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«Das Image des Lehrerberufs hat wohl ziemlich gelitten»

«Das Image des Lehrerberufs hat wohl ziemlich gelitten» «Das Image des Lehrerberufs hat wohl ziemlich gelitten»

Nach 13 Jahren Präsidium im Schwyzer Lehrerverband nimmt Konrad Schuler aus Unteriberg seinen Hut: «Ich schaue zurück auf eine sehr ereignisreiche Zeit, die ich als Präsident erleben durfte. Endlich nimmt man die Lehrerschaft ernst.»

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie hat sich für die Lehrerschaft in den vergangenen Jahren das Berufsbild verändert? Der Lehrerberuf hat sich mannigfach gewandelt. Das hat einerseits mit der im Jahr 2006 eingeführten geleiteten Volksschule sowie anderseits mit der Einführung des neuen Lehrplans zu tun. Seither hat sich der Schulalltag stark verändert. Vorher hiess das Motto «Ich und meine Klasse», ab dann «Wir und unsere Schule». Vorher war der Lehrer mehr ein Einzelkämpfer, der grösstenteils die ganze Verantwortung zu tragen hatte. Dann wurde Teamarbeit immer wichtiger, auf dass man auch gemeinsam den Unterricht vorbereitet. Dieser Paradigmenwechsel war einschneidend: Die Schule wird nun stärker geführt. Vorher war der Lehrer weitestgehend sein eigener Chef, nun gibt es die Schulleitungen. Damit einher ging ein Verlust von Freiheiten, welche die Lehrerschaft vorher noch hatte. Die Methodenfreiheit etwa wurde eingeschränkt. Wie hat sich die Einführung des Lehrplans 21 auf den Lehrerberuf ausgewirkt? Mit dem Lehrplan 21 hat sich der Unterricht in den Schulzimmern nochmals verändert: Er orientiert sich an Kompetenzen und ist weniger auf Wissen fokussiert. Das Ziel ist schliesslich handeln zu können, mündig zu sein, dank Kompetenzen etwas mit dem Wissen anfangen zu können. Damit verbunden ist ein breites Repertoire an Lehrmethoden. Die Bedeutung des Frontalunterrichts hat abgenommen. Die Selbsterarbeitung von Themen und der Zugang zum Stoff (Internet, Buch, Befragung und so weiter) rücken stattdessen in den Fokus. Projektartige, fächerübergreifende Gruppenarbeiten im Team und Werkstatt-Unterricht stehen beispielsweise stärker im Vordergrund. Unterdessen wird bereits die Aufweichung des Stundenplans diskutiert. Eine Lektion von 45 Minuten Dauer, die für ein bestimmtes Fach reserviert war, könnte bald der Vergangenheit angehören. Ist der Lehrplan 21 ein gelungener Wurf?

Ich persönlich bin zu Beginn selber dem Lehrplan 21 eher kritisch gegenübergestanden. Vielen Lehrpersonen kam denn auch ein kompetenzorientierter Unterricht ziemlich theoretisch vor. Da waren Ängste spürbar, ob der Unterricht schliesslich nicht sehr oberflächlich daherkomme, kein Wissen mehr vertieft werde. Es kamen Fragen auf wie: Lernt der Schüler überhaupt noch, dass drei Mal sieben 21 gibt? Unterdessen sind viele Widerstände seitens der Lehrerschaft abgebaut worden. Es kommt gut mit dem Lehrplan 21. Ich möchte betonen: Wir stecken noch mitten in der Umsetzungsphase. Der Lehrplan 21 wurde im Jahr 2017 beziehungsweise 2018 eingeführt. Ich rechne mit mindestens fünf Jahren, die es braucht, bis der Lehrplan 21 umgesetzt sein wird. Wo steht der Lehrerberuf heute?

Es ist nach wie vor ein sehr schöner Beruf: Lehrer sein zu dürfen, ist eine interessante, bereichernde Tätigkeit. Es ist nicht einfach ein 08/15-Job. Ich würde vielmehr von einer Berufung sprechen. Mit jungen Menschen zu arbeiten macht Freude und ist ein Privileg. Bedeutet es doch nichts weniger als an der Zukunft unserer Gesellschaft mitzugestalten.

Hat sich das Image des Lehrerberufs gewandelt? Das ist eine schwierige Frage. Das Image des Lehrerberufs hat wohl ziemlich gelitten. Vor fünfzig Jahren gehörte der Lehrer neben dem Pfarrer und dem Arzt noch zu den grossen Autoritäten, zu markanten Persönlichkeiten in einer Dorfgemeinschaft. Tempi passati! Von den damaligen Autoritäten geht nicht mehr dieselbe Ausstrahlung aus wie noch etwa in den 80er-Jahren. Das hat viel mit den Veränderungen in unserer Gesellschaft zu tun: Es hat einen grossen Ausgleich innerhalb der Gesellschaft gegeben. Wir leben nicht mehr in Zeiten, in denen sich eine gewisse Person stark abhebt von den anderen Leuten. Wieso gibt es kaum noch Primarschullehrer?

