Veröffentlicht am

«Eigentlich wollte ich nur aus sicherer Distanz zuhören …»

«Eigentlich wollte ich nur aus sicherer Distanz zuhören …» «Eigentlich wollte ich nur aus sicherer Distanz zuhören …»

Das «Netzwerk Erzählcafé» lud zu den «ErzählcaféTagen 2021» ein. Diese moderierten Veranstaltungen fanden an zahlreichen Orten statt, am Samstag auch im Museum Fram. Susann Bosshard-Kälin lud maximal zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein. Zusammen mit unserem Berichterstatter wurde die Zahl fast erreicht.

WALTER KÄLIN

Eigentlich wollte ich nur als Präsident der Stiftung Kulturerbe Einsiedeln mitverfolgen, wie das genau abläuft und was ich mir unter einem «Erzählcafé» vorstellen muss. Ich setzte mich also nicht in den Kreis jener, die sich vorher angemeldet hatten und 20 Franken – inklusive Kaffee und Gipfeli – bezahlten. Ich wollte nichts erzählen, wusste auch gar nicht, was ich hätte erzählen können.

Ausschliesslich Frauen …

Sind Frauen in dieser Disziplin besser als Männer? Die Frage stellte sich mir, da sich ausschliesslich Frauen eingefunden hatten. Ausser mir, wie gesagt, aber ich wollte ja gar nicht erzählen, nur aus sicherer Distanz zuhören und zuschauen. Aber schon wenige Minuten nach Beginn der Veranstaltung rückte ich mit meinem Stuhl in den Kreis vor. Nicht um die Ehre der Männer zu retten, nicht als Quotenmann, sondern weil ich einfach Lust verspürte, etwas zum Thema «Lebenschancen » beizutragen.

Die Mitarbeit im Museum Fram, wo wir uns gerade befanden, die Gründung der Gönnervereinigung Fram-Club war für mich eine solche Lebenschance. Sie bot sich mir unmittelbar vor der Pensionierung, ich packte sie und fiel nicht in das viel zitierte Loch. Zum Thema Pensionierung – zur eigenen oder jener des Partners – konnten fast alle etwas beitragen, weil sie diese schon hinter sich hatten oder gerade vor sich haben. Der Altersdurchschnitt war also eher hoch, dafür waren wahrscheinlich alle, die teilnahmen, schon geimpft.

Erzählen statt diskutieren Ganz harmonisch entwickelte sich der Erzählstrang von einem Thema zum nächsten. Alle brachten sich ein, nicht nur jene aus Einsiedeln, die sich kannten, sondern auch die zwei Frauen aus Oberägeri und Schänis. Sie hatten das reichhaltige Angebot an Veranstaltungen auf der Website des «Netzwerks Erzählcafé » durchgesehen und sich für das Treffen in Einsiedeln entschieden.

Die eine der beiden stammt ursprünglich aus Bonn und kennt Einsiedeln aus frühester Jugend, da ihre Oma immer zur Schwarzen Madonna pilgerte. Jetzt pilgerte die Enkelin also in die Fram, wo sie sich in der Runde wohlig aufgehoben fühlte, wie sie betonte. Auch allen anderen ging es offensichtlich so, sie waren locker und erzählten gern.

Susann Bosshard-Kälin machte zu Beginn darauf aufmerksam, dass man im «Erzählcafé » nicht diskutiere, dass es nicht um Pro und Contra gehe, sondern ums Erzählen und ums Zuhören. Gelegentlich gab sie ein neues Stichwort in die Runde, fragte etwa, ob spezielle Gerüche Erinnerungen wachrufen würden. Daraus entstanden Geschichten rund um Fenjal, 4711 und Rosoli (die beiden Frauen aus Oberägeri und Schänis verhinderten vielleicht, dass sich ein typischer Einsiedler Austausch entwickeln konnte, wie ich ihn mit anderen Einsiedlerinnen und Einsiedlern kenne und liebe. Manchmal zum Missfallen meiner Frau Sonja, die als Auswärtige nicht immer weiss, von welchem Kälin oder Ochsner, Birchler oder Bisig gerade die Rede ist).

Zwischen Small Talk und Selbsterfahrung Nach einer Stunde war der offizielle Teil vorbei, der Schwerpunkt verlagerte sich vom «Erzähl- » zum «-café». Jetzt dominierte bei Kaffee und Gipfeli das Gespräch. Zu zweit, zu dritt oder durcheinander. Nur wenig fehlte, und wir wären beim Small Talk angelangt. Ich hätte gern weiter erzählt und weiter zugehört. Vielleicht noch einmal zum Thema Lebenschancen, über solche, die man packte oder mutlos verpasste, oder andere, die sich einem in Zukunft bieten, die man aber nicht rechtzeitig erkennt.

Wäre die Mitwirkung in einer Gruppe eine solche Lebenschance? Dank meiner Erfahrung vom letzten Samstag kann ich mir auf jeden Fall besser vorstellen, was in den Gruppen geschieht, die meine Frau als Gruppenanalytikerin leitet. Ich fürchte allerdings, dass diese Auseinandersetzung mit sich selbst, die zu Herzen, aber auch an die Nieren gehen kann, zu viel für mich wäre. Ich belasse es mal beim Erzählen und Zuhören.

«Ich wusste auch nicht, was ich zu erzählen hatte …» – vom Berichterstatter zum Teilnehmer: Walter Kälin. Foto: Archiv EA

Share
LATEST NEWS