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«Wir wollen die Schule mit einer Oberstufe ergänzen»

«Wir wollen die Schule mit einer Oberstufe ergänzen» «Wir wollen die Schule mit einer Oberstufe ergänzen»

In einer Woche geht die Privatschule Casa Vitura in die Sommerferien. Die 38-jährige Yasmin Fässler aus Trachslau, Präsidentin des Vereins für natürliches Lernen, zieht Bilanz über das erste Betriebsjahr der Schule: «Leider hat der Bezirk Einsiedeln unser Gesuch für eine Unterstützung abgelehnt.»

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie fällt Ihre Bilanz nach einem Jahr Schulbetrieb von Casa Vitura aus?

Sehr harzig: Das Coronavirus hat uns einen tüchtigen Strich durch die Rechnung gemacht und uns im dümmsten Moment getroffen. Geplante Infoveranstaltungen, Tage der offenen Tür und Apéros sind coronabedingt ausgefallen. Dabei wäre Werbung in dieser Phase der Lancierung der Schule sehr wichtig gewesen. Wir holen diese Anlässe nun verspätet nach. Wie entwickelt sich die Schülerzahl?

Wir sind vor einem Jahr mit acht Schülern gestartet. Zwei Kinder haben die Schule unterdessen wieder verlassen und werden zu Hause unterrichtet (Homeschooling). So wie es aussieht, starten wir nach den Sommerferien mit etwa zehn Kindern in das neue Schuljahr. Die Entwicklung der Schülerzahl ist coronabedingt unbefriedigend. Doch nach wie vor ist es unser Ziel, dass wir schliesslich auf 25 Kinder kommen wollen.

Ist geplant, zukünftig eine Oberstufenklasse einzurichten?

An diesem Ziel halten wir fest: Wir wollen die Schule mit einer Oberstufe ergänzen. Es ist geplant, ab dem Jahr 2025 eine Oberstufe in unserer Schule zu integrieren: In diesem Jahr beenden die ältesten Kinder bei uns die Primarschule. Wir wollen diesen Schülern auf diese Weise einen nahtlosen Übergang in die Oberstufe bei uns ermöglichen. Wie viele Lehrer sind bei Ihnen eingestellt? Die pädagogische Leiterin Bernadette Röllin ist mit einem 60-Prozent-Pensum angestellt. Wir wollen ab August Lernbegleiter mit einem 100-Prozent-Pensum anstellen. Bis anhin sind der Schulleiter René Kälin mit einem 40-, Sibylle Bachmann mit einem 20- und ich mit einem 40-Prozent-Pensum als Lernbegleiter ehrenamtlich im Einsatz gestanden. Zudem ist eine Heilpädagogin bei uns tätig. Ist die Finanzierung der Schule gesichert? Die Corona-Pandemie hat bei uns zu einem grösseren Loch in der Kasse geführt. Wir können uns dank zinslosen Darlehen über Wasser halten. Unser Jahresbudget beträgt zwischen einer Viertel- und einer halben Million Franken. Wir haben beim Bezirk ein Gesuch für einen Beitrag an die Privatschule Casa Vitura eingereicht. Leider hat der Bezirk Einsiedeln unser Gesuch für eine Unterstützung abgelehnt.

Mit welcher Begründung?

Grundsätzlich erhalten private Volksschulen keine Beiträge seitens Kanton oder Gemeinwesen. Es können aber Beiträge geltend gemacht werden, wenn dem Gemeinwesen Schullasten abgenommen werden. Der Bezirk begründet seine Ablehnung unseres Gesuches dahingehend, dass von keinen nennenswerten Einsparungen gesprochen werden könne: Der Bezirk Einsiedeln erhalte auch keine Schülerpauschalen für die Kinder, welche die Privatschule Casa Vitura besuchen. Wie viel Geld haben Sie bis anhin via Fundraising eingenommen?

Wir haben dank Fundraising einen Betrag in der Höhe von 50’000 Franken eingenommen. Dieser Betrag war hauptsächlich dafür gedacht, das Schulprojekt vor einem Jahr überhaupt lancieren zu können.

Wie viel kostet die Schule monatlich pro Kind?

