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«Für mich ist Einsiedeln ein Kraftort geworden»

«Für mich ist Einsiedeln ein Kraftort geworden» «Für mich ist Einsiedeln ein Kraftort geworden»

Seit 50 Jahren pilgert der Zuger Josef Strickler bei Hitze und Frost, bei Regen und Schnee nach Einsiedeln – wegen eines privaten Gelübdes. Längst begleiten ihn seine Kinder und Grosskinder auf seinen Wallfahrten. Wir besuchten den 78-Jährigen in seinem Haus in Zug.

WOLFGANG HOLZ

Herr Strickler, Sie pilgern seit 50 Jahren bei der Zuger Landeswallfahrt jedes Jahr nach Einsiedeln. Warum? In der Wohnungsnot 1971 habe ich von der Stadt Zug im Dezember eine Wohnung im Zweifamilienhaus mit grosser Umgebung bezogen. Allerdings warnte mich der verantwortliche Liegenschaftsverwalter mündlich: Es sei nicht sicher, ob ich ein Jahr darin bleiben könne, denn das Haus werde abgerissen! Mir gefiel es aber hier so gut. Deshalb habe ich mit der Mutter Gottes von Einsiedeln ein Gelübde abgeschlossen. Dieses lautete: «Alle Jahre, wenn ich gesund bin und hier wohnen darf, pilgere ich mit den Zugern an der Auffahrt nach Einsiedeln. » Das war vor 50 Jahren! Unglaublich. Warum sollte Ihr Haus denn eigentlich abgerissen werden, und wie lange steht das Haus schon im Fridbachweg?

Das Haus wurde 1924 gebaut. Es war immer im Privatbesitz. Im Juli 1964 konnten die Stimmbürger über den Bebauungsplan Fridbach mit zwei 10- und 14-stöckigen Hochhäusern abstimmen, der mit einem Ja angenommen wurde. Auf dem beschlossenen Umgebungsplan wurde das private Wohnhaus allerdings weggelassen und mit einer Grünzone am Bach eingezeichnet. Der Eigentümer stellte jedoch fest, dass mit der Höhe der Gebäude der Grenzabstand zu seiner Liegenschaft nicht eingehalten wurde. Um die Abstimmung nicht wiederholen zu müssen, wurde ein Kompromiss ausgehandelt, indem die Stadt Zug das Grundstück kaufte und die Landis und Gyr Holding AG ihm gratis einen Bauplatz für ein Einfamilienhaus zur Verfügung stellte. 1968 wurden die Hochhäuser fertig erstellt.

Und deshalb musste dann das Haus nicht mehr abgerissen werden … Ja. Denn der Abbruch war nicht zwingend, weil an dieser Stelle mit der heutigen Gesetzgebung wegen dem Abstand zum Bach ja kein Neubau mehr gemacht werden könnte. Also ist es mir in all den Jahren gelungen, mit dem Anlegen eines grossen Blumengartens die Grünzone mehr farbig als grün zu erhalten. Für mich wurde es ein Paradies auf dieser Erde und für die unzähligen Anwohner und Passanten eine viel gelobte Augenweide. 1988 erhielt das Haus eine 12 Zentimeter dicke Isolation und 2003 neue Fenster mit Doppelverglasung – eine sanfte Aufwertung. Sind Sie ein Zuger – oder woher stammen Sie genau? Ich bin im Jahr 1943 in Menzingen als Bauernkind geboren und aufgewachsen. Als Neuheimer Strickler gehören wir natürlich auch zu den Zugern. Als Kind waren damals die Wallfahrten noch zweitägig, also mit Übernachtung in einem Hotel. Marschiert sind wir von Menzingen aus nach Schindellegi und sind dann mit dem Zug nach Einsiedeln gefahren.

Was haben Sie eigentlich beruflich gemacht? Haben Sie Familie und Kinder? Ich bin gelernter Landwirt, habe aber seit 1968 beim Bauamt der Stadt Zug gearbeitet. Ich war 10 Jahre lang als Chauffeur beschäftigt und 25 Jahre lang als Gärtner-Chef. Seit 2007 bin ich Pensionär und habe mehr Zeit für die Umgebung rund ums Haus. Meine Frau und ich haben vier verheiratete Kinder und zehn Grosskinder. Unterstützt haben mich bei den Wallfahrten besonders meine Frau und unsere Kinder, welche in den Schuljahren regelmässig, später oft spontan, an der Wallfahrt teilnahmen. Sie begleiten inzwischen auch ihre eigenen Kinder auf dem Weg, wobei wir eine Gruppe von mehreren Personen bilden. Acht Grosskinder sind mittlerweile mit uns mehrmals von Zug nach Einsiedeln gepilgert und fragen sich, wie viele Jahre ich schon dabei bin. Für mich ist es jedes Jahr eine Bitt- und Dankeswallfahrt begleitet vom Segen Gottes.

Wie haben Sie die vergangenen 50 Wallfahrten nach Einsiedeln in all den Jahren erlebt? Wie viele Stunden brauchen Sie jeweils für die Strecke? Mein Sohn hat letztes Jahr die Strecke genau vermessen. Sie misst 24,9 Kilometer und weist 870 Höhenmeter aufwärts und 430 Höhenmeter talwärts auf und dauert rund 7 Stunden. Natürlich hat sich die Wallfahrt in den vergangenen 50 Jahren wie die Kirche auch verändert. Anfangs waren betende Pilgerzüge jahrelange Tradition. Dann entwickelten sich in den 80er-Jahren neue Formen der Pilgerzüge in Form von Jugendgruppen und Nachtwallfahrer. Später gab es aufgrund des fehlenden Nachwuchses bei den Leitpersonen und Priestern immer kleinere offizielle, dafür mehr individuelle Gruppierungen. Erfreulicherweise scheinen sich bei jüngeren Gläubigen wieder echte Pilgerwerte zu entwickeln. Können Sie sich noch an spezielle Pilgererlebnisse erinnern? Von heissen und frostigen Tagen, aber auch von tiefem Schnee und Regen wurden wir nicht verschont. Ich weiss nicht mehr, in welchem Jahr es war, als wir die Biber über die Brücke gegen die Altmatt nicht mehr passieren konnten. Wir mussten den Umweg über Biberbrugg und über den Schnabelsberg einschlagen. Verständlicherweise dauerte es deshalb etwas länger, bis wir in Einsiedeln eintrafen. Die Corona-Vorschriften vom Jahr 2020 und 2021 bleiben uns zudem speziell in Erinnerung, weil offizielle Pilgergruppen nach Einsiedeln nicht zugelassen waren. Apropos. Wie gefällt Ihnen denn Einsiedeln? Ich kenne Einsiedeln schon als Kind, weil ich anstatt in die Sekundarschule zu Hause zwei Jahre in die Klosterschule gegangen bin. Für mich ist Einsiedeln ein Kraftort in meinem Leben geworden.

Vor seinem Haus mit schönem Garten in Zug am Fridbachweg: Josef Strickler. Fotos: Wolfgang Holz/zvg

Neulich bei seiner 50. Ankunft an der Zuger Landeswallfahrt vor dem Kloster: Josef Strickler (2.v.l.) mit Kindern und Grosskindern.

Eingepfercht von Hochhäusern: Stricklers Haus in der «Grünzone».

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