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Der Armee gehen die Leute aus

Der Armee gehen die Leute aus Der Armee gehen die Leute aus

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FRITZ KÄLIN

Unsere Schweizer Armee machte neulich international Schlagzeilen. Das VBS hatte beschlossen, für weibliche Armeeangehörige geeignete Frauenunterwäsche zu beschaffen. Politik und Armeeführung wollen ja den Anteil von Frauen in der Armee von heute 0,9 bis 2030 auf 10 Prozent anheben. Man könnte sagen: Irgendwo muss halt der Anfang gemacht werden, um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen. Die Unterwäsche-Posse lässt aber durchaus tiefer blicken (nicht anzüglich gemeint).

Was die Armee bietet und was nicht (mehr) 2006 fasste ich als Rekrut einen Berg an Material. Helm, Sturmgewehr und all die anderen Dinge, die Teenager zu Staatsbürger in Uniform verwandeln.Was ich nicht vom Staat zu erhalten erwartet hatte, war Unterwäsche. Davon hatte ich schliesslich selber genug mitgebracht (welche Mutter sorgt nicht dafür, dass ihr Sohn genügend Unterwäsche im Gepäck hat?).Schlüpft «Vater Staat» selbst bei der Landesverteidigung in eine zunehmend bemutternde Rolle?

Nichts gegen eine gute persönliche Ausrüstung für unsere Armeeangehörigen! Sie ist so gut, dass Effektentasche, der Rucksack oder die Fleecejacke auch im Zivilleben gerne verwendet werden. Ob die Funktionsunterwäsche sich ausser Dienst ähnlicher Beliebtheit erfreut, kann ich nicht beurteilen. Was ich als Militärhistoriker aber kann, ist unsere Ausrüstung mit derjenigen früherer Epochen und anderer Armeen zu vergleichen. Die Rotarmisten beispielsweise umwickelten ihre Füsse mit Stofflumpen, weil Socken in der Sowjetunion Mangelware waren. Aber sie besiegten 1945 die deutschen Soldaten, die 1941 in Socken in ihr Land einmarschiert waren.

Als ich damals meine Armeeunterwäsche entgegennahm, musste ich an das denken, was der Staat meiner Soldatengeneration nicht mehr bieten konnte: ein eingespieltes Mobilmachungssystem; eine dezentrale Logistik, in der Munition in nützlicher Nähe zur Truppe geschützt lagerte; eine erdkampffähige Luftwaffe.

Das alles wird jetzt zumindest ansatzweise wieder aufgebaut. Im Parlament werden viele teure Beschaffungen damit begründet, dass sie dem Schutz der Truppe dienen. Geschützte Kampffahrzeuge und moderne Schutzwesten stehen aus «Spargründen» aber weiterhin nicht in der notwendigen Anzahl zur Verfügung. Sie fehlen auch für die Frauen, die sich freiwillig in unsere seit 1990 auf einen Sechstel geschrumpfte Armee einreihen sollen.

Um das 30. Altersjahr aus der Armee entlassen Dem Sollbestand von nur noch 100’000 Armeeangehörigen fehlt es inzwischen nicht nur an einer Reserve von Schutzwesten, sondern zunehmend auch an Soldaten, welche diese tragen könnten. Seit der «Armee XXII»-Reform werden die Soldaten schon um das 30. Altersjahr aus der Armee entlassen – aber kaum die Hälfte zieht ihren Militärdienst bis zum Schluss durch. Die anderen kommen unserer Landesverteidigung entweder aus medizinischen Gründen abhanden, oder wechseln aus Gewissensgründen in den Zivildienst. Mit welchem Gewissen kann man ein Land wie die Schweiz nicht zu verteidigen bereit sein?

Die Alimentierung der Armeebestände muss dringend wieder gesichert werden. Sonst wird 2030 das Ziel eines Frauenanteils von 10 Prozent nicht durch mehr freiwillige Frauen, sondern durch zu wenige militärdienstleistende Männer «erfüllt ». Die Frauen trugen schon immer zur Landesverteidigung bei.Wer ihnen einen noch grösseren Beitrag abverlangen möchte, soll ihnen auch «angemessene Arbeitsbedingungen » gönnen. In der Armee wären dies zuerst «kriegstaugliche» Ausrüstung und Bestände, und wenn dann noch Geld übrig bleibt, gerne auch funktionale Unterwäsche für alle.

«Wenn noch Geld übrig bleibt: Funktionale Unterwäsche für alle.»

Dr. phil. I Fritz Kälin, geboren 1986 in Einsiedeln, Matura an der Stiftsschule Einsiedeln 2005. Anschliessend Lizentiat/Doktorat an der Universität Zürich 2012/2016. Kälin ist Experte für Sicherheitspolitik und Militärgeschichte und im militärischen Rang als Fachoffizier (Hauptmann) tätig.

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