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«Ich bin sehr enttäuscht»

«Ich bin sehr enttäuscht» «Ich bin sehr enttäuscht»

Rollstuhlfahrer Werner Ruch (64) hat den Kampf für einen hindernisfreien Klosterplatz aufgegeben

Noch immer ist der Platz im Platz vor dem Kloster provisorisch. Noch immer ist nicht klar, wie der fertige Platz in einigen Jahren aussehen soll. Werner Ruch, der seit zehn Jahren für einen Klosterplatz ohne Hindernisse kämpfte, hat aufgegeben. Er ist sehr enttäuscht, wie er im Interview verrät.

WOLFGANG HOLZ

Herr Ruch, wie gehts Ihnen gesundheitlich? Wie haben Sie bislang die Coronazeit überstanden?

Gottseidank blieb ich vom Coronavirus bisher verschont, wohl dank Lockdown, Hygienemassnahmen und Impfung. Und ich erkrankte diesen Winter das erste Mal seit Jahren nicht an Grippe oder Husten. Umso mehr spüre ich die Spätfolgen des Polio- Virus, an dem ich in meinem zweiten Lebensjahr erkrankt bin. Die Lähmungen, mit denen ich seither lebe, werden immer mehr – und auch die andauernden Schmerzen in den Muskeln, Nerven und Gelenken. Sie kämpfen seit gut zehn Jahren mit Ihrer IG Hindernisfreier Klosterplatz Einsiedeln für einen barrierefreien, behindertengerechten Klosterplatz. Ende letzten Jahres haben sie nun vorzeitig aufgegeben. Warum? Weil ich das Hickhack um den zukünftigen Belag auf dem Platz im Platz vor dem Kloster Einsiedeln nicht mehr länger ertragen kann. Mir fehlt schlicht die Kraft, dieses Trauerspiel weiter mitzuspielen.

Was meinen Sie damit konkret?

Ende 2017 hat ein Einsiedler Vater eines auf den Rollstuhl angewiesenen Sohnes Einsprache erhoben gegen die damals ausgeschriebene Erneuerung des Klosterplatzes. Dies auch stellvertretend für alle Menschen mit einer Gehbehinderung und darum auch im Sinne der IG Hindernisfreier Klosterplatz Einsiedeln. Dazu Anlass gegeben haben die auf dem gesamten Platz im Platz neu geplanten, gebrochenen und lose verfugten Flusskiesel und die ebenso neu vorgesehenen Stufen vom Dorf her. Mit beidem würden neue Hindernisse geschaffen für Menschen mit Seh- und Gehbehinderungen, für Menschen im Rollstuhl, mit Stöcken, mit Rollator oder mit Kindern im Kinderwagen. Ausgerechnet ihnen würde damit der bis anhin stufenfreie Zugang zum Platz im Platz und das damals noch einigermassen freie Bewegen um den Marienbrunnen verwehrt. Ausgerechnet sie wären fortan zu einem beschwerlichen Umweg über die seitlichen Arkaden gezwungen – wie die ja bereits gebauten Stufen beweisen. Eine Ausgrenzung im krassen Widerspruch zum Artikel 8 der Bundesverfassung, zum Behindertengleichstellungsgesetz und zur christlichen Botschaft des Klosters: «Kommet her zu mir alle»!

Wie haben das Kloster und der Bezirk auf diese Einsprache reagiert?

In der Folge dieser Einsprache haben das Kloster und der Bezirk Einsiedeln dem Einsprecher und der IG Hindernisfreier Klosterplatz Einsiedeln angeboten, den Platz im Platz auf seiner ganzen Fläche mit festverfugten, geschliffenen und geflammten Flusskieseln zu erneuern. Quasi als Entschädigung für die angeblich unvermeidbaren neuen Stufen. Diesem Kompromiss haben die eben genannten vier Parteien und das projektführende Unternehmen in den Einspracheverhandlungen vom Frühjahr 2017 im Rathaus Einsiedeln zugestimmt, worauf der Einsprecher seine Einsprache zurückgezogen hat. Doch im Sommer 2019 änderte das Kloster überraschend seine Meinung und stellte sich auf die Seite der inzwischen neu eingesetzten Denkmalpflegerin, der dieser Kompromiss ein Dorn im Auge scheint. Dieses Umschwenken des Klosters löste denn auch den regierungsrätlich angeordneten Baustopp auf dem Platz im Platz aus – mit den bekannten unnötigen Folgen. Was ist aus Ihrer Sicht der Grund dafür? Ein Grund dafür könnte eine mögliche Abhängigkeit des Klosters von der Denkmalpflege sein, also von enormen finanziellen Zuschüssen, die es für den Unterhalt seiner Gebäude und Umgebung benötigt. Während der bis 2018 noch amtierende Denkmalpfleger die damals vereinbarte Pflästerung auf dem Platz im Platz mit geschliffenen Flusskieseln noch mit einem «schönen Teppich» verglich, erkennt seine Nachfolgerin darin offenbar etwas, das nichts mit den mittelalterlichen Belägen dieses Platzes zu tun habe. Über die Bedürfnisse der Menschen mit einer Gehbehinderung hinweg verlangt sie darum, den Platz im Platz auf seiner ganzen Fläche mit sandverfugten gebrochenen Flusskieseln auszulegen. Sie sprechen die seit Längerem bestehende Kompromissvariante mit einem sandverfugten Platz im Platz und betonverfugten Regenrinnen für Gebehinderte und Rollstuhlfahrer an, auf die sich anscheinend Kloster, Bezirk und Denkmalpflege einigen könnten. Sie lehnen diese Lösung ab, warum? Ja, total. Im Gegensatz zum oberen Klosterplatz, der als Weg zum Kloster dient, ist der Platz im Platz eben ein Platz, auf dem sich alle Menschen gleichberechtigt bewegen und begegnen können sollen. Menschen mit Seh- und Gehbehinderungen, Menschen im Rollstuhl, mit Stöcken, mit Rollator oder mit Kindern im Kinderwagen in betonverfugte Regenrinnen zu verbannen, ist im höchsten Grad diskriminierend. Sie würden sich dadurch einmal mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt und buchstäblich ins Wasser gestossen erfahren. Denn bei Regen müssten sie sich dann ja im darin abfliessenden und bei Kälte gar auf gefrorenem Wasser fortbewegen. Das würde für Gehende eine erhebliche Sturzgefahr bedeuten, und für Rollstuhlfahrende wäre dies schlicht unmöglich.

