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Angst haben und Angst machen

Angst haben und Angst machen Angst haben und Angst machen

SEITENBLICK: GLAUBEN UND ZWEIFELN

PATER THOMAS FÄSSLER

An unserer Stiftsschule haben wir gerade die Examen hinter uns gebracht, mit denen sich unsere Lernenden den Sprung in die Sommerferien verdienen mussten. In vier Fächern wird dabei nochmals der gesamte Jahresstoff geprüft – fünf Minuten lang, mündlich. Den einen scheinen solche Prüfungen durchaus zu liegen. Sie erzählen jedenfalls munter drauflos, was sie zum gezogenen Thema alles wissen – oder versuchen all das zu kaschieren, was sie nicht wissen. Anderen hingegen ist es sichtlich bange zumute. Schwitzende Hände, die an den Hosenbeinen abgerieben werden, und Verhaspelungen beim Sprechen sind nur zwei typische Anzeichen dafür. Bei nicht wenigen zeigen sich plötzlich auch rote Flecken im Gesicht oder am Hals, wie angeworfen. «Flushing» nennt man dieses Phänomen, das zeigt, dass Angst reale Auswirkungen hat.

Die Angst zerrt vom Glück weg

Ängste lassen uns nicht entfalten. Sie hemmen uns, ja engen uns ein – wie das Wort «Angst» bereits in seiner ursprünglichen Bedeutung ausdrückt. Schon kleine Kinder können sich in bestimmten Situationen von der Angst in die Enge getrieben fühlen. Das habe ich letzthin bei meinem Neffen erfahren, der sich während Wochen auf ein Wochenende – samt Übernachten – bei seinen Grosseltern gefreut hatte. Er selbst war es, der sich dieses «Abenteuer» gewünscht hatte. Als jedoch die beiden grossen Tage endlich vor der Tür standen, wich die Vorfreude einer immer grösser werdenden Angst. Sie wurde schliesslich so gross, dass das Ganze abgesagt wurde. Die Angst zerrte ihn regelrecht vom Glück weg, das auf ihn gewartet hätte.

Von aussen betrachtet war seine Angst völlig irrational.Was sollte ihm denn bei seinen Grosseltern schon Schlimmes passieren? Irrationalität ist jedoch gerade typisch für die Angst. Deshalb helfen auch die besten Argumente so wenig dagegen; sie richten sich nämlich an den Kopf, während die Angst ganz anderswo sitzt – in der Brust, im Magen, im Herzen.

Angst machen

Viel einfacher als Angst abzubauen helfen, ist es, solche zu schüren – und zwar mit ganz praktischer Wirkung. Denn Leute in Angst rennen, wo es gar nichts zu rennen gäbe, oder packen unüberlegt zu, wo sich ein nochmaliges Überdenken in aller Ruhe lohnen würde. In der Politik wird Angst schon seit jeher gezielt eingesetzt, immer wieder mit denselben Reizthemen. Neu hingegen war für mich die Angst um unsere Gesundheit, die seit anderthalb Jahren – so sehe ich es zumindest – zum Teil bewusst geschürt wird. Und zwar in solchen Dimensionen, dass sie selbst krank machen kann. Damit aber lässt sich gut Kasse machen. Damit lassen sich Newszugriffe generieren. Und damit lassen sich auch die Leute bei Stange halten, verfügte Massnahmen willig zu befolgen (diese selbst sollen hier übrigens keineswegs infrage gestellt werden, genauso wenig wie die Gefährlichkeit des Virus, um das es hier geht).

Auch in der Kirche wurde Angst früher oft als pädagogisches Mittel eingesetzt. Ich möchte nicht bestreiten, dass dies in bester Absicht und echter Sorge um das Wohl der Menschen geschehen konnte. Aber eine Pädagogik der Angst ist nie sinnvoll. Mehr noch: Sie erwirkt immer das Gegenteil. Denn die Menschen wollen fliehen, aus dieser Enge ausbrechen.

Gott selbst spielt nie mit der Angst. Es ist vielmehr sein Gegenpart, der dies tut – so etwa im Paradies, indem er in den ersten Menschen die Angst hochschaukelte, zu kurz zu kommen. Gott schenkt uns die Freiheit – selbst die, eine Beziehung mit ihm einzugehen oder nicht. Weil er weiss: Nur eine Liebe aus freien Zügen ist wahre Liebe, die entfalten, aufblühen, erstarken lässt.

«Gott schenkt uns die Freiheit – selbst die, eine Beziehung mit ihm einzugehen oder nicht.»

Pater Thomas Fässler

(*1984) ist seit 2006 Mönch im Kloster Einsiedeln. Er studierte Theologie, Geschichte sowie Latein und unterrichtet an der klösterlichen Stiftsschule, wo er auch als Schulseelsorger und Ministrantenbetreuer tätig ist.

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