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«Für mich ist das unfassbar»

«Für mich ist das unfassbar» «Für mich ist das unfassbar»

Interview mit Katerina Kälin aus Belarus, die seit acht Jahren hier lebt und sich grosse Sorgen um ihre Heimat macht

Rund 1100 Belarussen leben momentan in der Schweiz – in Sicherheit vor Diktator Lukaschenko, der ja jüngst ein Flugzeug notlanden liess, um einen Regimekritiker ins Gefängnis zu stecken. Auch Katerina Kälin ist geschockt über diese Tat, wie sie uns im Interview verrät.

WOLFGANG HOLZ

Seit acht Jahren lebt Katerina Kälin in der Schweiz. Die studierte Juristin, die ihren Ehemann Bruno übers Internet kennengelernt hat, wohnt mit ihrem elfjährigen Sohn Arseni in einer modernen Wohnung in Wollerau.

Obwohl es der gebürtigen Witebskerin hier gut geht, macht sie sich Sorgen um ihre Heimat Belarus, wo seit 27 Jahren Diktator Alexander Lukaschenko regiert – und inzwischen die politische Opposition immer brutaler unterdrückt. Das Kidnapping des Regimekritikers und Bloggers Roman Protasewitsch aus einem Flugzeug der Ryanair in Minsk war Lukaschenkos jüngster Gewaltakt.

Katerina Kälin, die letztes Jahr eine Protestdemonstration von weissrussischen Regierungsgegnern in Zürich mitorganisiert hat und seit Jahren Mitglied im Einsiedler Kulturverein Dialog von Irina Biljavskaja ist, hat schon seit drei Jahren ihre Verwandten nicht mehr gesehen. Im Interview mit unserer Zeitung zeichnet sie ein deprimierendes Bild von den aktuellen Zuständen in Belarus. Wie geht es Ihnen, Frau Kälin?

Danke der Nachfrage, soweit gut. Mit meinen Gedanken bin ich jedoch bei meinen Landsleuten in Belarus. Was sagen Sie zu den jüngsten Ereignissen in Weissrussland mit der erzwungenen Notlandung des Flugzeugs in Minsk? Diese Aktion war vom Regime Lukaschenkos klar geplant. Für mich ist das eine unfassbare Aktion. Er hat internationale Regeln aufs Gröbste verletzt und sich über alle Normen hinweggesetzt.

Kennen Sie den Journalisten Roman Protasewitsch? Ich kenne ihn nicht persönlich, aber ich folge ihm auf seinem Blog. Wie schätzen Sie die politische Lage in Weissrussland momentan ein?

Die Situation hat sich seit August 2020 leider nicht verändert. Im Gegenteil. Es gibt inzwischen zusätzlich einige gesetzliche Restriktionen wie zum Beispiel der Zugang zum freien Internet und andere Einschränkungen.

Monatelang hat man im Fernsehen über Proteste und Demonstrationen in Belarus berichtet. Nun hört man fast nichts mehr von solchen Veranstaltungen. Gibt es keine öffentliche Opposition mehr?

Die öffentliche Oposition hat sich nunmehr in den Untergrund verlagert. Das hat damit zu tun, dass sehr viele Oppositionelle inhaftiert und teilweise gefoltert wurden. Vielen Belarussen wurde damit Angst gemacht. Es haben sich teilweise auch Partisanen gebildet, die vermehrt aktiv sind. Wie geht es Ihren Angehörigen in Belarus? Was erzählen sie Ihnen am Telefon?

Meiner Familie in Belarus geht es gut, wir sprechen nur am Rande über Politik. Ich war das letzte Mal im März 2018 in meiner Heimat – am Geburtstag meiner Grossmutter. Seitdem kann ich mich mit meiner Familie und mit meinen Verwandten nur per Telefon oder per Skype austauschen. Zu meiner Mutter habe ich schon vor längerer Zeit gesagt, dass ich sie nicht mehr besuchen kommen kann, solange Lukaschenko an der Macht ist. Auch ist es derzeit fast ein Ding der Unmöglichkeit, ein Einreisevisum zu bekommen, weil die Konsulate und Botschaften geschlossen haben. Wir haben inzwischen fast Zustände wie in Nordkorea.

Wie geht es jetzt aus Ihrer Sicht in Belarus weiter? Bleibt Lukaschenko an der Macht? Es ist zu befürchten, dass er an der Macht bleibt. Lukaschenko hat sich einen so grossen Machtapparat aufgebaut, dass er damit jede Opposition zerstört. Sehr vielen Weissrussen ist noch nicht bewusst, wie er das Land auspresst durch Korruption und durch sehr hohe Steuern. Das Land ist faktisch pleite, es fehlt am Nötigsten, wie wichtigen Medikamenten oder bei der medizinischen Versorgung – auch für Kinder. Lukaschenko und seine Entourage leben jedoch im Luxus. Was müsste die internationale Staatengemeinschaft und die EU denn Ihrer Meinung nach tun, um Lukaschenko zu bestrafen?

Es ist nicht sinnvoll, Sanktionen gegen die Belarussische Bevölkerung zu treffen. Besser ist es, Sanktionen direkt gegen Lukaschenko und seine Administration zu verhängen, indem man zum Beispiel die Bankkonten auf internationalen Banken einfrieren lässt und alle, die Teil des Systems sind, auf eine Blacklist setzt. Auch sollte die Einreise in andere Länder für diese Leute nicht mehr möglich sein.

«Sehr viele Oppositionelle wurden inhaftiert und teilweise gefoltert.»

Katerina Kälin

«Es ist zu befürchten, dass Lukaschenko an der Macht bleibt.»

Katerina Kälin (39) in ihrer Wohnung in Wollerau mit zwei Folklore-Figuren. Foto: Wolfgang Holz

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