Und wie sieht es mit dem oberen Klosterplatz aus, den Sie gerade angesprochen haben? Der dort bereits fertig gebaute hindernisfreie Weg ist dank Pflästerung mit geschliffenen und festverfugten Flusskieseln beeindruckend gut begeh- und befahrbar. Er erfüllt nahezu alle Anforderungen des hindernisfreien Bauens. Natürlich wäre ein Teerbelag für Menschen mit Rollator und im Rollstuhl noch idealer. Doch ich erhalte auch aus ihren Reihen begeisterte Rückmeldungen. Dass dieser Weg überhaupt gebaut werden konnte, ist unzähligen Spenderinnen und Spendern zu verdanken, die dies finanziell erst ermöglicht haben – und aus zeitlicher Sicht auch der Baustopp auf dem Platz im Platz. Das ist das einzig Gute an dieser Misere.

Wie viele Spenden haben Sie gesammelt?

Die Klagen des Klosters über fehlendes Geld für den Hindernisfreien Weg auf dem oberen Platz haben mich bewogen, eine eigene Spendenaktion zu starten. Mit selbst finanzierten Flyern, von denen ich gegen 10’000 persönlich auf dem Klosterplatz und an Veranstaltungen verteilt habe, mit einer eigenen Website, mit Radio-Interviews und Berichten in Zeitungen und Zeitschriften habe ich für das Kloster seit Frühjahr 2019 bis heute wohl bis zu 150’000 Franken an Spenden gesammelt. Da mir das Kloster die Daten der Spender nicht bekannt gegeben hat, kann ich erst hiermit allen ganz herzlich danken! Was ist mit dem Geld passiert?

Egal ob 10, 100 oder 1000 Franken, jede Spende wurde zu einem Stück Hindernisfreier Weg auf dem oberen Klosterplatz. Die Spenden wurden direkt auf ein zweckgebundenes Konto des Klosters einbezahlt, auf das ich keinen Zugriff hatte. Es war jedoch mit dem Kloster vereinbart, dass Bezüge mit mir abgesprochen würden. Im Frühjahr 2020 hat es dann erstmals 130’000 Franken von diesem Konto abgehoben. Mich befremdet, dass das Kloster einen Mangel an Geld beklagte, sich dann aber den provisorischen Belag auf dem Platz im Platz leistete – eine der unnötigen Folgen des durch das Kloster provozierten Baustopps. Der Bezirk Einsiedeln war ja zunächst auf Ihrer Seite, nun zeichnet sich wohl ein Meinungswechsel hin zur denkmalschützerischen Variante ab. Wie erklären Sie sich diesen Sinneswandel? Wenn dem so wäre, würde für mich auch der Bezirk Einsiedeln unglaubwürdig. Bei allen Besprechungen seit Frühjahr 2018, an denen ich dabei war, hat er immer die Variante mit festverfugten, geschliffenen Flusskieseln auf dem gesamten Platz im Platz unterstützt. Damit stellte er sich aber nicht auf meine Seite, sondern auf jene der Menschen mit einer Behinderung. Auch wenn ich zuletzt noch das einzige aktive Mitglied in der IG Hindernisfreier Klosterplatz Einsiedeln war, es ging mir nie um mich! Es ging immer nur um die Gleichstellung aller Menschen auf dem Klosterplatz. Dafür haben Menschen mit einer Behinderung, die sich immer wieder auf dem Klosterplatz begegnet sind, im Herbst 2012 diese IG gegründet. Den zeitweise bis zu 20 Mitgliedern wurde jedoch spätestens durch den Eklat um den Platz im Platz jede Motivation und Kraft geraubt, in diesem Projekt durchzuhalten. Sie haben jetzt jahrelang gekämpft für einen hindernisfreien Klosterplatz. Sind Sie nun sehr enttäuscht? Ja, was den Platz im Platz betrifft, bin ich vom Kloster sehr enttäuscht. Und wie wäre es aus Ihrer Sicht eigentlich, wenn der provisorische Platz zum Dauerzustand werden würde? Das wäre immer noch besser als das, was Denkmalpflege und Kloster planen. Obwohl, die Gefahr, auf dem Sand auszurutschen, ist für Menschen mit einer Gehbehinderung enorm. Und für weniger kräftige Rollstuhlfahrer ist ein Fortkommen ohne Elektro-Unterstützung auf Sand schwierig bis unmöglich.

«Menschen mit Behinderungen, Menschen im Rollstuhl in betonverfugte Regenrinnen zu verbannen, ist im höchsten Grad diskriminierend.»

Werner Ruch

Der Kämpfer für einen hindernisfreien Klosterplatz hat nun aufgegeben: Werner Ruch. Foto: zl

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