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LAF-Menschen

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SEITENBLICK: «VERUSSE»

MARTIN LÜTHI

Ich verstehe die LAF-Menschen nicht. Das sind Leute, die mit dem Lift in die Tiefgarage und dann mit dem Auto ins Fitnesscenter fahren. Eine für mich fremde und paradoxe Lebenshaltung, bei der körperliche Belastung nur unter genau kontrollierten Bedingungen stattfindet. Natürlich mit Bildschirm vor dem Kopf und Stöpseln in den Ohren. Und schlimmer noch, ein Leben in einer austauschbaren Kunstwelt bestehend aus Lift, Auto und Fitnesscenter. Diese LAF-Menschen hatten letztes Jahr ein grosses Problem: den Lockdown.

LAF-Menschen in der Natur …

Allen, die häufig draussen sind, fällt auf: Seit einem Jahr streifen sehr viel mehr Menschen durch die Wälder, lassen die Kuhgatter auf Alpweiden offen und besetzen die idyllischen Grillstellen in unserer Gegend. Viele davon sind LAF-Menschen, die, vom Trainingscenter ausgeschlossen, dorthin fahren, wo es gemäss Instagram cool ist. Oder wo sie in ihrer Kindheit mit ihren Eltern quengelnd durchwandern mussten. In eine der vielen schönen und naturnahen Gegenden in unserem Land, in unserer Region.

Für mich hat diese neue Bewegung in die heimische Natur verschiedene Aspekte. Das Gute zuerst: Die Leute lösen sich von den Bildschirmen und Trainingsmaschinen, erleben die Welt «verusse» und sehen die kleinen und grossen Wunder draussen. Verwurzeln sich vielleicht gar mit ihrer näheren Umgebung. Sehen, dass die Erhaltung der wilden Natur nicht nur ein Anliegen von einigen Öko-Freaks ist, sondern auch ihnen selbst viel Raum verschafft, Luft, Entspannung und Freiheit.

Andererseits ist diese Freiheit, überall durchstreifen zu können, eine massive Belastung. Ich habe den Eindruck, dass viele LAF-Menschen kein Sensorium haben für die feinen Schwingungen, Töne und Bewegungen «verusse». Sie kommen in plappernden Gruppen, beschallen mit ihrem Industrie-Sound die Grillstellen und hinterlassen oft viel mehr als nur ihre Spuren. Zuviel.

«Verusse» ist für mich ein ganz besonderer Ort, etwas Magisches in vielerlei Hinsicht. Das zauberhafte an dieser Magie ist: «Verusse» verschwindet, wenn man sich zu schnell bewegt. Wenn man keine Zeit hat zu hören, zu betrachten, zu fühlen und zu staunen. Wenn man Technik benutzt, ob Räder, Ohrstöpsel, Boombox oder Smartphone. Ich glaube, viele LAF-Menschen sind nicht «verusse » wenn sie draussen sind. Und vielleicht ist es besser, wenn sie wieder in ihre Kunstwelt zurückkehren und die Welt «verusse» uns Geniessern überlassen.

Martin Lüthi, geboren 1967 in Olten, ist seit 20 Jahren in Einsiedeln wohnhaft. Er ist beruflich und privat, als Gletscher- und Höhlenforscher, oft an interessanten und abgelegenen Orten unterwegs, zu Fuss, mit Skiern oder auf dem Bike.

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