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«Man muss nach Hause gehen können, ohne dass dies einen ständig verfolgt»

«Man muss nach Hause gehen können, ohne dass dies einen ständig verfolgt» «Man muss nach Hause gehen können, ohne dass dies einen ständig verfolgt»

Die beiden Spitalseelsorger Pater Markus Steiner und Marlies Frischknecht am Spital Lachen helfen und begleiten Menschen auf einem schwierigen Lebensabschnitt und sind auch Ansprechpartner für Mitarbeitende des Spitals. Wir haben mit ihnen über den Beruf gesprochen.

ANOUK ARBENZ

Wen betreuen Sie vor allem? Marlies Frischknecht: Primär sind wir für die Patienten und die Angehörigen da, aber wir haben auch für das Personal ein offenes Ohr. Nur ist dort das Bedürfnis nicht gleich ausgeprägt. Markus Steiner: Beim Personal ist es informeller, ein Schwatz auf dem Gang.

Wie lange machen Sie das schon? Steiner: Seit zwei Jahren. Davor war ich lange Lehrer. Ich suchte eine Aufgabe, bei der ich direkt mit Menschen zu tun habe. Frischknecht: Als ich hörte, dass im Spital zwei Stellen ausgeschrieben sind, bewarb ich mich.

Sie sind vom Spital statt von der Kirche angestellt, was eher speziell ist. Können Sie genug Distanz und Unabhängigkeit vom Arbeitgeber wahren, beispielsweise wenn Kritik an Sie herangetragen wird? Steiner: Es ist schön zu erleben, dass das Spital dies möchte, das ist wirklich nicht selbstverständlich. Kritik können Patienten und Personal auf jeden Fall einbringen. Manchmal versuchen wir auch durch das Gespräch mit der Spitalleitung oder mit dem Personal, etwas zu verändern.

Frischknecht: Ich fühle mich als Teil des Spitals. Ich hatte nie den Eindruck, dass uns dies im Weg steht.

Wie würden Sie Ihren Beruf beschreiben?

Frischknecht: Ein vielfältiger, spannender und berührender Beruf. Man hat mit Menschen zu tun, die etwas zu bewältigen haben, und begleitet sie während eines Lebensabschnitts. Man trifft oftmals schwierige Situationen an. Steiner: Ich habe dies gesucht. In der Seelsorge begegnet man dem Menschen in all seinen Dimensionen. Es beginnt mit dem Körperlichen, dem Grund, weshalb sie im Spital sind, aber es geht auch um die sozialen Bezüge, in denen der Mensch steht, um die Psyche und letztlich auch um das Spirituelle. Die ganze Breite macht diesen Beruf so besonders.

Muss man sehr belastbar sein, wenn man täglich mit Tod und Krankheit konfrontiert wird? Steiner: Schwierig ist, das richtige Mass auf alle Seiten zu finden. Dass man sich vom Schicksal der Menschen berühren, aber dass man sich davon nicht runterziehen lässt. Man muss nach Hause gehen können, ohne dass dies einen ständig verfolgt. Es kann natürlich sein, wenn es eine speziell emotionale Situation ist, dass einen das nicht so einfach loslässt. Aber im Allgemeinen muss es gelingen, dass man sich etwas distanziert.

Dann muss man wohl eine Frohnatur sein und positiv denken, wenn man diesen Beruf ausübt? Frischknecht: Einerseits das, ja. Der Ausgleich ist aber auch sehr wichtig. Es gibt ja noch andere Seiten des Lebens, die muss man pflegen. Auch das Gespräch mit Pater Markus Steiner hilft mir, die Besuche noch einmal zu reflektieren.

Steiner: Vielleicht hat das auch mit der Erfahrung zu tun. Man darf sich nicht allzu wichtig nehmen, das lernt man mit der Zeit.

Wie wichtig ist Ihre Aufgabe gerade jetzt während der Pandemie?

Steiner: Es ist sicher anders als in normalen Zeiten, weil Patienten keine Besucher empfangen dürfen. Deshalb ist der Besuch eines Seelsorgers oder einer Seelsorgerin noch etwas wichtiger geworden. Frischknecht: Man ist vielleicht unmittelbarer mit dem Tod konfrontiert, weil dieser der Gesellschaft nähergekommen ist. Und damit verbunden Ängste und Unsicherheiten …

Steiner: Ja. Bei schweren Coronafällen ist es für die Angehörigen oftmals so, dass sie dies nicht erwartet hätten. Man glaubt, dass sich die Situation verbessern wird, doch dann gibt es einen Rückfall und alles geht ganz schnell. Aus diesem Grund ist die Betroffenheit etwas anders. Das merken auch Pflegepersonal, Ärzte und natürlich die Patienten selbst.

Ist bei einem Coronafall ein Abschied am Sterbebett möglich? Steiner: Wenn jemand im Sterben liegt, darf er auch Besucher empfangen, da ist das Spital Lachen offen. Im Prinzip kann alles normal durchgeführt werden, es ist einfach etwas komplizierter geworden.

Welche Fälle gingen Ihnen besonders nahe? Steiner: Fälle, in denen Patienten lange auf der Intensivstation waren, die dann einen Rückfall haben und sterben, berühren einen schon. Gerade auch zu erleben, wie das für die Angehörigen ist.

Und vermutlich auch für das Personal schwierig, oder? Frischknecht: Ja. Die Ärzte und vor allem die Pflegepersonen waren leistungsmässig physisch und psychisch am Limit. Wir hören immer wieder, dass das Personal froh ist, dass wir es dort entlasten können. Steiner: Es braucht Spezialisten auf der Intensivstation und davon gibt es leider nicht genug. Die Schichten dauerten deshalb sehr lange.

