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«Rechtfertigt Klimadiskussion zivilen Ungehorsam?»

«Rechtfertigt Klimadiskussion  zivilen Ungehorsam?» «Rechtfertigt Klimadiskussion  zivilen Ungehorsam?»

Nikola Bösch hat für die Aufnahme ins Förderprogramm der Schweizerischen Studienstiftung einen Essay verfasst, der sich um die Klimadiskussion dreht. Der 20-jährige Student aus Einsiedeln steht Red und Antwort über den zivilen Ungehorsam in Zeiten des Klimawandels.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Gibt es prominente Beispiele zivilen Ungehorsams aus der Geschichte?

Nachdem die Bauern im 14. Jahrhundert aus Protest gegen ihre Ausbeutung durch den Klerus das Kloster überfallen hatten, schlossen sich drei unerschütterliche Kantone von Bauern zusammen, um die Habsburger, den Schirmherrn des Klosters Einsiedeln, zu bekämpfen, und legten damit den Grundstein für die Schweiz. Diese Auflehnung war Ausdruck zivilen Ungehorsams. Auch wenn die Habsburger keine Bedrohung mehr darstellen, so existiert heute eine Gefahr, die von einem weit mächtigeren Feind ausgeht. Welche Gefahr ist die grösste, die unsere Welt bedroht? Der anthropogene Klimawandel und dessen Auswirkungen. «Die Erde hat Fieber, und das Fieber steigt»: Diese Aussage von Al Gore ist durch die starke Erwärmung der letzten Jahrzehnte belegt. Doch der Klimawandel äussert sich nicht nur mit einem Temperaturanstieg: Seine Auswirkungen sind weitreichend und betreffen alle Bereiche des Lebens. Darunter zählen Veränderungen in Niederschlag, Biodiversität, Wassertemperatur und Landschaftsbild. Wie macht sich der Klimawandel bemerkbar? Der Klimawandel hat wirtschaftliche Auswirkungen – wie zum Beispiel auf Tourismus und Skigebiete: Alle diese Veränderungen gehen mit einer unglaublich rasanten Geschwindigkeit einher. Seit dem Beginn der industriellen Revolution reichern die Menschen durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe exorbitante Mengen an Treibhausgasen in der Atmosphäre an. Wir erleben ein gigantisches Freiluftexperiment mit bisher ungeahnten Folgen: Befinden sich das Öko- und Klimasystem nicht mehr im Gleichgewicht, so wird es schwer, dieses wieder herzustellen.

Beschleunigt diese Dramatik das politische Vorgehen gegen die Erwärmung? Bei einem sich so rasch vollziehenden Wechsel des Klimas könnte man meinen, dass die Menschen weltweit grösste Anstrengungen unternehmen, um die Konsequenzen in Grenzen zu halten. Doch oftmals zeigt sich, dass Regierungen andere Bereiche im Fokus haben als die Umwelt. In der heute von Kräftemessen verzerrten Welt verlieren Regierungen den Fokus aufs Wesentliche und gefährden so den weiteren Fortbestand einer Erde, wie wir sie kennen.

Was soll uns nun der zivile Ungehorsam genau bringen? Der zivile Ungehorsam verschafft mit Demonstrationen und Protesten dem Anliegen einer klimafreundlichen Zukunft Gehör und übt Druck auf die politischen Organe aus. Mit Hilfe der Organisationen Extinction Rebellion, Greenpeace, Fridays for Future und Klimastreik Schweiz konnten in den letzten Jahren viele Menschen in Bezug auf den Klimawandel sensibilisiert werden. So erfuhr beispielsweise das Schweizer Parlament einen grünen Rutsch. Unternehmen versuchten vermehrt, ein nachhaltiges Image aufzubauen, und unzählige Kantone riefen bereits den Klimanotstand aus.

Wohin führt uns denn der Klimanotstand?

Der Klimanotstand verpflichtet die Behörden, jegliche Entscheide unter dem Aspekt der Klimafreundlichkeit zu bemessen. Verschiedenste Generationen weltweit wurden aus ihrem Klimaschlaf geweckt und haben die Brisanz erkannt. Bis zur Klimaneutralität gilt es aber einen weiten und zähen Weg zu bestreiten. Noch immer fliegen wir zu oft und zu lang. Auch wenn gewisse Bestrebungen der Regierungen in Richtung Klimafreundlichkeit ersichtlich sind, lässt gerade die Corona-Krise durchschauen, dass striktere Massnahmen ergriffen werden könnten. Inwiefern betrachtet die Rechtsprechung zivilen Ungehorsam als legitimen Akt angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise? Das Lausanner Bezirksgericht sprach die Aktivisten frei, die in einer Filiale der Credit Suisse einen Tennismatch aufgleisten. Doch ein Artikel der NZZ betont einerseits die Unvorhersehbarkeit dieses Gerichtsentscheides, andererseits die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit dieser heiklen Fragestellung durch weitere Gerichte. Der Entscheid, der die Aktivisten freigesprochen hat, wurde jedoch ein halbes Jahr später vom Kantonsgericht revidiert und die Beteiligten bestraft.

