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Kalli Kälin

9/ 11

Morgen, am 11. September, jährt sich der Terroranschlag auf die USA zum 20. Mal. 2996 Menschen kamen dabei ums Leben. Die ganze Welt war geschockt, als man im Fernsehen live sehen konnte, wie zwei von Al-Quaida-Terroristen entführte Flugzeuge in die beiden Wolkenkratzer-Türme des World Trade Centers rasten und explodierten. Später stürzten die «Twin Towers» ein. Furchtbare Bilder, die all diejenigen, die sie gesehen haben, wohl nie wieder vergessen. Wir fragten aus diesem aktuellen Anlass Einsiedlerinnen und Einsiedler, wie sie damals dieses «Nine-Eleven» erlebten.

«Wie ich den 11. September genau erlebt habe, weiss ich gar nicht mehr. An was ich mich erinnere, ist, dass ich im Büro sass, Rechnungen schrieb oder Buchhaltung machte, und Peter plötzlich aufgeregt zwischen Büro und Wohnzimmer hin und her lief, den Fernseher lauter machte und schrie: ‹Da passiert gerade etwas ganz Schreckliches!› Ich solle schnell schauen kommen! Aber ich wollte es nicht sehen und eigentlich auch nicht hören, nicht im Augenblick. Erst später hab ich diese grauenhaften Bilder gesehen und gehört, was passiert ist.

Seither begleiten meine Gedanken die Frage: Was ging in den Menschen vor, die in diesen Flugzeugen sassen, kurz bevor sie mit den Twin Towers kollidierten? Was in den Tausenden von Menschen, die in den Türmen standen und diese Katastrophe auf sich zukommen sahen? Diese Angst, diese Panik, diese Ausweglosigkeit, dieses abrupte Ende von allem ohne Vorhersage, ohne Abschied, ohne ein letztes Wort. Das schnürt mir heute noch die Kehle zu. Und was ging in den Menschen vor, die am Steuerknüppel sassen und für eine Ideologie sich selbst und so viele andere Menschen opferten?»

«Es war ein Werktag. Ich sass im Redaktionsbüro, als mir ein Freund telefonierte und mit besorgter Stimme sagte, ich solle sofort den Fernseher anschalten. Und dann sah ich einen der beiden Türme brennen und kurze Zeit später, wie eine Passagiermaschine in den zweiten Turm flog. Ich glaubte nicht, was ich sah. Mein Freund ist Jude. Ich war den ganzen Tag über wie paralysiert. An vernünftiges Arbeiten war nicht zu denken. Abends hatte der Schachclub einen Teamwettkampf in Horgen. Ich sass am Brett und bot dem Gegenüber noch vor dem ersten Zug ein Remis an. An Spielen war nicht zu denken. 9/11 hat mein Leben nicht verändert. Doch das Ereignis hat sich in meiner Erinnerung unauslöschlich eingegraben.»

«Damals, vor 20 Jahren, arbeitete ich im Spital Einsiedeln. Nicht wissend, was gerade Schreckliches passiert war, rief mich mein Freund am Nachmittag im Büro an und sagte knapp: ‹Ich glaub dr Chriäg bricht us!› Zuerst (aus-)lachend, dann hinhörend und am Abend sehend im Fernsehen, machte mich das Ereignis einfach nur sprachlos und nachdenklich. Irgendwie schien alles unreal, geradezu apokalyptisch. Vielleicht gerade deshalb brannten sich die Bilder für immer ins Gedächtnis ein. Beeinflusst hat es aber meine Zukunft nicht, ich war noch jung und völlig unbeschwert. Andere, positivere Gedanken standen klar im Vordergrund. Ist 9/11 heute ein Thema, möchten die Kinder jeweils alles darüber wissen und sehen, denn es erschreckt und fasziniert sie zugleich.»

«An diesem Dienstagnachmittag erreichte uns ein Telefonanruf unseres Sohnes aus der Rekrutenschule. Seine Stimme klang unruhig und bedrückt. Was er uns konkret mitteilte, weiss ich nicht mehr. Er sprach von einem schlimmen Attentat in New York, von Brand und Toten. Die Welt wurde damals fast aus den Angeln gehoben, und ich hatte keine Vorstellungen davon. Alles war weit weg.

