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«Die Landwirtschaft ist der wichtigste Wirtschaftszweig»

«Die Landwirtschaft ist der wichtigste Wirtschaftszweig» «Die Landwirtschaft ist der wichtigste Wirtschaftszweig»

Bauern stehen vermehrt im Spannungsfeld von Wirtschaft und Umwelt. Andreas Bosshard, Geschäftsführer der Denkwerkstatt «Vision Landwirtschaft», nimmt Stellung zur Herkulesaufgabe der Landwirtschaft, sowohl ökologischen wie ökonomischen Ansprüchen genügen zu können.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie geht es der Landwirtschaft in diesen Zeiten?

Viele Bäuerinnen und Bauern leiden unter den Agrarinitiativen. Der Bauernverband und seine Medien haben mit einer beispiellos unsachlichen Kampagne enorme Ängste geschürt. Sie wollten damit die ganze Landwirtschaft geschlossen hinter das «2 Mal Nein» bringen. Zum einen ist das nur teilweise gelungen. Vor allem aber hat dieses von der Agroindustrie mitorchestrierte Vorgehen innerhalb der Landwirtschaft zu sehr unschönen Verwerfungen geführt. Befürworter der Initiativen können sich in Bauernkreisen kaum mehr offen äussern ohne abgekanzelt oder gar bedroht zu werden.

In Einsiedeln ist vorwiegend Vieh- und Milchwirtschaft federführend: Wie mausert sich diese? In der Milchproduktion wird immer mehr Kraftfutter zugekauft, gerade im Berggebiet. Selbst auf die Sömmerungsalpen wird heute oft Kraftfutter hochgekarrt. Das ist nicht nur für die Umwelt sehr schlecht, sondern auch für das Einkommen der Bauern. Denn unter dem Strich verdienen daran fast nur die Futtermittelindustrie, der Grosshandel und der Tierarzt. Gleichzeitig sind der hohe Kraftfuttereinsatz und die damit produzierten Milch-Mehrmengen ganz direkt für die tiefen Milchpreise verantwortlich. Die Bauern verlieren also gleich doppelt mit der Intensivierungsspirale. Die Trinkwasserinitiative will dieser sehr ungesunden Entwicklung ein Ende setzen. Das fürchten Firmen wie Fenaco wie der Teufel das Weihwasser, drohen ihnen doch damit milliardenhohe Umsatzeinbussen. Statt selber hinzustehen und zu sagen, warum die Agroindustrie gegen die Initiativen ist, schicken sie den Bauernverband und die Bauern vor.

Wie schätzen Sie die Folgen für die Einsiedler Landwirtschaft ein, falls die Trinkwasser- und Pestizidinitiativen angenommen werden würden? Studien von Vision Landwirtschaft zeigen, dass gerade die Berglandwirtschaft von einem Ja zu den Initiativen profitieren würde. Unter anderem weil mehr Direktzahlungen für gemeinwirtschaftliche Leistungen ins Berggebiet fliessen, aber auch weil die kraftfutterbasierte Tierproduktion im Berggebiet besonders viele Nachteile mit sich bringt und durch die Trinkwasserinitative abnehmen würde. Sind die Einsiedler Bauern weniger betroffen von den Initiativen, weil eher Ackerbauern von einer Einschränkung des Pestizideinsatzes tangiert wären? Tatsächlich sind im Berggebiet Pestizide nur ein kleines Thema (und sollten eigentlich gar keines sein). Dafür betrifft der Rückbau der Kraftfutterimporte, der durch die Trinkwasserinitiative angestossen wird, das Berggebiet stärker. Dieser Wandel wird aber ohnehin auf das Berggebiet zukommen. Man kann den Wandel nicht aufhalten, man kann ihn nur verpassen. Wie stark wird die Gesundheit der Bauern selber durch ihren eigenen Pestizideinsatz gefährdet?

Ich staune immer wieder, wie sich die Bäuerinnen und Bauern in der Schweiz von der Chemieindustrie einspannen lassen, um den Pestizideinsatz in der Landwirtschaft durch dick und dünn zu verteidigen. Dabei leiden sie nachgewiesenermassen gesundheitlich besonders stark unter den Pestiziden. So sind vor allem Bauernsöhne in beängstigendem Ausmass von einer verminderten Spermienqualität betroffen, wie eine kürzliche Studie in der Schweiz zeigte. In Frankreich waren es übrigens Bauern, die gegen Pestizidfirmen klagten wegen der vielen pestizidbedingten Berufskrankheiten. In der Schweiz sind diese Zusamenhänge noch kaum angekommen. Die bäuerlichen Medien informieren leider kaum darüber. Vermutlich wollen sie die Inserate der Industrie nicht gefährden, von denen sie leben.

Viele Bauern haben in diesen Zeiten existenzielle Sorgen: Werden diese noch grösser, falls die Initiativen angenommen werden?

