Veröffentlicht am

«Das Auto sorgt für Freiheit»

«Das Auto sorgt für Freiheit» «Das Auto sorgt für Freiheit»

Interview mit dem Grosser Ex-Rennfahrer Marcel Fässler über sein neues Leben und über Automobile der Zukunft

Im Frühjahr ist Marcel Fässler vom Rennsport zurückgetreten. Inzwischen hat der dreifache Le-Mans-Sieger neue berufliche Aufgaben übernommen. Im Interview spricht der 45-jährige Grosser über sein neues Leben.

WOLFGANG HOLZ

Herr Fässler, neulich hat sich Ihr erster Sieg in Le-Mans zum zehnten Mal gejährt. Haben Sie die riesigen Emotionen von damals noch einmal gespürt und wären Sie gerne nochmals im Rennauto gesessen? Emotional ist es schon ein bisschen geworden an diesem Tag. Insbesondere dadurch, dass ich einige Bilder gepostet und ich Kontakt mit meinen ehemaligen Teamkollegen gehabt habe. Die Gefühle von damals liegen allerdings schon etwas zurück. Ich habe auf jeden Fall mit Stolz auf diesen Tag zurückgeblickt. Es hat mich auch gefreut, wie viele Rennfahrer sich nach meinem Rücktritt bei mir gemeldet haben. Sie sagen es. Sie haben ja vor drei Monaten Ihre Rennfahrerkarriere beendet. Wie geht’s Ihnen so ganz ohne Rennen? Sehr gut. Ich vermisse das Rennen fahren und den damit verbundenen Leistungsdruck nicht. Natürlich verfolge ich den Sport nach wie vor weiter. Es war die richtige Entscheidung im richtigen Moment. Den Adrenalinkick, den ich beim Rennen erlebte, hole ich mir jetzt anderswo. Ich fahre seit letztem Jahr ab und zu mit einer Yamaha R1 auf Rennstrecken. Das ist der Hammer. Oder das Downhillen mit dem Mountainbike macht mir sehr viel Freude. Haben Sie sich schon an Ihre neuen Aufgaben gewöhnt? Sie sind ja nun zu sechzig Prozent bei Sportec in Höri angestellt. Einmal pro Woche sind Sie in Hinwil bei Alfa Romeo Racing Orlen. Ausserdem kommentieren Sie weiterhin für My Sports Formel-E-Rennen und leiten Fahrtrainings für den TCS. Ich habe sicher auch eine Eingewöhnungsphase gebraucht, um in dieses neue Tätigkeitsfeld einsteigen zu können. Am Anfang habe ich noch nicht so gewusst, was auf mich zukommt. Ich kann jetzt viel Neues lernen. Andererseits kenne ich vieles schon aus meiner Erfahrung als Rennfahrer. Die Organisation von Rennen, um die ich mich jetzt auch kümmere, ist beispielsweise sehr aufwendig und komplett neu für mich.

Was machen Sie da genau? Bei der Firma Sportec bin ich mitverantwortlich für den Motorsport. Das heisst ich organisiere für unser Team die ganzen Renn-, Test- und Trackdays. Dies beinhaltet die Einteilung der Mechaniker, das Reservieren des Hotels bis hin zur Logistik zur Rennstrecke und zurück. Dabei coache ich unsere Rennfahrer auf dem Rennplatz und gebe ihnen Tipps, um schneller zu werden. Langfristig sind auch grössere Umstrukturierungen bei Sportec geplant, wo ich mitinvolviert bin.

Und bei Alfa Romeo?