Der Lehrerberuf ist auch ein sozialer Beruf: Er dient dazu, junge Menschen auf das kommende Leben vorzubereiten. Soziale Berufe ziehen eher Frauen an. Hinzu kommt, dass sich der Unterricht verändert hat: Er ist gesamtheitlicher geworden. LehrerInnen und Lehrer müssen neuerdings Erziehungsaufgaben ausführen, die in früheren Zeiten Eltern übernommen haben. Darin zeigt sich: Die Schule ist nichts anderes als ein Abbild der Gesellschaft. Ein wesentlicher Grund für die sinkende Zahl der Lehrer liegt im relativ tiefen Lohn der Primarschullehrer und in den fehlenden Entwicklungsperspektiven im Lehrerberuf. Ich kenne unzählige Redaktoren und Journalisten, die waren einmal Lehrer in ihrem früheren Leben. Hinzu kommt, dass Männer gerne Vollzeit arbeiten würden: Das geht im Lehrerberuf aber nicht mehr wirklich gut, weil ein 100-Prozent-Pensum eine zu grosse Belastung verursacht. Ist es für Buben wichtig, dass sie einen Lehrer als eine männliche Bezugsperson haben können?

Das ist ein wichtiger Aspekt. Die zunehmende Verweiblichung des Schulwesens wirkt sich für Buben mitunter nicht so positiv aus. Wenn ein Schüler mit einer alleinerziehenden Mutter aufwächst und keine Lehrer hat, lernt er nur noch ein Geschlecht kennen. Für einen gesamtheitlichen Unterricht braucht es weibliche und männliche Elemente. Und Frau und Mann sind nun einmal nicht gleich und dasselbe. Es fehlt einfach etwas, wenn Männer im Unterricht ausfallen. Es wäre wünschenswert, wenn ein Lehrerteam möglichst gut durchmischt wäre, sowohl bezüglich der Geschlechter wie auch in Bezug darauf, dass alle Altersklassen vertreten sind. Wie kann man diesen Missstand beheben?

Man müsste auch beim Lohn ansetzen, um wieder mehr Männer in den Primarlehrerberuf zu locken. Die Lohnschere hat sich zu stark geöffnet: Ein Berufsschul- oder Gymnasiallehrer verdient deutlich mehr wie ein Primarschullehrer. Das steht in einem fragwürdigen Verhältnis zur Leistung, die ein Primarschullehrer vollbringt. Man müsste den Mut haben, das bestehende Lohnsystem über den Haufen zu werfen. Meine Vision wäre: Ausbildungen werden vor allem in den Anfangsjahren berücksichtigt. Alle Lehrer sollen ab etwa 45 Jahren den gleichen Lohn erhalten.

Wo drückt der Lehrerschaft der Schuh? Was brennt den Lehrern unter den Nägeln? Die Gesamtbelastung hat stark zugenommen und ist an ihre Grenzen gestossen. Immer mehr Aufgaben müssen Lehrer erfüllen. Neue Fächer sind hinzugekommen: Fremdsprachen, das Tastaturschreiben, Medien und Informatik als Beispiele. Die Schulklassen werden immer heterogener, was das Unterrichten nicht einfacher macht. Es braucht viel mehr Absprachen und Koordinationsarbeiten als früher, weil unterdessen allenfalls bis fünf und mehr Lehrer eine Klasse unterrichten. Vielleicht hat es unterdessen auch einfach zu viele Bezugspersonen in der Primarschule. Wie hat sich die integrative Schulform bewährt? Es ist ein hehres Ziel, möglichst viele Kinder in der Regelklasse zu unterrichten – also auch Kinder mit Schulschwierigkeiten. Allerdings frage ich mich, wann eine Grenze erreicht wird, wie weit man gehen soll mit der Integration. Für die Lehrer bedeutet die integrative Schulform eine zusätzliche Belastung: Sie müssen viel mehr in die Vorbereitung des Unterrichts investieren, weil sie sich auf verschiedene Niveaus einstellen müssen. Die Unterschiede zwischen den Schülern in einer Klasse sind sehr gross. Hinzu kommt, dass die Dokumentation viel Zeit verschlingt: Lehrer müssen gegenüber den Eltern, den Schülern und der Schulleitung Bericht erstatten, weil dies die Informationspflicht so vorsieht. Es steht viel Beurteilungsarbeit an: Jede Note, die gegeben wird, muss begründet und schriftlich nachgewiesen werden. Überdies runden unzählige Sitzungen und Elterngespräche das volle Programm ab. Kein Wunder, wenn unter diesen Umständen Lehrer ausbrennen, im Burnout landen und ausfallen. Wieso fehlt es vor allem an Klassenlehrpersonen? Idealerweise hat ein Klassenlehrer im Minimum ein 80-Prozent- Pensum. Weil aber deutlich mehr gearbeitet wird, über das eigentliche Pensum hinaus, wird die Belastung im Lehrerberuf mit einem höheren Pensum zu gross. Ein 100-Prozent-Pensum ist kaum mehr zu bewältigen und macht krank. Also wollen die meisten lieber Fachlehrer sein: Dies lässt sich mit einem tieferen Pensum ausüben. Für Frauen, die gerne Teilzeit arbeiten, ist dies ideal: Ein 30- bis 50-Prozent- Pensum ist gut bezahlt und eignet sich bestens als Zweitverdienst. Unter diesen Umständen fehlt es den Schulen an Klassenlehrpersonen.