Eltern zahlen monatlich einen Basisbeitrag von 900 Franken pro Kind. Hinzu kommen abgestufte zusätzliche Beträge monatlich pro Kind: 100 Franken im ersten und 300 Franken im zweiten Kindergartenjahr sowie 600 Franken auf der Primarstufe. Eltern, die zwei Kinder bei uns auf der Primarstufe beschulen lassen, zahlen pauschal einen Betrag von 2100 Franken. Gibt es Unterstützung für Eltern, die sich das Schulgeld nicht leisten können? Die Casa Vitura ist keine staatlich finanzierte Schule. Mit dem Schulgeld, das die Eltern bezahlen, decken wir die Fixkosten wie Raummiete und Personallöhne. Unser Ziel ist es, dass alle Eltern ihr Kind in die Casa Vitura schicken können, unabhängig von ihrem Einkommen. Aus diesem Grund sind wir auf Spenden angewiesen: Dank diesen Spenden können wir einkommensschwächere Familien finanziell entlasten. Leider fliessen Spendengelder eher kärglich: Wir haben über fünfzig Stiftungen angeschrieben und überall Absagen erhalten. Die Stiftungen finden unser Projekt schon gut: Nur unterstützen sie Projekte nicht, deren Verantwortung bei der öffentlichen Hand liegt. Kommen die Kinder zu Fuss in die Schule? Ursprünglich holten wir die Kinder beim Spital Einsiedeln mit dem Bus ab und haben sie auf den Katzenstrick gefahren. Das haben wir dann aufgegeben, weil uns die Situation ungünstig erschien – das Spital und Corona … (lacht). Seither sind die Kinder auf dem letzten Abschnitt, ab der Stelle, an welcher der Wanderweg abzweigt, zu Fuss unterwegs. Sie entdecken dabei Wolfsspuren, den blühenden Bärlauch, Raupen auf Brennnesseln. Der schneereiche Winter auf dem Katzenstrick war der Hit, das Schlitteln hinunter in das Klosterdorf ein grosses Gaudi. Kein einziges Kind ist den ganzen Winter über krank geworden. Eine Turnhalle gibt es naturgemäss nicht auf dem Katzenstrick: Wo turnen die Kinder?

Die Kinder haben während des Winters in den Räumen der Zirkusschule Matviienko Dance Art Akrobatik geübt. Auf alle Fälle möchten wir die Zusammenarbeit mit Matviienko Dance Art in den Wintermonaten wieder anstreben. Statt Turnen stehen derzeit Baden, Wandern und Murmeli besuchen auf dem Programm.

Aus welchen Gemeinden kommen die Kinder in die Schule? Derzeit stammen alle Schüler aus Einsiedeln. Für das kommende Schuljahr gibt es Interessenten aus dem Bezirk Schwyz, dem Kanton Zug und aus dem Raum Wädenswil/Richterswil. Wie bewährt sich das pädagogische Konzept von Casa Vitura? Ich würde von einem vollen Erfolg sprechen. Kinder und Erwachsene sind gleichberechtigt. Inputs der Kinder haben einen hohen Stellenwert und gelten als wichtige Inspiration. Die Casa Vitura ist ein Ort, an dem sich ein Kind nach seinem ureigenen Bauplan und in seinem eigenen Tempo entfalten kann. Natürliches Lernen geschieht altersdurchmischt, selbstbestimmt, intrinsisch motiviert und ohne Leistungsvergleich. Es orientiert sich am Entwicklungsstand und an den persönlichen Interessen des Kindes. Die Lernlandschaft ist so gestaltet, dass sie individuelle Potenzialentfaltung möglich macht. Wie kommt das Konzept bei den Kindern an?

Sie sind begeistert – und geniessen es! Weil sie spielen dürfen. Denn das Spielen gehört zum Lernen. Je mehr die Kinder spielen dürfen, desto mehr lernen sie. Sie haben bei uns die Möglichkeit, das Lernen spielend zu erfahren. In einem gängigen Schulsystem steuert der Lehrer den Lernprozess des Kindes. Bei uns ist es der Schüler selber, der den Lernprozess auslöst. Sehen, Hören, Kriechen, Laufen, Sprechen haben die Kinder schliesslich auch selber von sich aus gelernt. Wieso soll der Schüler nicht auch Lesen und Rechnen von sich aus lernen? Lernen geschieht überall und kann auch ausserhalb des Schulzimmers stattfinden. Im Schulzimmer werden die Sinne mit Hilfe spezieller pädagogischer Materialien und kantonaler Lehrmittel angeregt. Wie kommt das pädagogische Konzept bei den Eltern an? Eltern sind oftmals verunsichert, wenn die Kinder zu Hause wenig von ihrem Schulalltag erzählen: Manche Eltern fragen sich dann: Was lernt das Kind denn nun in der Casa Vitura? Da wird viel Angst vor dem Unbekannten spürbar. In Gesprächen mit den Eltern suchen wir die Zweifel zu zerstreuen. Zudem sind Eltern verunsichert, weil die Casa Vitura eine junge Schule ist und noch keine Erfahrungswerte bestehen – wie bei Schulen, die bereits vor zwanzig Jahren gegründet worden sind.

