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«Mein Hund gibt mir Sicherheit»

«Mein Hund gibt mir Sicherheit» «Mein Hund gibt mir Sicherheit»

Assistenzhund Ace hilft einer psychisch belasteten Frau ein normales Leben zu führen

Blindenhunde helfen blinden Menschen, Assistenzhunde helfen Menschen mit körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen ein normales Leben zu führen. Wir haben eine junge Frau und ihren Assistenzhund am Zürichsee besucht.

GINA GRABER

Manchen Menschen sieht man ihr Handicap auf den ersten Blick an: Sie sitzen im Rollstuhl oder tasten sich mit einem Blindenstock durchs Leben. Die Versehrtheit der Seele fällt auf den ersten Blick nicht auf. Und trotzdem ist sie da und sie kann die betroffene Person im täglichen Leben so massiv beeinträchtigen, dass diese sich nicht mehr allein auf die Strasse traut. Blindenhunde stehen Blinden zur Seite, und auch körperlich behinderte Menschen verlassen sich gern auf die Hilfe eines vierbeinigen Assistenten, der zum Beispiel gelernt hat, Türen zu öffnen und einen Schlüsselbund vom Boden aufzuheben.

Ein normales Leben dank Assistenzhund

Solche Assistenzhunde stehen auch im Dienst psychisch beeinträchtigter Menschen. Wir haben irgendwo am Zürichsee eine junge Frau besucht – nennen wir sie Vanessa – die an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Als ob die traumatischen Erfahrungen, die sie in ihrer Kindheit erleiden musste, nicht schon belastend genug gewesen wären, wurde sie vor fünf Jahren noch Opfer eines gewalttätigen Überfalls, der zu einer Retraumatisierung mit gravierenden Folgen führte. Seither leidet Vanessa unter Ängsten, die es ihr unmöglich machen, alleine nach draussen zu gehen. Damit sie trotzdem ein unabhängiges Leben führen und sich unter Menschen einigermassen sicher fühlen kann, begleitet ihre 14 Monate alte Mischlingshündin Ace (italienisch ausgesprochen: «Atsche») sie auf Schritt und Tritt. «Sie gibt mir Sicherheit und hilft mir, in brenzligen Situationen nicht die Nerven zu verlieren », beschreibt Vanessa ihr Verhältnis zu Ace.

Distanz und Sicherheit Der schwarze, schlaksige Dobermann- Mischling ist noch in der Ausbildung zum Assistenzhund, hat aber schon Wesentliches gelernt, was für Vanessa lebenswichtig ist. Wenn sie stehen bleibt, legt sich Ace hinter sie und gibt ihr Rückendeckung: «Dank Ace ist es für mich, als ob ich am Hinterkopf Augen hätte», lächelt Vanessa dankbar. Ausserdem führt sie ihren Hund immer so, dass er bei Begegnungen wie eine Barriere zwischen ihr und fremden Menschen ist.

Ace merkt auch, wenn sich Vanessa in bestimmten Situationen bedrängt fühlt. Auslöser kann zum Beispiel ein Mann sein, der ihr ohne böse Absichten beim Zahlen in einem engen Kiosk zu nahe kommt. Dann gerät sie, für Aussenstehende meist unbemerkt, in eine innere Hochspannung, will einfach nur noch starr vor Angst weg aus der Situation. Es könnte dabei sogar passieren, dass sie in blinder Panik vor ein Auto läuft. Um dies zu vermeiden, übernimmt Ace dann die Führung und geleitet Vanessa sicher weg, zu einer Bank, wo sie sich hinsetzen, oder in eine ruhige Ecke, wo sie sich wieder beruhigen kann. Vanessa und Ace sind ein Herz und eine Seele und gleichen sich auch im Wesen: «Ace ist sensibel und zurückhaltend, sie soll mich nicht verteidigen, sondern Distanz zu den Mitmenschen gewährleisten. »

SwissHelpDogs bildet Assistenzhunde aus

Assistenzhunde unterstützen Menschen mit ganz unterschiedlichen Beeinträchtigungen. Der schweizweit tätige Verein Swiss-HelpDogs, der Assistenzhunde wie Ace ausbildet, definiert die Aufgaben so: «Ein Assistenzhund ist ein Hund, welcher zur Unterstützung einer Person mit körperlicher, sensorischer, intellektueller, kognitiver, neurologischer oder psychischer Behinderung, Erkrankung oder Entwicklungsstörung in individuellen Bereichen der alltäglichen Lebensführung dient.» So gibt es Assistenzhunde, die spüren, wenn bei einem Menschen ein epileptischer Anfall unmittelbar bevorsteht oder sie riechen bei Diabetikern die drohende Unterzuckerung, bevor die betroffene Person selbst etwas merkt. Assistenzhunde für körperlich beeinträchtigte Menschen heben Gegenstände vom Boden auf, apportieren das Handy, wenn es im Nebenzimmer klingelt, oder können Schalter betätigen.

Auch Ace kann das Licht anmachen, was in Vanessas Tiefgarage wichtig ist, damit die junge Frau nicht im Dunkeln zu ihrem Auto gehen muss. Assistenzhunde haben Zutritt

Die Ausbildung ist für jeden Hund individuell. Jeder Hund lernt genau das, was für seinen Menschen wichtig ist. Ace kam als Welpe zu Vanessa, die selber Hundetrainerin ist. Für Aces spezielle Ausbildung trifft sie alle zwei Wochen ihre Trainerin von SwissHelpDogs, mit deren Hilfe sie sich und den Hund auf die Prüfung vorbereitet. Prüfungsreife erreicht ein Hund nach etwa zwei Jahren Training, je nach Alter und Charakter des Hundes und je nach den Aufgaben, die er erfüllen muss.

Bis dahin ist er «Assistenzhund in Ausbildung», was auch auf Aces Schabracke steht, die sie im Einsatz trägt. Dieses auffällige Arbeitsmäntelchen befähigt Assistenzhunde, auch Gebäude zu betreten, zu denen Hunde sonst keinen Zutritt haben: Arztpraxen, Lebensmittelläden – und zum Beispiel auch die Klosterkirche Einsiedeln, die Vanessa immer mal wieder besucht. Bei Blindenhunden ist dieses Zutrittsrecht allgemein bekannt, es gilt auch für Assistenzhunde im Einsatz.

www.swisshelpdogs.ch

Bleibt Vanessa stehen, sichert Ace sie nach hinten ab.

Assistenzhunde sind an ihrer Schabracke erkennbar. Wie Blindenhunde haben sie fast überall Zutritt und dürfen im Einsatz nicht abgelenkt werden.

Ein Herz und eine Seele: Vanessa kann sich auf ihren Assistenzhund Ace verlassen. Fotos: Gina Graber

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