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«La vie est plus belle en voyage»

«La vie est plus belle en voyage» «La vie est plus belle en voyage»

Besuch bei Fahrenden nach einer Woche Wallfahrt im Klosterdorf

Bis letzten Sonntag dauerte die Wallfahrt der katholischen Fahrenden in Einsiedeln. Sie feierten Gottesdienste – auch mit Abt Urban –, hielten Bibelstunden ab für ihre Kinder, liessen ihre Wagen segnen und machten Ausflüge mit den Familien. Sie fühlten sich sehr wohl im Klosterdorf, wie sie vor ihrer Abfahrt erzählen.

WOLFGANG HOLZ

«Für mich war die Wallfahrt nach Einsiedeln wie Ferien», sagt Sylvie Gerzner auf Französisch und lächelt. Sie sitzt gerade mit Aude Morisod, der «Coordinatrice» der Katholischen Seelsorge für die Fahrenden in der Schweiz, vor einem Wohnwagen auf der grünen Wiese – direkt neben der St.-Gangulf-Kapelle.

Die anderen Wohnwagen und Camper der katholischen Jenischen stehen wie eine Wagenburg auf dem asphaltierten Brüelparkplatz. Wegen Corona sind es in diesem Jahr nicht so viele Fahrende wie in den Jahren zuvor. Angst vor dem grossen Hagel

Der Wind streicht kühl um die Ecke der mobilen Behausung, und beide Frauen schauen sorgenvoll in den blauen Himmel, wo sich am Horizont, wie vorhergesagt, bereits das nächste Gewitter zusammenzubrauen scheint. «Vergangenen Sonntag hatten wir schon sehr viel Angst, als der Hagel auf unsere Wohnwagen trommelte», bekennt Sylvie Gerzner.

Nur 2010, als sie schon einmal bei der Wallfahrt der Fahrenden in Einsiedeln dabei war, sei es noch schlimmer gewesen. «Da durchschlugen die Hagelkörner unsere Vorzelte», erzählen sie – die schon gut und gerne mehr als 20 Mal bei der Pilgerfahrt ins Klosterdorf mit von der Partie waren. Leben in echter Gemeinschaft

«Für uns Fahrende ist der Glaube sehr wichtig für unser Alltagsleben », versichert Sylvie Gerzner, die Präsidentin der katholischen Bewegung der Fahrenden in der Schweiz. Die Romande, die als Jenische schon immer eine Fahrende gewesen ist, behagt das Nomadenleben sehr: «Weil ich viel glücklicher auf Reisen bin.» «La vie est plus belle an voyage», bekennt sie, und man spürt in ihrem ansteckenden Lächeln, wie viel Freude und Freiheit sie dabei empfindet. Doch nicht nur das. «Wir leben mit unseren Wagen wie in einer kleinen, echten Gemeinschaft – das ist ein bisschen wie bei den Indianern. Andererseits kann sich jeder jederzeit in seinen Wagen zurückziehen.» Es gibt viel zu wenige Durchgangsplätze Das hört sich romantisch und gemütlich an. Doch die Realität ist hart. Denn für die Fahrenden in der Schweiz sei das grösste Problem, immer wieder einen Durchgangsplatz zu finden. «Denn paradoxerweise gibt es für ausländische Fahrende in der Schweiz mehr Möglichkeiten, sich aufzuhalten, als für Jenische in der Schweiz», sagt Aude Morisod. Grund dafür sei wohl, dass die Schweiz gegenüber ausländischen Fahrenden sich an EU-Recht halten müsse.

«Für uns wird es dagegen immer schwieriger, ein freies Plätzchen zu finden», sagt Gerzner und zückt ihr Handy. Sie ruft im Internet eine Seite auf, auf der im Prinzip x Durchgangsplätze für Jenische in der Romandie aufgelistet sind. «Heutzutage sind es aber gerade mal noch zwei», sagt sie – die sich beruflich mit dem Verkauf von Trödelartikeln beschäftigt. Die schweizerischen Jenischen seien eben bis heute nicht genügend durch die europäischen Konventionen in ihrer Heimat geschützt – obwohl die Jenischen als Minderheit gleichwohl gesellschaftlich anerkannt sind (siehe Kasten).

Religiöse Lieder auf der Gitarre Umso mehr haben die Fahrenden ihr Willkommensein und ihre Wallfahrts-Woche mit Eucharistiefeiern, Gebeten vor der Schwarzen Madonna, Bibelstunden für Kinder und Bibelgesprächen am Feuer, Filmabenden, Grillfesten und Familienausflügen genossen. Am vergangenen Samstag fanden auch noch Taufe, Firmung und Erstkommunion in der Klosterkirche statt. Nicht zuletzt mit ihren Kindern verbrachten die Fahrenden viel Zeit. «Wir liessen beispielsweise vor dem Kloster Luftballone in den Nachthimmel steigen», erinnert sich Sylvie Gerzner.

Sie selbst spielte bei Messen religiöse Lieder auf ihrer Gitarre zum Mitsingen. Auf einem Handyvideo ist dabei Abt Urban im Ornat im Kreis der Jenischen vor der Gnadenkapelle zu erkennen. Auch ihm gefiel der stimmungsvolle Anlass sichtlich. «Für die Jenischen ist es wichtig, Gott und das Evangelium in ihrer eigenen Kultur erleben zu können», sagt Aude Morisod.

Shoppen in Einsiedeln

Nicht nur das. Denn natürlich haben sie es, die quasi immer «on the road» sind, auch genossen, im Klosterdorf zu weilen und sich eine Woche lang «sesshaft» fühlen zu können. «Wir haben viel eingekauft, sind ins Restaurant zum Essen gegangen, haben Kaffee getrunken.» Kein Zweifel: Die Jenischen – was übrigens offenbar so viel wie Fahrende heisst – haben sich wohlgefühlt in Einsiedeln.

Vor allem die Kinder der Fahrenden hatten viel Freude im Kloster. Foto: Sylvie Gerzner

Im Gespräch: Aude Morisod (links) und Sylvie Gerzner. Foto: Wolfgang Holz «Für uns Fahrende ist der Glaube sehr wichtig für unser Alltagsleben.»

Sylvie Gerzner, Jenische

«Für die Jenischen ist es wichtig, Gott und das Evangelium in ihrer eigenen Kultur erleben zu können.»

Aude Morisod, Coordinatrice Katholische Seelsorge für Fahrende in der Schweiz

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