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«Unser Panorama steht nicht zuoberst auf der Gästeliste»

«Unser Panorama steht nicht zuoberst auf der Gästeliste» «Unser Panorama steht nicht zuoberst auf der Gästeliste»

Während die Murtner einen neuen Anlauf nehmen, ihr Panorama der Öffentlichkeit zu zeigen, leidet das Einsiedler Gemälde unter einem Besucherschwund. Max Fuchs, Präsident der Panorama Gesellschaft, schildert den Werdegang des monumentalen Werks über die Kreuzigung Christi.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Worin bestehen die Gemeinsamkeiten, worin die Unterschiede zwischen den Panoramen von Murten und Einsiedeln im Vergleich? Louis Braun,der renommierteste Panoramenmaler Deutschlands, erstellte im Jahr 1893 innerhalb von zehn Monaten ein Panorama, das die Schlacht bei Murten zwischen Eidgenossen und Karl dem Kühnen im Jahr 1476 zeigt. Das Bild wurde seit 1924 in Murten gelagert, nur gelegentlich ausgerollt und nie montiert. Auf Initiative einer 1996 gegründeten Stiftung wurde das Panorama restauriert und an der Expo.02 im Monolith von Jean Nouvel auf der Arteplage Murten gezeigt. Die beiden panoramaerfahrenen Künstler Karl Hubert Frosch und Joseph Krieger hatten sich in den 1890er-Jahren derweil auf Panoramen religiöser Thematik spezialisiert: Am 1. Juli 1893 wurde das Panorama Kreuzigung Christi in Einsiedeln in einem eigens errichteten Gebäude, einem zwölfeckigen Zentralbau von 33 Metern Durchmesser, feierlich eröffnet. Es entwickelte sich schnell zu einer gut besuchten Sehenswürdigkeit des Wallfahrtsortes. Was nehmen die Murtner aus dem Klosterdorf mit? Die ursprüngliche Idee, das Panoramagemälde in andere Städte wie zum Beispiel Turin oder Mailand zu dislozieren, wurde weder in Murten noch in Einsiedeln realisiert. Währenddem sich das Einsiedler Panorama zu einer Erfolgsgeschichte entwickelte, indem es im Klosterdorf dauerhaft ausgestellt werden konnte, scheiterte man in Murten mit diesem Anliegen. Nun nehmen die Murtner einen neuen Anlauf, ihr Panorama der Öffentlichkeit zu zeigen, und suchen einen Standort für das Bild und das nötige Kleingeld. Fürs Erste geht im Sommer in Murten eine Wechselausstellung zu diesem Thema über die Bühne. Da auch beim Murten-Schlachtgemälde die Einsiedler Gebrüder Gyr Martin und Adelrich, also die Initianten (zusammen mit der Buchdruckerfirma Benziger und Co.) des Einsiedler Panoramas, wesentlich mitbeteiligt waren, sind in ihrem Nachlass Probegemälde, Tuschskizzen zu Vorstudien und Schriftwechsel vorhanden, die im Murtner Museum während drei Monaten gezeigt werden. Gab es in Einsiedeln auch einmal eine Zeit, in der das Panorama irgendwo gebunkert worden ist?

Nein, was mit dem Murtner Bild geschah, war eher die Ausnahme. Auf tragische Weise ging hingegen das erste Leben des Panoramas in Einsiedeln am 17. März 1960 zu Ende, als bei Renovierungsarbeiten an Fassade und Innenräumen Feuer ausbrach und Gebäude und Gemälde vollständig niederbrannten. Es begann aber ein zweites Leben des Panoramas noch im selben Jahr, als man sich zu einem Neubau und zu einer Neugestaltung des Bildes nach vorhandenen Farbaufnahmen des Fotografen O. Baur entschloss. Zunächst wurde ein neues Panorama- Gebäude gebaut. Die alte Holzkonstruktion wurde durch ein feuersicheres Gebäude aus Stahlträgern und Leca-Betonelementen ersetzt. Für die Neugestaltung des Bildes konnten über einen Wettbewerb die Wiener Künstler Hans Wulz und Josef Fastl gewonnen werden. Nicht eine genaue Kopie oder Reproduktion des alten Bildes war das Ziel. Das neue Bild sollte in malerisch-künstlerischer Hinsicht eine zeitgemäss moderne Auffassung zeigen. Es entstand 1961/62 innerhalb eines halben Jahres, in gleicher Grösse und in allen Details der Komposition dem Vorbild folgend, allerdings in einer freieren Malweise, die sich von der detaillierten realistischen des ursprünglichen Bildes unterscheidet. Das nach dem Vorbild des zerstörten Panoramas neu geschaffene plastische Faux Terrain wurde von Bühnenbildnern des Stadttheaters Bern unter der Leitung von Hans Städeli erstellt. Die Wiedereröffnung fand am 14. April 1962 statt. Wie würden Sie das Interesse der Öffentlichkeit in der heutigen Zeit für Panoramen einschätzen?