Hat man beim Bezirk Sorgen wegen der Konkurrenz durch den Schulbetrieb von Casa Vitura? Es wäre besorgniserregend, wenn sich der Bezirk wegen der paar Schüler, die nicht die staatliche Primarschule besuchen, Sorgen machen würde (lacht). Wir stehen dafür ein, dass man uns als gleichwertige Schule anerkennt. Seitens des Kantons kommen hoffnungsvolle Signale, dass man Casa Vitura als eine Bereicherung und willkommene Ergänzung zum bestehenden Schulsystem einschätzt. Worin unterscheidet sich Casa Vitura von einer Primarschule im Klosterdorf? Wir haben keine Noten, keine Hausaufgaben, keinen Leistungsvergleich und keinen Frontalunterricht. Wir orientieren uns am Lehrplan 21, der nicht auf Lernziele, sondern auf Kompetenzen ausgerichtet ist. Könnte sich die Schule Casa Vitura zukünftig mit Kindern füllen, die wegen Stress durch Leistungsdruck eine staatliche Primarschule verlassen?

Wir wollen kein Lückenbüsser sein: Die Aufnahme von Quereinsteigern, die in staatlichen Schulen gescheitert sind, ist ein heikles Unterfangen. Oftmals ist die Integration von Kindern in privaten Schulen ein schwierig Ding, weil die Umstellung auf ein neues System schwierig ist: Die Schüler haben ganz andere Strukturen in Staatsschulen kennengelernt und können sich nicht von heute auf morgen auf ein intrinsisches Lernen einstellen. Wir setzen eher darauf, dass die Kinder bereits vom Kindergarten an unsere Schule besuchen und sich die Eltern von Grund auf für unser System entscheiden.

Würden Sie es begrüssen, wenn eine freie Schulwahl eingeführt werden würde? Bildungsvielfalt ist wichtig, und mit der Auseinandersetzung über eine freie Schulwahl rückt automatisch auch die Diskussion über die Bildungsvielfalt in den Fokus. Im Jahr 2019 sind in diversen Kantonen Petitionen für die freie Schulwahl eingegangen. Von der freien Schulwahl sind wir jedoch leider noch weit entfernt. Was würde sich für Casa Vitura ändern, wenn die freie Schulwahl lanciert werden würde? Dann wären wir den finanziellen Druck auf einen Schlag los (lacht): Schliesslich würden wir dann auch wie die staatlichen Volksschulen Beiträge vonseiten Kanton oder Gemeinwesen erhalten. Jetzt besteht noch bezüglich Volksschule ein Staatsmonopol: Das Schulwesen liegt in der öffentlichen Hand. Das ist eine Auflage, welche das Gesetz vorschreibt. Es schafft allerdings steuertechnische Ungerechtigkeiten: Eltern, deren Kinder eine Privatschule besuchen, werden doppelt zur Kasse gebeten: Sie müssen Steuern für die Volksschule bezahlen und Schulgeld für die private Schule. Welche Perspektiven hat Ihre Schule in der Zukunft? Wir müssen der Casa Vitura Sorge tragen, ihr wie einem Pflänzlein Wasser geben, auf dass sie Wurzeln schlage: Klar ist, dass wir einen langen Atem brauchen. Und klar ist auch, dass wir fortlaufend investieren müssen, auf dass wir nicht still stehen und stagnieren.

Yasmin Fässler ist Präsidentin des Vereins für natürliches Lernen: Von der Privatschule Casa Vitura aus geniesst man eine prächtige Aussicht auf das Klosterdorf. Fotos: Magnus Leibundgut

Vollends idyllisch gelegen inmitten der Natur befindet sich die Schule Casa Vitura auf dem Katzenstrick oberhalb von Einsiedeln.

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