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«Junge Leute verlieren Bezug zur Kirche»

«Junge Leute verlieren Bezug zur Kirche» «Junge Leute verlieren Bezug zur Kirche»

An der Zuger Landeswallfahrt ist eine fahrbare Kapelle in der Auffahrtswoche zu Gast in Einsiedeln. Deren Initiant Thomas Betschart steht Red und Antwort zum Gotteshaus in Form eines Wohnzimmers, das kirchenferne junge Erwachsene ansprechen möchte.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie kommt die Tiny-House-Kapelle ins Klosterdorf?

Die fahrbare Kapelle begleitet die Zuger Landeswallfahrt nach Einsiedeln, die an Auffahrt über die Bühne geht. Sie steht bis am Sonntag rechts vor der Haupttüre der Klosterkirche. Die Kapelle ist ein Projekt mit und für junge Erwachsene im Pastoralraum Zug Berg. Woher kommt sie angefahren?

Sie war für einen Monat in Unterägeri stationiert, bevor sie in der letzten Woche revidiert wurde: Wir mussten das Stützrad verstärken und die Stützen-Montageplatten verzinken lassen. In der kommenden Woche zieht die Kapelle weiter nach Oberägeri. Was wird in der Kapelle angeboten?

Wir hatten insofern Pech, als der Start der fahrbaren Kapelle just mit dem Coronavirus zusammengefallen ist. Die Vorgaben des BAG und der begrenzte Platz in der Kapelle lassen im Moment keine gemeinschaftlichen Anlässe zu. Aber nichtsdestotrotz versuchen wir, aus dieser Kapelle ein Wohnzimmer Gottes zu gestalten. Im Moment einfach digital in den sozialen Medien, mit Podcasts oder Kerzen anzünden lassen per WhatsApp.

Können auch Homosexuelle gesegnet werden?

Die Kapelle ist ein reines Laienprojekt. Sie ist ein Gebetsraum und ein Raum für den Austausch über den Glauben. Sakramente stehen denn nicht im Fokus der Kapelle. Sie wurde zwar feierlich gesegnet, aber nicht eingeweiht. In jedem Fall haben Schwestern die Kapelle intensiv eingebetet. Ist die Kapelle eine Konkurrenz für die Pfarrei Einsiedeln? In keiner Weise. Es steht uns fern, mit der Kapelle missionieren zu wollen. Vielmehr steht das Pilgern im Vordergrund – zu einem Ort wie Einsiedeln, von dem seit jeher ein spezieller Spirit ausgegangen ist. Wir wollen mit dem Projekt den vielmals engen Kirchenhorizont ausweiten, mit der modern anmutenden Tiny- House-Kapelle kirchenferne Kreise ansprechen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Verein zu gründen? Die Idee zum Tiny House kommt von mir, getragen wird sie von meiner Liebe zu Kapellen. Ein Oberministrant, ein Zimmermann, hat den Bau in Angriff genommen. Ich bin von Beruf Religionslehrer und habe bald einmal begriffen: Nach der Firmung verlieren die jungen Leute den Bezug zur Kirche. Die Kapelle ist offen für alle, speziell für junge Erwachsene.

Welchen Zweck verfolgt die fahrbare Kapelle? Die Kapelle soll ein modernes Wohnzimmer Gottes sein, in dem sich gläubige, suchende, kritische oder einfach neugierige junge Menschen willkommen fühlen und mit dem Göttlichen in Berührung kommen können. Welches Programm führt die Kapelle? In der Kapelle kann man eine Kerze anzünden, Stille finden, meditieren, beten, Gespräche führen, Mini-Workshops besuchen, Kleinstkonzerte geniessen, Taizé-Lieder singen oder einfach eine Pause machen. An wen richtet sich das Angebot?

An junge Leute zwischen 18 und 30 Jahre. Stimmrecht hat man im Verein, dem 25 Leute angehören, bis und mit dem 30. Lebensjahr. Ich bin zwar jetzt noch Präsident des Vereins, habe allerdings mit meinen 44 Jahren kein Stimmrecht mehr (lacht). Aber natürlich kann und darf jeder Mensch die Kapelle besuchen, unabhängig von seinem Alter, um etwa dort zum Beispiel eine Kerze anzuzünden. Wie kommt das Projekt bei den Jungen an? Ich glaube, die Kapelle entspricht echt einem Bedürfnis. Derzeit engagieren sich 34 junge Leute beim Projekt, helfen mit, machen Kapellendienst. Über 130 Spender haben dazu beigetragen, für die Kosten des Projekts in der Höhe von 50’000 Franken aufzukommen.

Sind junge Erwachsene besonders gefährdet, den Anschluss an die Kirche zu verlieren? Nach dem Sakrament der Firmung klafft eine grosse Lücke, bis irgendwann eine Hochzeit oder eine Taufe eines Kindes auf dem Programm steht. In dieser Zeit verlieren viele junge Leute den Bezug zur Kirche. Wir haben auch keine pfannenfertige Lösung für dieses Problem, hoffen aber, mit diesem Projekt ein Stück weit diese Lücke füllen zu können.

Will das Projekt auch der Tendenz entgegenwirken, dass der christliche Glauben immer mehr verdunstet? Vieles hängt mit der heutigen Sozialisierung zusammen: Oftmals spielen die Grosseltern eine tragende Rolle bei einer christlichen Sozialisierung der Kinder, weil bereits deren Eltern den Bezug zur Kirche verloren haben. Junge Leute sind durchaus offen für Fragen der Religion und des Glaubens, der Spiritualität. Heutzutage herrscht die Meinung vor, man müsse das Leben im Griff haben, alles im Griff haben. Just junge Leute zweifeln daran – und zeigen Interesse für Religion: Nur eben nicht unbedingt in der überkommenen Art der traditionellen Kirche. Wir sind aufgerufen, neue Worte zu finden für eine neue Sprache Gottes. Dies kann durchaus auch in einem neuen Rahmen wie dieser Tiny-House-Kapelle über die Bühne gehen: Ein neues Gotteshaus in Form eines Wohnzimmers.

Thomas Betschart, Präsident des Vereins die.kapelle, in der Tiny-House- Kapelle.

Foto: Magnus Leibundgut

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