Welche Herausforderungen kommen auf die Lehrer zu? Eine Weiterentwicklung stellt eine andauernde Herausforderung dar: Lehrerinnen und Lehrer müssen sich ständig hinterfragen, sich erneuern, sich anpassen. Notwendig ist, den musischen und kreativen Fähigkeiten den nötigen Stellenwert zu geben. Ein breites Allgemeinwissen ist notwendig. Man muss sich behaupten können in einer immerzu komplexer werdenden Schullandschaft. Zu hoffen bleibt, dass sich Lehrpersonen nicht noch mehr vom gesellschaftlichen und politischen Leben abkoppeln, ihre Kommunikationsfähigkeit zeigen und eine Rolle in der Gesellschaft, in der Öffentlichkeit ausüben. Lehrerinnen und Lehrer sollten klar ihre Meinung sagen, nicht resignieren und sich ins Schneckenhaus zurückziehen.

Welche Höhepunkte haben Sie in Ihrer Amtszeit erlebt?

Ich schaue zurück auf eine sehr ereignisreiche Zeit, die ich als Präsident erleben durfte. Die Lehrerschaft nimmt man im Allgemeinen ernst: Ich sehe es als grossen Erfolg, dass der Einbezug der Lehrerschaft in das Bildungswesen weitestgehend gelungen ist. Beim Kanton ist das Thema Gesundheit der Lehrer angekommen: Die Bildung für nachhaltige Entwicklung wurde und wird gestärkt. Überhaupt ist das Bildungssystem zu einem grossen Thema in den Medien geworden. Ein Höhepunkt war das 100-Jahr-Jubiläum des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Kanton Schwyz. Gab es auch einen Tiefpunkt?

Der Tiefschlag par excellence waren die vom Kanton Schwyz beschlossenen Sparmassnahmen im Bildungswesen im Jahr 2014. Zum Glück wurde der Abbau von zwei Alternier-Lektionen unterdessen wieder zurückgenommen. Eine gute Schule braucht personelle, finanzielle und zeitliche Ressourcen. Durch Sparübungen im Bildungsbereich wird künftig die Sozialhilfe stärker belastet. Beim Bündeln der unterschiedlichen Vorstellungen von Schule und Unterricht gilt es den Handlungsspielraum der Lehrer hochzuhalten. Halten wir es mit dem amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy: «Es gibt nur eines, was auf die Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.» Sind die Schulschliessungen aus Ihrer Sicht notwendig gewesen?

Ich kann dem Kanton ein Kränzlein winden: Die Massnahmen waren verhältnismässig, und der Kanton hat den Lehrerverband bestens miteinbezogen. Die Schulschliessung war vernünftig. Der Kanton hat Weitsicht bewiesen, dass er das Testen in der Primarschule für freiwillig erklärt hat.

Wie hat sich die Erhöhung der Schülerzahl in einer Klasse auf den Lehrerberuf ausgewirkt? Die reine Zahl an Schülern in einer Klasse ist nicht so relevant. Wichtiger ist die Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler in einer Klasse. Es macht einen grossen Unterschied, ob man wenige oder viele Schüler mit Lern- und Verhaltensschwierigkeiten in einer Klasse hat. Wie kommt bei Ihnen die Politik des Schwyzer Bildungsdepartements an?

Im Kanton Schwyz hat das Bildungswesen ein gutes Niveau erreicht. Wir sind auf gutem Weg gemeinsam unterwegs – zusammen mit dem Bildungsdepartement. Die meisten der in der Politik Verantwortung tragenden Menschen und die Mehrheit der Bevölkerung anerkennen Lehrerinnen und Lehrer als zentrale Personen im Unterricht.

Konrad Schuler, Präsident des Berufsverbands Lehrerinnen und Lehrer Kanton Schwyz: «Es wäre gut, wenn sich mehr Männer entscheiden würden, den Beruf eines Primarlehrers in Angriff zu nehmen.» Foto: Magnus Leibundgut

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