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«Wir finanzieren eine Schule und lassen unsere Leute wegziehen»

«Wir finanzieren eine Schule und lassen unsere Leute wegziehen» «Wir finanzieren eine Schule und lassen unsere Leute wegziehen»

Rita Marty, die neue Präsidentin des Verbands Schwyzer Lehrerinnen und Lehrer, äussert sich über Löhne, Schulnoten und den Umgang mit Eltern.

JÜRG AUF DER MAUR

Sie präsidieren neu den Verband Lehrerinnen und Lehrer Kanton Schwyz LSZ. Was wird Sie am meisten beschäftigen? Es stehen seit Jahren viele Themen im Raum. Die andauernde und zunehmende Belastungssituation des Lehrpersonals, aber auch der Druck, der auf den Schülerinnen und Schülern lastet, sind nur zwei davon. Welche weiteren Themen gibt es? Die Stellensituation. Wir haben im Kanton Schwyz auf allen Stufen Probleme, adäquat qualifizierte Lehrkräfte zu finden. Ganz massiv zeigt sich das Problem bei den Fachlehrern, etwa Logopädinnen oder Heilpädagogen.

Was sind die Folgen?

Es führt immer wieder zu Notlösungen, und damit verbunden ist dann Unruhe oder eine zusätzliche Belastung für Lehrpersonal und Lernende.

Was schlagen Sie vor?

Man muss unbedingt die Attraktivität des Berufsstandes steigern. Nur so erhalten wir genügend qualifizierte Leute. Unser Verband kann eigentlich nur immer wieder auf das Problem hinweisen. Lösungen müssten eine Ebene weiter oben gesucht werden. Wir sind – salopp gesagt – die Letzten in der Nahrungskette.

Ist damit eine Kritik an den Behörden verbunden? Wir haben mit dem Bildungsdepartement und anderen Bildungsinstitutionen regelmässige Gespräche. Das läuft gut. Es tut sich schon was, aber es braucht unendlich viel Zeit und Geduld, bis sich etwas bewegt oder ändert. Aber es gibt doch jedes Jahr mehr Leute, die sich an der Pädagogischen Hochschule Schwyz in Goldau ausbilden lassen. Wo ist denn das Problem? Ich sehe diese Rekordzahlen auch. Das Problem fängt an, wenn die Studentinnen und Studenten das Diplom haben. Die Frage ist dann, ob sie im Beruf bleiben oder einen weiteren Weg, etwa an die Universität, suchen. Oder ob sie als Lehrkraft überhaupt im Kanton Schwyz bleiben.

Weshalb bleiben sie nicht?

Ich höre oft, dass die Leute sagen, weshalb soll ich nicht in einem Nachbarkanton arbeiten, wenn ich dort 1000 Franken pro Monat mehr erhalte. Bei uns ist zudem der 13. Monatslohn heute schon eingerechnet. Im Kanton Zürich kommt der noch dazu. Es gibt also massive Lohnunterschiede.

Sind wir im Kanton Schwyz bei den Lehrerlöhnen nicht mehr konkurrenzfähig? Genau. Und ich verstehe da den Kantonsrat nicht. Wir finanzieren mit viel Geld eine erfolgreiche pädagogische Hochschule und schauen dann zu, wie unsere Leute wegziehen. Ich staune, dass man das einfach so zulässt, ohne etwas dagegen zu unternehmen. Muss es denn wirklich so weit kommen, dass noch mehr Leute an unseren Schulen fehlen oder durch weniger gut ausgebildete Interimslösungen ersetzt werden müssen?

Was haben Sie für Ihr Präsidium geplant? Was wollen Sie anders machen? Wir werden uns Anfang September mit der ganzen LSZ-Geschäftsleitung zu einer Klausur treffen und gemeinsam eine Art Roadmap ausarbeiten mit den Themen, die sich aufdrängen. Wir werden auf jeden Fall versuchen, näher an die Lehrpersonen zu kommen. Vielleicht führen wir auch eine Art Stammtisch ein.

Mit dem Schulbeginn werden die Corona-Massentests nun weitergeführt. Haben Sie Verständnis dafür? Ja, ich persönlich denke, es ist wichtig, einen Überblick zu haben, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt. Wir hatten in unserem Schulhaus bisher nur negative Pools. Ich bin gespannt, ob das so bleibt. Zu Beginn gab es massiv Opposition. Wie ist die Stimmung jetzt unter der Lehrerschaft? Die Lehrerschaft ist so heterogen wie die Gesellschaft. Es gibt für jede Massnahme Befürworter und Gegner. Und im Alltag? Gingen die Tests problemlos über die Bühne? Ich kann auch da nur von meinem Schulhaus sprechen. Hier funktioniert das Testen reibungslos. Ich muss allerdings anfügen, dass auch bei den Viert- bis Sechstklässlern, die ich unterrichte, jedes Mal 10 bis 20 Minuten für das Testen eingesetzt werden müssen. Sind eigentlich alle Lehrpersonen geimpft?