Was ist Ihre Schlussfolgerung betreffend der Sitzblockade vor der Zentrale der Credit Suisse in Zürich? In der Anklageschrift heisst es, dass die Bankangestellten und Kunden durch das Verbarrikadieren der Eingänge einen Umweg in Kauf nehmen mussten und so in ihrer persönlichen Handlungsfreiheit eingeschränkt waren. Auch diese Aktion hatte ein rechtliches Nachspiel, und die Angeklagten wurden abgestraft. Demnach ist die Judikative der Meinung, dass die Klimadiskussion zivilen Ungehorsam nicht rechtfertigt. Ist eine Entscheidungsfindung in Fragen des durch die Klimakrise getriebenen zivilen Ungehorsams nicht an sich heikel? Einerseits kann der Rechtsstaat diese Art von Protest aufgrund der Verhältnismässigkeit gutheissen, andererseits muss er bedacht sein, die Anzahl solcher Aktionen zivilen Ungehorsams in Grenzen zu halten. Dies kann erreicht werden, indem die Beteiligten bestraft werden und ein Exempel für künftige, nachahmende Aktivisten statuiert wird. Von einem anderen Standpunkt betrachtet, ist es wiederum die Aufgabe eines demokratischen Staates, dem politischen Willen der Bevölkerung nachzukommen. Bis anhin sind keinerlei Ziele der Klimabewegung erreicht worden. Ist alles nur eine grosse Sisyphusarbeit? Fakt ist, dass die Politik bisher die Anliegen der Klimabewegung nicht ernst genug genommen hat. Aus Sicht der Klimaorganisationen wurden zu wenige Massnahmen getroffen. Deutliche Fortschritte bei den Klimazielen sind nicht erkennbar, und die Bemühungen der politischen Exekutive erscheinen achtlos.

Was nun?

Wenn es nach den Klimaaktivisten geht, so ist die Richtung klar: Mithilfe von zivilem Ungehorsam und Aktionen wie Demonstrationen, Sitzstreiks und das Lahmlegen von Bankfilialen soll nebst der Medienpräsenz die Öffentlichkeitswahrnehmung gestärkt werden.

Bedingt diese Sensibilisierung der Bevölkerung zivilen Ungehorsam?

Bis zu einem gewissen Punkt ist medienwirksamer Ungehorsam sicher effektiv, denn der Mensch ist so konzipiert, dass sich wiederkehrende Ereignisse und deren Bedeutung stärker in seinem Unterbewusstsein verankern. Eine mögliche Antwort auf die Frage der Legitimation von Kundgebungen im Namen des Klimas lieferte Nelson Mandela, welcher der folgenden Meinung war: «Je nach den besonderen Umständen kann eine Demonstration, ein Protestmarsch, ein Streik oder ziviler Ungehorsam angebracht sein.» So bin auch ich der Ansicht, dass bei einer ausgewiesenen Notsituation zu besonderen Mitteln zum Wohle der Gesellschaft gegriffen werden kann, solange kein Individuum Schaden davonträgt.

Gibt es im Kampf der Klimabewegung Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen? Klimaproteste sind angesichts der weitreichenden Auswirkungen des Klimawandels durchaus gerechtfertigt. Doch wie die beiden Fälle bezeugen, gibt es aus rechtlicher Sicht Grenzen, wie stark die Kundgebungen das öffentliche Leben einschränken dürfen. Das Überschreiten von Grenzen zeigt die grosse emotionale Aufladung und Wichtigkeit dieses Themas. Was bedeutet Ihnen persönlich dieser Kampf? Die Klimabewegung ist nicht zuletzt Ausdruck einer Hoffnung, das bevorstehende Schicksal des Planeten doch noch zum Guten zu kehren, und Hoffnung ist der Katalysator für bedeutsame Dinge. Ich bin überzeugt, dass wir die Herausforderung des Klimawandels meistern können, wenn wir gemeinsam handeln – so wie damals die Bauern im Kampf gegen die Habsburger.

«Die Auswirkungen des Klimawandels sind weitreichend und betreffen alle Bereiche des Lebens.» «Fakt ist, dass die Politik bisher die Anliegen der Klimabewegung nicht ernst genug genommen hat.» «Klimaproteste sind angesichts der weitreichenden Auswirkungen des Klimawandels gerechtfertigt.»

Der ehemalige Stiftsschüler Nikola Bösch hat mit seiner Maturaarbeit die Klimaveränderung in der Region Einsiedeln nachgewiesen. Foto: zvg

Der Klimawandel wirkt sich auf Tourismus und Skigebiete aus. Im Winter 2019/2020 fiel kaum Schnee in der Region Einsiedeln und im Ybrig: Der Skilift Roggen in Oberiberg steht still.

Foto: Wädi Kälin

Nach einem extrem milden Winter präsentierte sich der Sihlsee im Frühling 2020 ausgesprochen ausgetrocknet und lud eher zum Velofahren statt denn zu einer Schifffahrt ein.

Foto: Kurt Füchslin

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