Mich befiel trotzdem ein diffuses Angstgefühl. Sobald wir konnten, schalteten wir den Fernseher ein, Bilder der brennenden Türme, des Todes und der Verwüstung prägten sich ein. Was sich bei mir aber vor allem einbrannte, waren die Kommentare zum Geschehen. Immer wieder fiel das Wort TALIBAN. Ausgesprochen wurde der Name in amerikanischer Diktion und das tönte in meinen Ohren mit Umlauten gedehnt «Tälibän». 9/11 hat die Welt verändert und damit uns alle.»

«Nach der Schule ging ich ins regionale Heimwerkercenter, um Material für den Werkunterricht zu besorgen. Ich wunderte mich, dass das Radio lief, was noch nie der Fall gewesen war. Bruchstückhaft konnte ich daraus entnehmen, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Zu Hause schaltete ich als erstes den Fernseher ein und wurde wie Millionen Zeuge des Unfassbaren. Als die CNN-Reporter keine Worte mehr fanden, spielten sie das Lied ‹Only time› ein. Dieses Lied besprach und sang ich seither mit jeder meiner Klassen jeweils um 9/11.»

«Es ist gerade gegen 16 Uhr, als ich in einem Fotoladen im albanischen Bazar von Skopje, der mazedonischen Hauptstadt, einen Film kaufen will. Ich bin dorthin als Korrespondent gereist, um über die gewaltsamen Konflikte zwischen der albanischen Minderheit und der slawischen Mehrheit zu berichten. Die beiden Verkäufer im Laden reden aufgeregt miteinander. Sie beachten mich kaum und zeigen immer wieder auf die Fernsehbilder eines Flugzeugs, das gerade in einen Wolkenkratzer gerast und explodiert ist. Ich brauche einige Augenblicke, bis ich realisiert habe, dass es sich bei diesen schrecklichen Bildern um einen Terroranschlag in New York handelt – denn hier im albanischen Bazar scheint man in einer ganz anderen Welt zu sein. Man ist vor allem nicht gefasst auf die hämischen Reaktionen zahlreicher junger Männer, die sich darüber freuen, dass die USA endlich mal eine aufs Dach bekommen hat. So der Tenor. Ich ziehe mich schnell in mein Hotelzimmer zurück und hänge nur noch fassungslos vor dem Fernseher. »

«Ich war gerade auf dem Weg ins Internat. Da fand ich die ganze Internatsfamilie vor dem TV-Gerät versammelt. Als ich dann selbst den Bildschirm sah, dachte ich zuerst: Warum werden Science- Fiction-Filme in offiziellen Nachrichten besprochen? Doch die jungen Menschen aus dem Internat schauten so gebannt und schweigend auf die Bilder der beiden brennenden Türme des World Trade Centers, dass mir bewusst wurde: Das ist echt! Unweigerlich musste auch ich mich hinsetzen und schaute nun ebenfalls gebannt auf diese Katastrophe, die sich vor laufender Kamera für alle sichtbar abspielte.

Ohne die Hintergründe zu kennen, wussten wir unausgesprochen: Diese brennenden Türme verändern die Welt. Diese gespenstisch schweigende Atmosphäre, in der ich mit den Jugendlichen zusammen diese Bilder sah, hat uns die nächsten Tage begleitet. Sie war Ausdruck unserer Ohnmacht und Fassungslosigkeit. Sie machte aber auch deutlich: Nur gemeinsam bestehen wir eine solche Welle von Hass und Gewalt. Auch heute.»

«Es schockte mich, als ich von diesem Anschlag hörte. Ich war am Bierabfüllen und konnte leider die Anlage nicht abstellen. Am Feierabend schaute ich mir das Ganze im Fernsehen an.» Alois Gmür

«Verkehrsbüro Einsiedeln, meine junge Kollegin und ich beginnen mit der Arbeit. Kurz vor Engelweihe ist immer viel los. Gegen 10 Uhr sagt Sybille: ‹Du, da ist, glaube ich, was Schlimmes passiert, in New York brennt einer der Twin Towers.› Ich entgegne, das könne jetzt wirklich warten. Erst im Verlauf des Tages realisiere ich das ganze Ausmass der Tragödie. Die Welt stand still, während ich ahnungslos arbeitete. Nie mehr danach bedauerte ich es so sehr, während der Arbeit nicht TV geschaut zu haben. » Mona Birchler

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