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«Keine Falle für Sehbehinderte»

«Keine Falle für Sehbehinderte» «Keine Falle für Sehbehinderte»

Neu installiertes Geländer auf dem Bahnhof weist noch Lücken auf und lässt Fragen offen: SOB nimmt Stellung

Seit einiger Zeit steht ein neues Geländer auf dem Perron des Einsiedler Bahnhofs. Es soll das Gleis eins von einer Seite abschranken, weil man nur von einer Seite in den Zug ein- und aussteigen kann. Nun kommt neue Kritik auf.

WOLFGANG HOLZ

Ist das neue Geländer am Einsiedler Bahnhof womöglich nicht nur planerisch und ästhetisch fragwürdig (EA), sondern auch eine «gefährliche Falle für Blinde und Sehbehinderte, die mit dem Stock dem Leitsystem folgen würden», wie ein Leser aus Einsiedeln unserer Zeitung gegenüber kritisierte.

Fakt ist: Seit der Einführung der Zugabfahrten von Gleis eins im Mai hat die Südostbahn (SOB) ein 150 Meter langes Metallgeländer anbringen lassen, damit niemand von Gleis zwei irrtümlich in Versuchung gerät, von dort aus in den Zug an Gleis eins einzusteigen. Die Züge sind nur von dort aus zu benützen. Das Geländer dient zudem der Sicherheitsabschrankung des Perrons vom Gleis. Leitsystem nicht mehr nutzbar

Fakt ist aber auch: Das neue Geländer macht das taktile Leitsystem auf dem Einsiedler Bahnhof an besagtem Perron zunichte, weil die prominenten weissen Linien, die der Orientierung für Blinde und Sehbehinderte gedacht sind, sich nun hinter dem Geländer befinden und mit dem Taststock gar nicht mehr erreichbar sind.

Zusätzlich zur gefährlichen Falle für Blinde kann das Ganze aber plötzlich werden, weil zwei Metallbögen im Geländer eben noch fehlen und dadurch Sehbehinderte mit ihrem Stock durch diese Traverse kurzzeitig Kontakt zum Leitsystem auf dem Boden haben können – welches dann aber, wie gesagt, durch das vorhandene Geländer abrupt gestoppt wird. Damit dies nicht geschieht, sind derzeit zwei provisorische Bänder zur Abgrenzung zwischen den Geländerlücken gespannt.

Viel Fachchinesisch

Wie gefährlich ist diese seltsame Konstruktion für Blinde und Sehbehinderte? Und handelt es sich bei dem Geländer womöglich um Pfusch am Bau? Zur Begründung und Erklärung dieser baulichen Massnahmen liefert die SOB zunächst mehrere Ausschnitte aus amtlichen Bauverordnungen, die vor unverständlichem Fachchinesisch strotzen und nicht wirklich etwas zur Erhellung des Sachverhalts beitragen.

«Der SOB ist es ein grosses Anliegen, allen Fahrgästen mit Handicap das Reisen im öffentlichen Verkehr zu erleichtern, respektive zu ermöglichen. Neben dem grossen Augenmerk auf einen BehiG-konformen Ein- und Ausstieg an den SOB-Haltestellen und Bahnhöfen vereinfachen auch Spezialfunktionen an den Ticketautomaten und behindertengerechte Fahrgastinformationen das Unterwegssein mit der Südostbahn», wird da von der Medienstelle lediglich verlautbart. Und: «Grundsätzlich werden Reisende mit Sehbehinderung von dem taktilen Leitsystem auf dem Perron 2 geleitet. Das Geländer ist mit einer Traverse für die Ertastbarkeit ausgestattet und entspricht der SIA 500, 3.4.5. sowie dem Merkblatt ‹Hindernisfreie Gehflächen› von der Fachstelle ‹Hindernisse Architektur›. Wie auf der Skizze ersichtlich, werden zur Sicherheit zwei weitere Bügel angebracht. » Noch ein Provisorium Das Einzige, was daraus ersichtlich wird, ist tatsächlich, dass es sich bei dem bislang installierten Geländer offensichtlich nur um ein Provisorium handeln kann und durch zwei weitere Metallbögen ergänzt werden muss: damit die klaffenden Lücken zum Gleis geschlossen werden. Das SOB-Statement erklärt aber überhaupt nicht, warum das Geländer grundsätzlich sinnwidrig mitten ins nun funktionslose, taktile Leitsystem platziert wurde – und nicht einfach zwanzig Zentimeter weiter nach hinten, so dass Blinde und Sehbehinderte sich wie vorher von den Linien auf dem Asphalt leiten lassen können?