Das touristische Angebot heute ist enorm und vielfältig, und so steht auch unser Panorama nicht zuoberst auf der Liste der Gäste. Doch sind Besucher, die den Weg zum Einsiedler Panorama finden, immer wieder überrascht und beeindruckt, welch faszinierende Illusion das Panorama schafft. Selten bereut einer den Gang an die Benzigerstrasse 36 im Klosterdorf. Staunend stehen die Besucher im Rondell und sind bezaubert vom Werk. Eine zentralere Lage, zum Beispiel nahe des Klosterplatzes, wäre beste Voraussetzung für mehr Besucher. Wie entwickeln sich die Besucherzahlen beim Panoramabild in Einsiedeln? In über hundert Jahren haben fast fünf Millionen Pilger und Touristen das Panorama besucht. Es gab Jahre, da verzeichnete das Panorama mehr als 100’000 Besucher. Bis in die 80er-Jahre fiel die Zahl bis durchschnittlich 30’000 Personen pro Jahr und sank in den letzten Jahren auf rund 3000. Das hat viel mit einem individuellen, schnelllebigen Reiseverhalten zu tun. In früheren Zeiten sind die Touristen und Pilger zu Fuss, mit dem Zug oder dem Car nach Einsiedeln gekommen und oft zwei bis drei Tage im Klosterdorf geblieben. Da gehörte ein Abstecher zum Panorama automatisch dazu zum Reiseprogramm. Heutzutage reisen die Leute mit dem Auto als Tagestouristen nach Einsiedeln, und ein Grossteil nimmt sich gerade einmal die Zeit für einen Besuch des Klosters. Wie steht es um die Finanzen der Panorama Gesellschaft? Ich würde von einer suboptimalen Situation sprechen, was die finanzielle Lage der Panorama Gesellschaft anbetrifft. Längst kann das Unternehmen nicht mehr mit den Einnahmen der Eintritte finanziert werden. Auch mit einem jährlichen regulären Aufwand von nur etwa 40’000 Franken kann das Unternehmen seit Jahrzehnten nicht mehr selbstfinanziert werden. Dank guten Reserven aus früheren Jahren und mithilfe der Mieteinnahmen aus dem Mehrfamilienhaus, das die Gesellschaft nordwestlich des Panoramagebäudes im Jahr 2011 gebaut hat, kann der Betrieb weiterhin ohne jegliche Beiträge seitens der Öffentlichkeit erhalten werden. Wie viele Mitglieder zählt die Panorama Gesellschaft? Das Vermögen der Panorama Gesellschaft, die seit ihrer Gründung im Jahr 1894 als eine einfache Gesellschaft nach dem Obligationenrecht besteht, ist aufgeteilt auf hundert Anteilscheine mit zurzeit vierzig Mitgliedern. Rund zwei Drittel der Anteilscheine sind bei den Nachkommen der Gründerfamilie. Die Gesellschaft leidet nicht, wie viele Vereine, an einer Überalterung, weil die Anteilscheine in der Regel von der älteren Generation an die jüngere weitervererbt werden.

Wie sind Sie selbst zum Präsidium der Panorama Gesellschaft gekommen – wie die Jungfrau zum Kind? Nein, das Präsidium ist mir gewissermassen aus familiären Gründen in den Schoss gefallen: Mein Urgrossvater mütterlicherseits, Martin Gyr, war der erste Präsident der Gesellschaft. Er gehörte mit seinen Brüdern Adelrich und Karl der Gründerfamilie an. Eine seiner Töchter heiratete Emil Lienert vom Schöngarn, und deren Tochter heiratete meinen Vater Adelrich Fuchs, der ebenfalls 25 Jahre lang das Präsidium innehatte. Wie schafft das Panoramabild den Sprung vom 19. in das 21. Jahrhundert? Naturgemäss sind Panoramen vom Zeitgeist des 19. Jahrhunderts geprägt: In dieser Zeit wurden die meisten Panoramen geschaffen. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gab es weltweit ein grosses Interesse, nationale Themen, vor allem Schlachten, als Panoramen zu gestalten. Das Interesse an Geschichte allgemein, aber auch an Kunstgeschichte, ist im 21. Jahrhundert eher wieder gewachsen. Das gilt gleichermassen für die Kirchengeschichte. Man spricht ja nicht umsonst von einer Renaissance der Religion, die im 21. Jahrhundert Einzug gehalten hat. Von daher halte ich es für möglich, dass das Einsiedler Panorama mit der Kreuzigung Christi auf Golgatha auf ein wieder zunehmendes Interesse stossen wird. Abgesehen davon zählt es zu den bedeutendsten künstlerischen und kulturellen Sehenswürdigkeiten im Raum Einsiedeln. Ich meine, in den nächsten Jahren wird das Einsiedler Panorama weiterhin geöffnet bleiben.

Max Fuchs, Präsident der Panorama Gesellschaft, posiert vor dem Landhaus des Josef von Arimathäa. Fotos: Magnus Leibundgut

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