Können Sie immer helfen? Oder gibt es auch Fälle, wo auch Sie nicht weiter wissen? Steiner: Das kann es schon geben, dass man nicht weiter weiss. Das muss man aushalten können. Es kann auch vorkommen, dass unsere Hilfe gar nicht erwünscht ist. Frischknecht: Ich habe nicht das Gefühl, dass ich überall helfen muss. Primär geht es darum, dass ich zu den Patienten gehe, ihnen begegne, und dass sie sagen können, was sie möchten. Manchmal ist meine Aufgabe auch einfach nur: auszuhalten. Nur dort zu sein. Das finde ich aber schon ganz viel. Da zu sein ist in diesem Moment das Wichtigste.

Steiner: Wir müssen ja auch nicht alles selber machen. In meiner Ausbildung hat einmal jemand gesagt: «Hie und da kann man dem Heiligen Geist beim Arbeiten zuschauen.» Es ist noch jemand anderes am Werk, der diese Menschen auch begleitet. Wir sind nicht alleine.

Wie ist Ihr Verhältnis zum Tod? Frischknecht: Der Tod ist immer eine Herausforderung, auch für mich. Aber er ist Teil des Lebens und ich versuche, ihn so zu akzeptieren. Trotzdem ist es immer schwierig, sich zu verabschieden. Auch ich merke, dass ich Angst habe und eine Ungewissheit da ist. Mir hilft es aber, dass ich offen bin gegenüber dem Tod. Steiner: Der Tod ist immer ein endgültiger Abschied für beide Seiten. Dass das nicht leicht fällt, ist klar. Wenn jemand stirbt, der mir nahe steht, komme ich mir einsamer vor. Auf der anderen Seite denke ich nicht, dass der Tod die absolute Katastrophe ist. Für mich ist es ein Übergang, nicht das Ende. Ich bin überzeugt, dass es ein Schritt in eine Begegnung ist. Diese Begegnung mit der grossen Liebe hat einen kritischen Aspekt: Ich werde mal sehen, wer ich wirklich bin, wenn ich mich nicht mehr verstecken kann.

Versuchen Sie, dies den Patienten auch zu vermitteln? Beide: Das habe ich auch schon gesagt, ja.

Kommt das immer positiv an? Steiner: Ich sage das nicht allen. Ich versuche, vorher zu spüren, was angebracht ist und was nicht. Frischknecht: Man muss aufmerksam sein, um zu wissen, was die Person braucht. Muss man zwingend einen theologischen Hintergrund haben, um diesen Beruf ausüben zu können?

Frischknecht: Wenn man Menschen begleitet, muss man offen sein und Hoffnung vermitteln. Ob es jetzt unbedingt eine Religion braucht, weiss ich nicht. Mir hilft es. Steiner: Wir haben einen kirchlichen Auftrag. Zu diesem Auftrag gehört die Verankerung im Glauben. Was nicht heisst, dass ich mit allen kirchlichen Positionen immer einverstanden bin (lacht). Aber es braucht diese Verankerung.

Besteht eine Spannung zwischen den Bedürfnissen der Patienten, die verschiedene religiöse Hintergründe oder vielleicht gar keinen Bezug zur Religion haben, und dem Anspruch, dass Sie in Spitälern Ihre Kirche vertreten? Frischknecht: Da hatte ich schon spezielle Erlebnisse. Ich stellte mich vor und da sagt mir die Patientin, sie glaube nicht an Gott. Es entwickelte sich dann doch noch ein wunderschönes Seelsorgegespräch. Der Glaube steht für mich aber gar nicht im Vordergrund, ich muss nicht bekehren.

Steiner: Man muss herausspüren, was gut für diesen Menschen ist. Das kann etwas spezifisch Religiöses, aber auch einfach menschliche Nähe sein. Gab es während Ihrer Zeit im Spital andere prägende Ereignisse?

Frischknecht: Ein weiteres Highlight für mich ist die Segnung der Säuglinge. Das ist eine sehr schöne Aufgabe. Bei der Segnung habe schon erlebt, dass die Menschen so sehr berührt waren, dass ihnen die Tränen kamen. Das sind sehr tiefgehende Erlebnisse. Steiner: Prägend ist auch zu sehen, wie die Patienten am Schluss loslassen können, nachdem sie sich lange nicht auf den Tod einstellen konnten. Diese plötzliche Versöhnung mit dem Tod hat auch etwas Schönes. Ich habe auch schon erlebt, dass jemand nach einer Krankensalbung wie durch ein Wunder wieder gesund wurde. Frischknecht: Rituale wie die Krankensalbung oder der Sterbesegen können in solchen Momenten einen Abschied auch einfacher machen.

Marlies Frischknecht

Wohnort: Wangen Ausgleich zum Beruf: in der Natur unterwegs, lesen, kochen, tanzen, Gespräche

Dafür bete ich dieses Jahr besonders oft: Dass wir diese Corona- Pandemie als Menschheit gut meistern und jene nicht vergessen, die besonders darunter leiden

Pater Markus Steiner

Persönliche Angaben: Mönch im Kloster Einsiedeln, während vieler Jahre Lehrer an der Stiftsschule

Ausgleich zum Beruf: Wandern, Leben in der Klostergemeinschaft, Lesen Dafür bete ich dieses Jahr besonders oft: Patienten in einer Krise, Situation im Bistum Chur

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