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Gefährlicher Traumjob

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NADJA RÄSS

Es gibt unterschiedliche Entstehungshypothesen für das Jodeln. Eine davon lautet «Zuruf-Hypothese ». Diese besagt, dass das Jodeln aus dem Zurufen in den Bergen, also der Kommunikation dienend, entstanden sei. Im vergangenen Jahr hat diese Hypothese vielerorts eine Erweiterung erfahren. «Das hätte ich nie gedacht …»

Losgelöst von den Bergen wurde die Jodel-Kommunikation digital erweitert, denn als Jodler oder Jodlerin gehörte man innerhalb von kurzer Zeit zu den Superspreadern, war also hochgefährlich. Von einem Tag auf den anderen war es nicht mehr erlaubt, auf der Bühne, im Unterrichtsraum oder im Jodelklub zu proben.

Nie hätte ich gedacht, dass mein Traumberuf ein solches Risiko darstellt. Ziemlich abrupt sah mein Leben anders, ungewohnt aus. Seit meiner frühen Kindheit war es ein wichtiger Teil in meinem Leben, für andere und mit anderen Menschen zu singen. Erst jetzt realisierte ich, wie zentral und wie einnehmend dieser Teil in meinem Leben ist. Es hat mir unglaublich gefehlt, denn gerade auf der Bühne, aber auch im Unterricht findet immer ein Energieaustausch statt und jedes Konzert bedeutet auch Ausschüttung von Adrenalin. Ich fühlte mich also quasi wie ein Junkie auf kaltem Entzug. Doch die Not macht erfinderisch.Wie so viele Musiker habe auch ich Filmli gemacht, Noten geschrieben und komponiert.

Auch der soziale Teil fehlte Auch Jodelchorproben konnten nicht mehr stattfinden. Vor Corona leitete ich immer donnerstags den Jodlerklub Waldstatt Echo.Anschliessend wurde Einsiedler Beizenkunde betrieben. Was ich mir lange Zeit nicht vorstellen konnte – nämlich regelmässig einen Chor zu leiten –, gehört seit nun sechs Jahren so zu meinem Leben, dass ich es nicht wegdenken möchte. Doch auch dieser Teil war weg. Und damit nicht nur der musikalische, sängerische Aspekt, sondern eben auch der soziale Teil unseres Chors.

Mit Hilfe von Online-Einsingen und Aufnahmen der Chorlieder versuchten wir, das Repertoire à jour zu halten und so das Singen in den Corona-Alltag zu retten. Wie eingangs beschrieben, sind neue Kommunikationsformen entstanden, welche via Corona-Proben-Whats-App-Chat geteilt wurden. Einen kurzen Moment lang war es sogar möglich, wieder im Chor zu singen, sogar ein Strassensingen im Dorf gab es. Doch mit der zweiten Welle wurde auch dies wieder gestoppt. Seit Januar haben wir nun den Probenbetrieb wieder ganz sachte aufgenommen. Gestartet sind wir mit Einzelunterricht im Museum Fram, denn auch hier konnten keine Ausstellungen stattfinden und wir durften den grossen Raum – denn gejodelt wird künftig mit Abstand – an Stelle von Ausstellungsobjekten mit Jodelklängen füllen. Seit zirka zwei Monaten ist es nun wieder erlaubt, in kleineren Gruppen zu proben. Das ist zwar noch nicht dasselbe wie vor der Pandemie, doch ist es schön, dass wir uns wieder real sehen dürfen und nun auch wieder das pflegen dürfen, was eben auch zum Chor gehört: den gesellschaftlichen Teil. Neuerdings wieder inklusive Beizenkunde und in der grossen Hoffnung, dass Jodeln künftig wieder etwas ungefährlicher ist für unsere Mitmenschen. Denn zu gerne würden wir am Stammtisch wieder einmal ein Jützli zum Besten geben.

Nadja Räss. Nach der Matura an der Stiftsschule Einsiedeln studierte sie an der Zürcher Hochschule der Künste Gesang und schloss dieses Studium 2005 mit dem Master in Pädagogik erfolgreich ab. Nadja Räss ist leidenschaftliche Gesangspädagogin und seit Herbst 2018 Dozentin für «Jodel» an der Hochschule Luzern.

«Ich fühle mich also quasi wie ein Junkie auf kaltem Entzug.»

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