Bei Alfa Romeo Orlen in Hinwil bin ich Formel-1-Simulator-Fahrer. Man muss sich diesen riesigen Rennautosimulator wie einen Flugsimulator vorstellen – allerdings steht er nicht auf Stelzen. Ich helfe, den Rennsimulator weiterzuentwickeln, damit die aktuellen Rennfahrer sich auf die Rennwochenenden vorbereiten können. Meine Arbeit ist es, das virtuelle Rennauto mit den Ingenieuren so zu entwickeln, damit es sich mit den Daten vom realen Auto eins zu eins deckt. Es gibt Motorsportexperten, die sich fragen, warum Sie eigentlich nicht für Audi weiterarbeiten, eine Firma, mit der Sie im Motorsport ja doch sehr erfolgreich unterwegs waren? Im Segment Motorsport ist es leider zu empfindlichen Budget-Kürzungen gekommen, und die Verträge von älteren Fahrern wurden nicht mehr verlängert. Hintergrund für diese Massnahme ist vor allem der Dieselskandal, von dem auch Audi massiv betroffen ist und der für erhebliche finanzielle Verluste gesorgt hat. Wie wichtig ist der Renn-Simulator in Hinwil eigentlich für die Formel 1? Die Fahrer werden ja sowieso permanent von der Box angefunkt, um ihnen zu sagen, was sie zu tun haben? Der Renn-Simulator ist sehr wichtig für die Vorbereitung der jeweiligen Rennwochenenden. Zum einen sind die aktiven Test-Fahrzeiten für Rennfahrer im Gegensatz zu früher deutlich limitiert. Heutzutage stehen den Fahrern für Echtzeittests ihrer Boliden gerade mal eineinhalb Tage zur Verfügung – früher waren es etwa 30 Tage. Zum anderen sind moderne Formel-1-Rennwagen so komplex geworden, dass die Anforderungen an die Fahrer enorm gestiegen sind. Im Simulator können die Fahrer sämtliche technischen Einstellungen ihres Rennwagens zeit- und kostensparend ausprobieren und kennenlernen. Last, but not least, helfen die Simulatoren, wie gesagt, enorm bei der Weiterentwicklung zukünftiger Rennautos. Man kann beispielsweise Neuerungen fürs Modell 2022 schon testen, bevor das Auto überhaupt gebaut wird. Renn-Simulatoren sind für die Formel 1 heutzutage deshalb nicht mehr wegzudenken. Dies spart enorm viel Geld in der Entwicklung. Wahrlich viel Technik fürs Rennen. Aber welche Zukunft hat das Auto noch in Zeiten von Klimawandel, Umweltschutz und CO2-Reduktion? Hat das Auto seine Unschuld verloren? Das ist eine absolut berechtigte Frage. Der Motorsport wird grundsätzlich so lange eine Zukunft haben, solange es Fans und Autohersteller gibt, die dafür ein Interesse zeigen. Der Motorsport wird auch so lange eine Zukunft haben, solange er offen ist für Neues. Es gibt ja inzwischen die Formel- E, wobei ich nicht weiss, ob diese am Ende des Tages wirklich die neue Zukunft verkörpert. Es gäbe ja auch andere Alternativen wie beispielsweise den E-Fuel als synthetischen Treibstoff, der C02-emissonsfrei ist. Hier sehe ich ein sehr grosses Potenzial. Auch die Formel 1 wird ab 2025 mit E-Fuel unterwegs sein. Sie sagen E: Löst dieser Buchstabe tatsächlich alle automobilen Probleme?

Das kann ich nicht sagen. Viele Leute vergessen allerdings, dass es zu erheblichen Problemen in der Stromversorgung kommen kann, wenn plötzlich die Masse aller Autofahrer mit Elektro-Autos unterwegs ist. Hinzu kommt dann die Frage, ob es sich bei dem genutzten Strom auch tatsächlich um ökologisch produzierten Solarstrom oder um Windenergie handelt oder nur aus eingespeistem Atomstrom oder gar um Strom aus Kohlekraftwerken. Bei der Batterieherstellung und -entsorgung von E-Autos gibt es nach wie vor grosse Fragezeichen in Sachen Umweltschutz. Fakt ist andererseits, dass ein grosser Fortschritt bei der E-Mobilität erzielt werden konnte, und dass Elektroautos von der Politik derzeit eben gepusht werden. Was den Stadtverkehr angeht, macht der Einsatz von Elektroautos sicher Sinn.

Apropos E. E könnte auch für mehr Energie, Entschleunigung und Erholung stehen. Haben Sie nun mehr Zeit für Ihre Familie? Da habe ich mich getäuscht wie jeder Rentner. Ich muss lernen, Prioritäten zu setzen und meine Zeit besser einzuteilen. Da habe ich noch grosses Entwicklungpotenzial, um tatsächlich mehr Zeit für meine Familie haben zu können. Im Augenblick bin ich fast weniger zu Hause als früher. Sie haben sich neulich im «Touring »-Interview des TCS als Oldtimer- Liebhaber geoutet. Wird das Ihre neue Leidenschaft? Alte Autos haben mich schon immer mehr fasziniert als neue. Oldtimer sind nicht so perfekt und von der Form her viel kreativer. Bei älteren Autos ist auch das Fahrerlebnis ein ganz anderes, man muss noch arbeiten im Auto, man hat mehr Fahrgefühl. Man muss Muskeln beim Lenken einsetzen, und es kratzt auch mal beim Schalten im Getriebe – im Vergleich dazu sind moderne Autos unglaublich perfekt. Haben Sie schon ein neues Traumauto? Nein. Ich habe einen VW-Bus T3, den ich liebe. Traumautos wie etwa einen Porsche 356 Speedster oder einen Ferrari 250 GTO oder Aston-Martin-Klassiker sind wunderschön. Das Gleiche gilt für die ersten Chevrolet Corvettes aus den 50/60er-Jahren. Das sind natürlich Hammerautos. Glauben Sie, dass Autos letztendlich unsterblich sind? Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie die Menschen plötzlich wieder gerne ins Auto steigen. Ob Autos unsterblich sind, kann ich nicht sagen. Aber das Automobil wird uns ganz sicher noch lange Zeit begleiten, mit welchem Antriebskonzept auch immer. Es zeigt, die Leute, die nun teilweise ein Jahr lang im Homeoffice gesessen haben, wollen wieder raus, wollen etwas unternehmen. Und das Auto sorgt für Freiheit und Unabhängigkeit in der Fortbewegung von A nach B.

«Alte Autos haben mich schon immer mehr fasziniert als neue.»

Marcel Fässler, dreimaliger Le-Mans Champion und Ex-Rennfahrer

Jubiläum: Am 11./12. Juni 2011 gewann Audi nicht nur das zehnte Mal Le Mans, sondern Marcel Fässler (rechts) siegte erstmals.Foto: zvg

Share
LATEST NEWS