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Gold im Obergross

Gold im Obergross Gold im Obergross

SEITENBLICK: «VERUSSE»

MARTIN LÜTHI

Im Obergross, beim Ijenschatten, gibt es ein grösseres Goldvorkommen. Davon waren die «Venediger» so überzeugt, dass sie in den 1720er-Jahren einen tiefen Stollen in die Plangg des Tritts trieben. Woher diese kleinwüchsigen, südländischen «Venediger» kamen, war nie ganz klar, aber sie hinterliessen tiefe Spuren. Wenn wir auf der Onlinekarte von Swisstopo nach «Metallrohstoffe » suchen, finden wir eine gelbe Markierung neben dem Grossbach. Beim Klicken erscheint ein Fenster mit der Verheissung: Gold!

Diese zufällige Online-Entdeckung an einem langweiligen Sonntag war Anlass für eine spontane Biketour mit unseren Kindern: für Gold geht man auch bei Nieselregen «veruse ». Ennet der Chälen suchten wir das Gebiet gründlich nach einem alten Stollen ab. Davon haben wir keine Spur gefunden, ebenso wenig von Goldnuggets in den Bächlein.

Für Geologen ist das nicht weiter erstaunlich, denn weder Flysch noch Nummulitenkalk sind als goldführend bekannt. Aber für die Kinder war jeder nass glänzende Stein eine Entdeckung, ein schwarzer Alpenmolch das Highlight, und die Spannung hielt lange Zeit an.

Liselimeilidomini Wieder zu Hause fanden wir heraus, dass der letzte Goldgräber der «Zweipfünder » war. Das wusste der älteste Bewohner des Dorfes, der «Liselimeilidomini » noch ganz genau, der keine Hundert Schritte vom Stolleneingang entfernt wohnte. Damals soll der Stollen noch begehbar gewesen sein, und sogar der «Ritzetönel» hatte den Stolleneingang noch persönlich gesehen. Weiter lesen wir auch staunend, dass man nicht direkt Gold gefunden hatte, sondern spezielle Steine, die erst durch Läuterung zu Gold wurden. Und schon sind wir zutiefst in der Sagenwelt mit Erdmännlein und ihren Schätzen. Oder bei den Alchemisten, die mit dem Stein der Weisen Gold erzeugten.

Goldlöcher von den Venedigern gibt es in der weiteren Umgebung noch einige. Natürlich wurde nirgends Gold gefunden, und die Venediger verschwanden meistens auf so mysteriöse Weise, wie sie gekommen waren. So heisst es vom Obergross: «Sie trieben einen tiefen Stollen in den Berg, zeigten Gold vor, das sie wollten gefunden haben, verlangten Geldunterstützung für ihr Unternehmen und liessen schliesslich alles im Stiche.» Offenbar war diese Goldgräberei eine Masche, um gutgläubigen Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Die Venediger-Masche Die «Venediger» sind natürlich nicht ausgestorben. Heute schürfen sie virtuell nach Dodgecoins und Bitcoins, die man gegen virtuelle Werte eintauschen kann. Das Geschäftsmodell ist eine ewig erfolgreiche Methode, die von den Träumen und Hoffnungen der Menschen lebt. Die Verwandlung von Unedlem in etwas Edles, die Erschaffung von Reichtum aus dem Nichts, ein kleiner Einsatz, der sich tausendfach auszahlt.

Die Venediger-Masche ist so einfach wie effektiv: Es wird ein riesiger Gewinn versprochen, für den man aber etwas investieren muss, nicht viel, und nur noch einmal, ein letztes Mal. Um niemandem auf die Füsse zu treten, überlasse ich es Ihrer Fantasie und Lebenserfahrung, ein spannendes Spiel zu spielen. Nennen Sie in einer Minute fünf Abzocker mit der Venediger-Masche. Gewonnen? Genau. Von der Goldgräberei im Obergross ist wenig geblieben: ein Hinweis bei Swisstopo, einige höhnische Bemerkungen in Büchern über die Bodenschätze der Schweiz, und das Restaurant Goldmöckli, das heute Nügüetli heisst. Sowie die Erkenntnis, dass der schnelle Gewinn nur für einige «Venediger» abfällt, gestern wie heute. Ihre Kunst ist es, Träume zu verkaufen, die Hoffnung warmzuhalten, und dabei knallhart abzusahnen. Sie sind die wahren Alchemisten, die Unedles in edles Gold verwandeln. Für sich.

«Die Venediger verschwanden meistens auf so mysteriöse Weise, wie sie gekommen waren.»

Martin Lüthi, geboren 1967 in Olten, ist seit 20 Jahren in Einsiedeln wohnhaft. Er ist beruflich und privat, als Gletscher- und Höhlenforscher, oft an interessanten und abgelegenen Orten unterwegs, zu Fuss, mit Skiern oder auf dem Bike.

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