Veröffentlicht am

Der Kata log

ERNST FRIEDLI

«Da stehst Du. Schweiss auf der Stirn, Blasen an den Händen, Feuer im Blick. Du hast gegraben, gepflanzt, gewalzt, montiert. Du blinzelst in die Abendsonne. Ja, es ist Dein Garten. Dein Rasen. Deine Terrasse. Geschaffen mit Deinem Herzblut. Dein Paradies», stand da auf der ersten Seite des bunten Prospekts, der uns als Anzeiger- Beilage kürzlich erreichte.

Als ich das las, sass ich im Polsterstuhl. Meine Hände waren blasenfrei, und als ich Klärli danach fragte, meinte sie, ich hätte heute kein Feuer im Blick. Ich hatte nirgends gegraben, weder etwas gepflanzt noch gewalzt oder gar montiert, sondern nur das Frühstücksgeschirr abgetrocknet. Zwei Stunden nach Sonnenaufgang konnte ich auch noch nicht wirklich in die Abendsonne blinzeln. Der Rasen vor unserem Stubenfenster gehört uns nicht, und wir haben seit eh und je keine eigene Terrasse. Auch keine mit meinem Herzblut geschaffene. Unser Paradies ist definitiv ein anderes.

Aber ich muss sagen, dass mich dieses angriffig Zupackende, dieses hemmungslos Gestaltende, dieses bedenkenlos Entschlossene im Text aufgewühlt hat. Vor allem die schweissnasse Stirn und das Feuer im Blick haben mich tief beeindruckt. Ich spürte dabei, wie kraftstrotzend man sich doch fühlen könnte, wenn man bloss dieser Zielgruppe der vor Tatkraft bebenden Garten- und Rasenpfleger angehören würde. Ich aber konnte da bestimmt nicht gemeint sein. Klärli vermutet richtigerweise einen Versandfehler.Wir werden diesen Hornbach-Katalog deshalb frankiert und mit einer höflichen Entschuldigung nach Galgenen zurückschicken.

*

Ernst Friedli, 64, seit Jahren verheiratet mit Klärli, geborene Schönbächler. Nichtraucher und Sachbearbeiter im Rathaus, steht unter Amtsgeheimnis. Macht sich in der Freizeit Gedanken zur Weltlage und meint, Freude am Gärtnern brauche keine Texthydraulik.

Share
LATEST NEWS