Martin Pistek, Projektleiter Publikumsanlagen an Bahnhöfen und Haltestellen bei der SOB, stellt klar: «Natürlich ist das Geländer keine Falle für sehbehinderte Menschen.» Man habe sich extra vor dem Aufbau des Geländers – «eine Spezialanfertigung » – an den Merkblättern der Fachstellen wie «Inclusion Handicap » und «Hindernisfreie Architektur » orientiert, um eine ideale Lösung für Blinde und Sehbehinderte auf dem Einsiedler Bahnhof zu realisieren. «Das Geländer steht richtig vor dem taktilen Leitsystem – denn dieses wird ja jetzt nicht mehr gebraucht, weil man von Perron zwei nicht mehr in den Zug einsteigen kann», erklärt Pistek.

Aber was ist mit den Lücken am Anfang des Geländers – dort wo Blinde und Sehbehinderte ja noch Kontakt haben können zu den sechs erhabenen weissen Linien auf dem Boden? Ein Kontakt, der dann jäh abbricht durch das Geländer und dessen gefährlicher Zugang momentan durch die beiden Bänder abgesperrt wird, damit man an diesen Stellen nicht plötzlich an den Rand des Perrons gelangt und abstürzt. «Das ist tatsächlich ein Provisorium», antwortet der Projektleiter. Die Lücken würden noch durch weitere Geländer geschlossen werden. Wobei er einräumt, dass es bei der Realisierung zu Verständnisschwierigkeiten gekommen sei: «Es gab Kommunikationsprobleme bei der Planung.» Deshalb werden die noch fehlenden Geländer nun erst nachträglich installiert.

Geländer kommt vielleicht nochmals weg Das Geländer ist übrigens nicht in den Perron betoniert worden, so dass die schützenden Metallbögen auch wieder temporär entfernt werden können. Und dies könnte durchaus passieren – wenn nämlich in Zukunft der Bezirk im Rahmen der neuen Bahnhofgestaltung irgendwann den jetzigen Posttrakt umbaut. «Dann kann es eben sein, dass wegen der Baustelle nicht via Perron eins in die SOB-Züge eingestiegen werden kann, und dass der Einstieg wie bisher über Perron zwei erfolgen muss», sagt Pistek. Farbsignale auf dem Perron gesetzlich nicht möglich Kurios und kompliziert. Dabei kommt erneut die Frage, warum man nicht völlig auf das Geländer verzichten kann und den Perron mit Farbmarkierungen versieht, um darauf hinzuweisen, dass von Perron zwei kein Zustieg mehr in den Zug möglich ist? «Zum einen ist dies aus Sicherheitsgründen nicht möglich », stellt Pistek klar. Zum anderen schreibe das Bundesamt für Verkehr klar vor, dass auf dem Perron nur taktile Begrenzungen wie erhabene Linien oder Geländer als Abgrenzungen zu verwenden sind. Pistek: «Farbe ist absolut tabu, gerade um Sehbehinderte nicht zu verwirren.»

«Es gab Kommunikationsprobleme bei der Planung.»

Martin Pistek, Projektleiter Publikumsanlagen SOB

Eigentlich sehr durchdacht – das taktile Leitsystem für Blinde und Sehbehinderte auf dem Bahnhof …

… nur vor dem neuen Geländer klafft noch eine gefährliche Lücke.

Auch auf Perron eins führt das taktile Leitsystem. Fotos: zl

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