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«Kirchenleute müssen von der Kanzel runtersteigen»

«Kirchenleute müssen von der Kanzel runtersteigen» «Kirchenleute müssen von der Kanzel runtersteigen»

Am Chilbisonntag lancierte der Familienträff der Pfarrei Einsiedeln den CaféTreffpunkt «Church to go»: «Wir fahren mit einem Ape zu den Leuten, um ihnen zu begegnen, um Beziehung zu schaffen», schildert die Religionspädagogin Franziska Keller.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie kommt das Projekt «Church to go» ins Klosterdorf?

Ich habe mich gefragt: Wie können wir mit den Menschen, da wo sie sind, ins Gespräch kommen? Und eines Morgens hatte ich plötzlich die Idee: Ein Piaggio Ape und eine Kaffeemaschine. Das gibt es natürlich schon – aber nicht als «Church to go». Was bieten Sie den Leuten konkret an?

Eine Tasse Kaffee (lacht) – nicht im Pappbecher, sondern in der richtigen Tasse, weil es eben nicht «to go» sein soll. Hinzu kommt vielleicht einmal ein selbstgebackener Kuchen … Das Wichtigste ist das Da-Sein. Präsent sein, wo die Menschen sind. Wie wird das Projekt finanziert?

Das Projekt wird über Sponsorengelder und über das Budget des Familienträffs der Pfarrei Einsiedeln finanziert. Viel Fronarbeit haben ein guter Bekannter, Walter Ronner und sein Sohn Jonas, geleistet, um den alten Ape instandzustellen, auszubeulen und in «Church to go» zu verwandeln. Wenn die Gläubigen schon nicht mehr in den Sonntagsgottesdienst kommen, dann fährt halt die Kirche zu ihnen? Ja, es geht mir in erster Linie genau darum, den Menschen da zu begegnen, wo sie sind. Jesus war auch immer unterwegs auf den Strassen und in den Dörfern. Er hat mit allen geredet, und er hat seine Jünger und Jüngerinnen dann zu zweit ausgesendet – es darf also gerne auch jemand mit mir mitfahren.

Fahren Sie mit dem Ape zu den verlorenen Schafen, um ihnen das Wort Gottes zu verkünden? Es geht mir nicht nur um die «verlorenen Schafe» – sondern um alle Menschen, die offen sind, sich auf ein Gespräch einzulassen. Es geht mir darum, Beziehung zu schaffen, Menschen zu begegnen. Papst Franziskus sagt, dass wir Kirchenleute von der Kanzel heruntersteigen müssen. Mission heute geschieht nur auf Augenhöhe. Da sein, wo die Menschen leben: Auf dem Parkplatz, beim Fussballplatz, am See, auf dem Spazierweg – überall,wo das Leben stattfindet und spielt. Es geht mir nicht darum, predigen zu wollen: Bei «Church to go» können Gespräche verschiedener Art entstehen. Der Geist Jesu ist immer dabei – ob erwähnt oder nicht. Das ist das, was ich meine: Jesus ist nicht nur in der Kirche und im Gottesdienst erlebbar – eben auch auf der Strasse. Welche Klientel möchten Sie erreichen? Jugendliche und Erwachsene, Frauen und Männer mit Kindern. Ich schenke ihnen einen Kaffee aus, schenke ihnen zugleich aber auch Zeit. Jeder Mensch ist von Gott geliebt – nicht darüber reden, es spürbar machen. Würden Sie Ihr Projekt als aufsuchende Sozialarbeit bezeichnen?

Vielleicht sind wir so etwas wie eine aufsuchende Seelsorge? «Church to go» ist ein Café-Treffpunkt für Menschen, die über Lebens- und Sinnfragen reden möchten oder einen freundlichen Ort zum Ausruhen, Auftanken und Erfrischen suchen. Die Kirche scheint den Draht zu den Menschen verloren zu haben. Was machen Sie anders? Beim Projekt «Church to go» sind unverbindliche Unterhaltungen genauso möglich wie ernsthafte, philosophische, heitere und vertrauliche Gespräche. Immer mehr Leute treten aus der Kirche aus: Ist dies Zeichen davon, dass die Religion verdunstet oder trägt die Kirche selber zu dieser Entwicklung bei? Die Menschen sind nicht weniger religiös als in früheren Zeiten: Spiritualität ist nach wie vor ein grosses Thema, das die Leute bewegt und anzieht. Vielmehr muss sich die Kirche auf die Suche nach neuen Formen machen, wie Religion gelebt werden, wie sie die Menschen berühren kann. Alles auf der Welt verändert und entwickelt sich weiter. Wir dürfen in unserer Kirche nicht stehen bleiben – das ist wider die Natur, und wir werden unglaubwürdig.

Foto: Magnus Leibundgut

Franziska Keller

Jahrgang: 1969 Wohnort: Einsiedeln Beruf: Religionspädagogin Hobbys: Lesen, Schreiben, mit Menschen unterwegs sein

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