Wir haben als Verband keine Umfrage zur Impfwilligkeit gemacht. Soviel ich weiss, sind nun aber alle geimpft, die das wollten. Oft kritisiert wird die sogenannte Reformitis an der Schule. Ist das nun besser geworden, wie Bildungsdirektor Michael Stähli einmal angekündigt hat? Nein, das würde ich nicht sagen. Wir sind noch immer daran, den Lehrplan 21 umzusetzen und einzuführen. Gleichzeitig kommen gefühlt im Sekundentakt neue Lehrmittel dazu. Das ist jeweils eine grosse Arbeit, weil heute zu jedem Lehrmittel mindestens noch eine digitale Plattform gehört. Und auch neue Schulfächer, die ohne eigentliches Zeitgefäss in den Stundenplan gequetscht werden müssen, kommen dazu und erhöhen so den Druck auf Schüler und Lehrerschaft. Wenn Sie alleine entscheiden könnten: Was würden Sie an unserem Schulsystem ändern? Ich würde dafür sorgen, dass die Gesamtbelastung für alle kleiner wird. Und ich würde möglicherweise statt Hausaufgaben Lernzeiten in Schulhäusern einführen. Ich würde auch dafür sorgen, dass wieder mehr Männer im Volksschulbereich tätig würden. Und ich würde Zeit geben für die Umsetzung von neuen Inhalten, neuen Aufgaben oder neuen Lehrmitteln. Müssten die Hausaufgaben und Noten abgeschafft werden? Der Druck auf die Kinder ist heute enorm hoch. Das liegt aber nicht unbedingt an den Hausaufgaben oder den Noten. Anstelle von Hausaufgaben gäbe es sicher andere Trainingsformen. Eine Art Übung oder Vertiefung ist aber aus meiner Sicht unerlässlich. Das kann nicht alles in der Schule gemacht werden, weil heute im Unterricht die Zeit dafür schlicht fehlt. Also bleibt es vorderhand bei den Noten? Sie bleiben, aber man bemüht sich je länger, je mehr um eine gesamtheitliche Beurteilung des Kindes. Das ist ein Widerspruch und beisst sich. Wenn ich eine Schülerin habe, die im Deutsch zwar grosse Fortschritte gemacht hat, aber die Lernziele nicht erreicht: Wie soll ich ihr das sagen? Du bist viel besser geworden, bekommst aber trotzdem nur eine Drei? Es ist für alle ein grosses Spannungsfeld. Für Lernende und Lehrende. Und …

Ja? Erzählen Sie weiter.

Der Kanton Genf hatte die Schulnoten abgeschafft. Kurz darauf wurde eine Volksinitiative eingereicht, welche die Wiedereinführung verlangte. Sie wurde angenommen. Das heisst: Die Gesellschaft will Noten.

Wie ist das Verhältnis mit dem Bildungsdepartement? Das ist grundsätzlich gut. Wir haben wie gesagt fixe Gesprächsgefässe. Wir besprechen Themen, die brennen und die vielleicht noch nicht im Bildungsdepartement angekommen sind. Wir sind schon länger daran, das Departement für die Belastung der Schulkinder zu sensibilisieren. Dass die Anpassung der Löhne für Lehrpersonen auf der Kindergartenstufe, für die seit den 90er-Jahren gekämpft wurde, nun umgesetzt werden kann, ist auch der guten Zusammenarbeit von Behörden und Verband zu verdanken.

Sind die Eltern heute wirklich so schwierig, wie man hört? Ja, wir haben es nicht nur mit den Kindern zu tun, sondern auch mit den Eltern. Das ist aber gar nicht schlecht. Es gibt sehr kritische Eltern, aber sie sind nicht einfach per se gegen die Schule eingestellt. Wenn sie merken, dass Lehrpersonen und sie die gleichen Ziele haben, dass es um die beste Bildung für ihre Kinder geht, dann kommt es gut. Das ist aber nicht immer so einfach, wie es tönt? Die Ansprüche an die Schule sind stark gestiegen, die Eltern sind, etwa auch wegen der digitalen Möglichkeiten, viel besser orientiert. Sie schauen die Lehrpläne an und pochen darauf. Die Schule ist andererseits auch die Reparaturwerkstatt der Gesellschaft. Egal, ob es um die Verschuldung von Kindern oder um Mobbing geht: Am Schluss soll die Schule reagieren, handeln und Regeln aufstellen. Eltern kritisieren oft, dass das Schwergewicht in der Schule heute zu stark auf den Fächern Deutsch und Mathematik liege. Andere Aspekte der Kinder kämen schlicht zu kurz. Wir als Lehrpersonen sind da nur Ausführende, der Lehrplan wird uns vorgegeben. Aber ja, die Sprachlastigkeit ist gross. Aus meiner Sicht kommen die musischen Fächer zu kurz. Allerdings sind Sprachkompetenzen heute in vielen Berufen das A und O. Ohne gutes Textverständnis und ohne Fremdsprachenkenntnisse sind viele Berufswünsche heute nicht mehr realisierbar.

Zur Person

ml. Rita Marty ist Primarlehrerin und lebt in Altendorf. Zu ihren Hobbys gehören Lesen, Wandern, Velofahren, Jassen und Gartenarbeit.

Rita Marty im Primarschulhaus in Pfäffikon. Foto: Erhard Gick «Wir haben auf allen Stufen Probleme, qualifizierte Lehrer zu finden.» «Es sind massive Lohnunterschiede. Ich verstehe den Kantonsrat nicht.»

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