Wir sind überzeugt, dass das Gegenteil der Fall sein wird. Die Sorgen sind nämlich eine direkte Folge des heutigen Systems, das heisst der viel zu hohen Kosten der industrialisierten Landwirtschaft und der damit einhergehenden Verschuldung. In keinem Land sind die Bauernbetriebe höher verschuldet als in der Schweiz mit ihrer überintensiven Produktion. Unser Leben als Bäuerin und Bauer wird auch abgesehen von den wirtschaftlichen Problemen wieder lebenswerter, wenn wir uns vom alltäglichen, belastenden Pestizideinsatz und von der Industrieabhängigkeit befreien können. Deshalb ist die verbitterte Ablehnung der beiden Agrarinitiativen gerade aus bäuerlicher Sicht eigentlich ausgesprochen irrational. Wie können sich Landwirte aus der engen persönlichen Verbandelung mit den Agrokonzernen lösen und befreien? Das ist tatsächlich schwierig. Es gibt so viele enge Verbandelungen, angefangen bei den bäuerlichen Medien, die von den überbordenden Inseraten der Agroindustrie leben und deshalb vor allem ihre Sichtweise darstellen, bis hin zu den vielen Beratern, die vom Gewerbe und der Industrie bezahlt sind und primär an ihrem eigenen Umsatz interessiert sind.

Wie kann die Landwirtschaft wieder im Einklang mit der Natur stehen? Das ist gar nicht so schwierig, wie unzählige Betriebe es bereits heute vormachen: Sie stehen nicht nur im Einklang mit den Initiativen, sondern wirtschaftlich auch oft deutlich besser da. Sie setzen auf das Prinzip: Weniger ist mehr. Denn viele umweltfreundliche Produktionsweisen sind kostengünstiger und rentabler als die überintensive Produktion, die hohe Kosten verursacht durch den enormen Input an Energie, Dünger, Pestiziden, Futtermitteln und Maschinen.

Wieso generiert die Schweizer Landwirtschaft mit der Produktion im Durchschnitt kein Einkommen mehr? Im Durchschnitt geben die Schweizer Landwirtschaftsbetriebe alles, was sie am Markt verdienen, gleich wieder den vorgelagerten Branchen weiter. Das ist beängstigend und nur deshalb möglich, weil wir in der Schweiz so hohe Direktzahlungen haben. Das landwirtschaftliche Einkommen ist sogar etwas geringer als die Direktzahlungen. Die Bäuerinnen und Bauern sind also heute in finanzieller Hinsicht reine Staatsangestellte. Diese demütigende Entwicklung würden die beiden Initiativen durchbrechen. Steht die Landwirtschaft am Scheideweg? Die Zeit ist reif, jetzt die Weichen neu zu stellen.

Bleibt alles beim Alten, falls die Initiativen abgelehnt werden? Die Gesellschaft und viele Bereiche der Wirtschaft befinden sich in einem enormen Umbruch. Davon ist auch die Landwirtschaft sehr direkt betroffen, beispielsweise von den Klimaverpflichtungen, vom laufend abnehmenden Fleischkonsum und so weiter. Der Wandel ist nicht aufzuhalten. Aber je länger sich die Landwirtschaft dagegen stemmt, desto schmerzhafter dürfte er später ausfallen.

Wie schätzen Sie die Perspektiven der Landwirtschaft in der Zukunft ein? Die Landwirtschaft ist in verschiedener Hinsicht der wichtigste Wirtschaftszweig der Schweiz: Er wird immer eine Zukunft haben. Die Frage ist, welche. Vieles ist in den letzten Jahren schiefgelaufen. Jetzt haben wir die Chance, ein Zeichen zu setzen für den dringend nötigen Systemwandel. Wie sieht Ihre Vision einer Landwirtschaft aus? Unzählige Betriebe leben diese Vision bereits vor. Sie leben vor allem von dem, was der eigene Boden hergibt, pflegen diesen und die Biodiversität als Basis ihrer Produktion und verzichten auf die vielen Verlockungen der Industrie zur naturfernen Steigerung der Produktion. Zur Vision einer nachhaltigen Landwirtschaft gehört aber auch der Konsument. Der Konsument der Zukunft konsumiert nur noch einen Drittel so viele tierische Eiweisse wie heute – genau das, was die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt. Die hohe Fleischproduktion ist eine enorme Verschwendung von landwirtschaftlichen Ressourcen. Reduzieren wir den Konsum um zwei Drittel und werfen zugleich noch etwas weniger Nahrungsmittel weg, kann sich die Schweiz in Zukunft kalorienmässig sogar wieder ganz selber ernähren, wie Vision Landwirtschaft errechnet hat. Eine nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft hilft also nicht nur dem Klima und der Umwelt, sondern nicht minder auch der Versorgungssicherheit.

«Bauernhöfe im Einklang mit der Natur stehen wirtschaftlich oft deutlich besser da.» «Zur Vision einer nachhaltigen Landwirtschaft gehört aber auch der Konsument.» «Die Schweiz kann sich in Zukunft kalorienmässig wieder ganz selber ernähren.»

Andreas Bosshard ist Geschäftsführer Denkwerkstatt «Vision Landwirtschaft », Saatgutproduzent und Mitbewirtschafter des Biohofs Litzibuch.

In der Region Einsiedeln/Ybrig ist Vieh- und Milchwirtschaft vorherrschend: Weil hierzulande die Landwirtschaft in Einklang mit der Natur steht, sind Pestizide kaum ein Thema. Fotos: Magnus Leibundgut

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