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Das Monatsgespräch im August

Das Monatsgespräch im August Das Monatsgespräch im August

Franziska Keller trifft Kleine Schwester Elsa-Irène Horat, Mitglied der Kerngruppe «Völkerfest»

Jahrgang: 1948 Bürgerort: Schwyz Geburtsort: Schwyz Wohnort: Einsiedeln Diesmal treffe ich mich mit Schwester Elsa-Irène Horat. Wir kennen uns schon lange, begegnen uns immer wieder im Dorf oder auf dem Klosterplatz: die aufgestellte «Kleine Schwester», die mir früher beim Vorbeifahren aus dem Auto zuhupte und die sich seit vielen Jahren mit Leidenschaft und Engagement für die Flüchtlinge und Asylanten in unserer Region einsetzt. Sie hat reiche Erfahrung gesammelt bei ihren zehn Jahren Arbeit im kantonalen Durchgangszentrum für Asylsuchende (im Steinbach und im Degenbalm Morschach).

Dies war auch der Grund, dass man sie in die Kerngruppe von «Ökumene bewegt» geholt hat – sie, die erfahrene Frau, welche in jungen Jahren viele Länder bereiste und verschiedene Sprachen spricht. Bescheiden wie sie ist, möchte sie gar nicht erwähnt haben, welche davon sie fliessend spricht. Aber dass sie auch etwas Neuhebräisch kann, finde ich dann schon erwähnenswert. Wobei unterbreche ich dich gerade?

Bei einem herzlichen Gespräch mit einer jungen Bauernfrau aus der Nachbarschaft. Du bist keine gebürtige Einsiedlerin, oder?

Nein, ich bin in Seewen, Schwyz, aufgewachsen und lebe seit zwanzig Jahren hier im Klosterdorf.

Und was hat dich aus dem Talkessel hierhergebracht? Die Ordensgemeinschaft der Kleinen Schwestern Jesu von Charles de Foucauld, der ich seit 43 Jahren angehöre. Was hat dich in deiner Kindheit «ennet der Mythen» geprägt? Die Offenheit meiner Eltern, meiner ganzen Familie. Das war für ein solch kleines Dorf nicht selbstverständlich. Meine Eltern waren anderen Menschen gegenüber immer sehr offen. Das zeigte sich etwa dadurch, dass ich immer meine Freundinnen und Freunde heimbringen durfte. Ich hatte eine schöne Kindheit und bin mit drei Geschwistern auf der anderen Seite der Mythen aufgewachsen.

Woran erinnerst du dich, wenn du an deine Schulzeit denkst?

Ganz ehrlich; vor allem an die Schulreisen.

Und danach?

Da machte ich einen Aufenthalt in der italienischen und in der französischen Schweiz, bevor ich die Berufsausbildung als Krankenschwester im Kantonsspital Luzern begann. Anschliessend arbeitete ich am Universitätsspital Basel und im Inselspital Bern, wo ich dann auch die zweijährig Zusatzausbildung in Intensivpflege absolvierte. Ja und dann lockte mich das Ausland: Ich machte als erstes mit meiner Freundin eine Weltreise, mit längerem Aufenthalt in Kanada. Später war ich zwei Jahre in England, wo ich im charing cross hospital in London arbeitete. Hast du noch mehr von der Welt gesehen? Ich war ein Reisefüdli und habe die halbe Welt bereist. Und was ist dann geschehen?

Da war ein Ruf in mir, der nicht mehr lockerliess. Ich versuchte erst, ihm zu entrinnen, doch er wollte einfach nicht überhört werden. Als ich dann im Sacré Coeur in Paris ein kleines Büchlein von Charles de Foucauld in die Hände bekam, spürte ich ganz deutlich, dass dies mein Weg ist. So bin ich mit 29,5 Jahren bei den Kleinen Schwestern eingetreten. Du setzt dich stark für die Menschen ein. Was gibt dir den Antrieb?

Mein Menschenbild. Ich denke, es gibt so viel Ungerechtigkeit in der Welt und ich möchte mich für die Menschen einsetzen, die das selbst zu wenig können.

Wer hat dieses Völkerfest in Einsiedeln ins Leben gerufen? Martina, Judith und Cornelia kamen auf mich zu. Sie wussten, dass ich im Asylbereich gearbeitet hatte. Im gemeinsamen Suchen wurde dann die Kerngruppe «Ökumene bewegt» gegründet. Sie besteht aus Vertreterinnen und Vertretern der katholischen Pfarrei, der reformierten Kirchgemeinde, der Freievangelischen Gemeinde und der Pfingstgemeinde. Im nächsten Jahr werden wir bereits das 10-Jahre-Jubiläum feiern.

Und was ist der Zweck?

Es bestehen so viele Vorurteile und wir möchten durch dieses Völkerfest eine Begegnungsmöglichkeit bieten, um offen und auf Augenhöhe aufeinander zuzugehen und um Vorurteile gegeneinander abzubauen. Wie läuft das Völkerfest «normal » ab? Die Menschen aus den einzelnen Ländern bekommen einen Tisch zugewiesen, den sie selbst gestalten können. So entsteht auf dem Paracelsusplatz eine kleine internationale Welt. Die Tische werden mit Plakaten und Gegenständen aus den einzelnen Ländern verziert und den Gästen werden Spezialitäten aus der Heimat offeriert. Die Menschen gehen sehr herzlich und offen aufeinander zu und präsentieren ihr Land mit Freude und Stolz. Es ist eine Bereicherung für beide Seiten.

Auf welche Länder trifft man da?

Es sind etwa zwanzig Länder: Eritrea, Afghanistan, Äthiopien, Irak, Syrien, Türkei, England, Kroatien, Tschad, Angola, Österreich, Mongolei, Kongo, Iran, und so weiter. Ich muss nicht erwähnen, warum das Völkerfest im letzten Jahr nur im kleinen Rahmen durchgeführt werden konnte und leider in diesem Jahr gar nicht stattfinden wird. Habt ihr eine Alternative – eine Art Völkerfest «light»?

Nein, das gibt es nicht. Wir schreiben den Beteiligten aus den vergangenen Jahren einen Brief mit einem «safe the date», damit sie sich den 21. August 2022 schon vormerken können. Kommen wir nochmals zu dir zurück. Was hat sich für dich gegenüber vor dreissig Jahren verändert?

(Überlegt lange…) Unerhört viel – in jeder Beziehung. Es ist zu umfassend, als dass ich es in eine Antwort packen könnte. Nennen möchte ich vielleicht die vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten, die ich selbst auch schätze, die aber die direkte Begegnung zwischen den Menschen nicht unbedingt fördern. Und ich bevorzuge halt schon ein Gespräch über den Gartenhag mit meiner Nachbarin. Welche Veränderung würdest du dir für die kommenden 30 Jahre wünschen? Ich wünsche mir eine grössere Offenheit und mehr Gerechtigkeit und Frieden. Dies wünsche ich mir für uns alle. Sicher kann da auch das Gebet etwas beitragen. Bei den vielen Menschen, die sich tagtäglich für das Gute in der Welt einsetzen, wünsche ich mir, dass die Geschichte gut weitergehen wird – trotz Rückschlägen, wie wir sie gerade wieder in der weiten Welt miterleben, und trotz einem kleinen Virus, der unseren Alltag durcheinandergebracht hat und noch weiterhin bringt.

Foto: Franziska Keller

Von Franziska Keller

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