwischenklassement wie am Ende des letzten Winters.

«Ich glaube, ich habe gepokert» Wendy Holdener fiel in Levi mit erstaunlich guten Leistungen auf. Sie traute sich selber gar schon einen Podestplatz zu. Sie scheint genau zu wissen, was sie kann und zu was sie fähig ist. Sie wirkte in Levi frisch, konzentriert, aufgestellt und in bester Laune. Sie ist bereit zum Angriff auf die Podestplätze. Na ja, da war noch eine gewiefte Aussage im Interview drin: «Ich glaube, ich habe gepokert. Dass ich hier bin und das Gefühl habe, voll angreifen zu können, das war nicht immer ganz klar.» Sie habe nicht gewusst, ob sie das alles so verarbeiten könne, ob sie die Schläge wegstecken könne und ob alles einen ganzen Lauf lang klappe. Und einen weiteren Faktor darf man wohl auch nicht ausser Acht lassen. «Ich habe meine Eltern schon vor meiner Verletzung gefragt, ob sie wieder nach Levi mitkommen. Ich habe sie gerne hier. Es ist insgesamt ein schöner Start gewesen.»

Slalom-Kungfu? Trotz geschienter Hände fühlte sich Wendy Holdener schon erstaunlich wohl im Stangenwald bei den ersten beiden Weltcup- Slaloms im finnischen Levi – und fuhr auch gleich sehr stark. Foto: Instagram

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