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Die Zahl der Katholiken und Reformierten sinkt stark

Die Zahl der Katholiken und Reformierten sinkt stark Die Zahl der Katholiken und Reformierten sinkt stark

Über tausend Katholiken sind im letzten Jahr aus der Schwyzer Landeskirche ausgetreten. Alleine in Einsiedeln beträgt der Verlust nahezu hundert. Auch die Zahl der Reformierten sinkt unermüdlich – nicht nur kantonsweit, sondern neuerdings ebenfalls im Klosterdorf.

MAGNUS LEIBUNDGUT

56 Reformierte sind im vergangenen Jahr in Einsiedeln aus der Kirche ausgetreten – so viele wie noch nie in der Geschichte der reformierten Kirchgemeinde Einsiedeln. Insgesamt zählt diese 2020 über dreissig Mitglieder weniger als im Vorjahr. Damit wird ein seit Jahren andauerndes Wachstum der Kirchgemeinde abrupt beendet.

«Ins Gewicht fällt, dass immer mehr Neuzuzüger in Einsiedeln bereits aus der Kirche ausgetreten sind, wenn sie ins Klosterdorf zügeln», erklärt Urs Jäger, Pfarrer in der reformierten Kirchgemeinde Einsiedeln, die Gründe für einen Kirchenaustritt: «Hinzu kommt, dass wir den Steuerfuss wegen des Kirchenumbaus angehoben haben und jetzt auf demselben Niveau sind wie die Einsiedler Katholiken. » Es komme vor, dass Leute aus rein ökonomischen Gründen der Kirche den Rücken kehren würden.

Übergriffe mit Folgen

Eine Rolle bei den Austritten könne auch die Zusammenführung eines lockeren Kirchenbundes zu einer straff geführten nationalen reformierten Kirche spielen, führt Jäger aus: «Der unterdessen zurückgetretene Kirchenpräsident Gottfried Locher ist sehr ambitioniert gestartet und hat die Gründung der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) vorangetrieben.» Locher wollte die reformierte Kirche «sichtbar machen» – allerdings sei der Schuss nach hinten losgegangen, moniert Jäger: «Sichtbar geworden sind dann vor allem die Negativschlagzeilen der reformierten Kirche.» Damit habe die Kirche ihren Sympathiebonus verspielt, den sie in der Bevölkerung in früheren Zeiten gehabt habe. «Mit dieser Umstrukturierung hat sich die reformierte Kirche ein Eigengoal geleistet, das nicht goutiert wird», schildert der Pfarrer: «Nun sieht es fast so aus, wie wenn Übergriffe auch in der reformierten Kirche an der Tagesordnung wären, was man ja wirklich nicht sagen kann.» Aus der Not geboren

Nichtsdestotrotz stellt Jäger mit Freude fest, dass Neuzuzüger ein grosses Interesse am Kirchenleben zeigen und sich engagieren würden: «Ironie des Schicksals ist, dass aus einer coronabedingt krisenhaften Zeit auch etwas Positives heranwachsen kann.» Das Coronavirus habe dazu geführt, dass die Kirchgemeinde der Not gehorchend ihre Online-Angebote mit Video- und Whatsapp-Gottesdiensten ausgebaut habe. «Die Verlagerung in das Virtuelle sorgt dafür, dass die Schwelle für eine Kontaktaufnahme gesenkt wird», erzählt Jäger: «Neuzuzüger sind dank des elektronischen Weges viel eher in der Lage, sich bei uns zu melden und Beziehungen zu knüpfen.» Musik spielen trotz Singverbot

Not macht erfinderisch: «Wenn Singen in der Kirche wegen des Virus nicht mehr möglich ist, bilden wir einfach virtuelle Chöre», sagt Jäger: «So geht am Sonntag ein Hausmusik-Gottesdienst über die Bühne – analog in der Kirche und gleichzeitig digital via Whatsapp.» Die Leute können selber eine auf der Gitarre vorgegebene Grundtonspur bespielen – für den Gottesdienst werden dann die Stimmen zusammengeschnitten.

Jäger befürchtet nicht, dass der Geist einer Volkskirche wegen den überhandnehmenden Austritten verloren gehen könnte: «Auch wenn es immer mehr Leute gibt, die grundsätzlich nichts mit der Kirche am Hut haben, bleibt ein gesellschaftlicher Auftrag der Kirche erhalten.» Die Kirche müsse auch in Zeiten sinkender Mitgliederzahlen für alle Menschen da sein.

Der Pfarrer führt ins Feld, dass Einsiedeln sehr ländlich geprägt sei: «Das Land hat im Gegensatz zur Stadt den Vorteil, dass die Leute eher noch einen Zugang zur Kirche haben.» Dementsprechend sinken die Mitgliederzahlen hierzulande auch nicht so stark wie in städtischen Agglomerationen, in denen Kirchgemeinden aufgrund der Austrittswelle bisweilen ökonomisch an ihre Grenzen kommen.

Für die sinkenden Mitgliederzahlen in der katholischen Schwyzer Kantonalkirche macht Lorenz Bösch unter anderem eine negative Bilanz aus der Binnenwanderung verantwortlich: «Es wandern im Verhältnis mehr Katholiken in andere Kantone aus als nach Schwyz zu», erklärt der Präsident der katholischen Kantonalkirche. Eine Sexualmoral, die abstösst

Hinzu komme, dass die internationale Einwanderung aus katholischen Ländern nicht mehr dieselbe Rolle spiele wie etwa noch in den 70er-Jahren: «Es wandern weniger vorwiegend katholische Portugiesen, Polen, Kroaten und Italiener in den Kanton Schwyz ein als in früheren Zeiten», führt Bösch aus.

Weil aus der Kirche Austretende den Austritt nicht begründen müssen, könne man über die Austrittsgründe nur spekulieren, wirft Bösch ein: «Einerseits gibt es unterdessen viele Kirchenferne, die austreten, weil sie die Bindung zur Kirche verloren haben.» Teilweise würden auch finanzielle Gründe eine Rolle spielen: Man spart die Kirchensteuern ein. «Auch die Turbulenzen rund um das Bistum Chur haben wohl einige dazu bewogen auszutreten », meint Bösch: «Missbrauchsfälle in der Kirche, das Zölibat, die katholische Sexualmoral, die Haltung zur Homosexualität und eine fehlende Frauenordination sind wohl teilweise auch von Bedeutung.» Trotz der Säkularisierung in der Gesellschaft sei allerdings die Suche des Menschen nach Spiritualität eine Chance für die Kirche, wenn es gelingt, diese Leute anzusprechen, gibt Bösch zu bedenken: «Eine Kirche im Wandel kann die Menschen wieder anziehen.» Die Kirche müsse darauf achten, die Menschen in ihrer Zeit zu begleiten. Just der neue Bischof in Chur, Joseph Bonnemain, wolle den Menschen und nicht die Kirche ins Zentrum stellen, führt der Kirchenpräsident aus.

Kann die Schwyzer Kantonalkirche die Austrittswelle stoppen? «Eine Kantonalkirche ist diesbezüglich nur begrenzt handlungsfähig», konstatiert Bösch: Die Kirchgemeinden und die Kantonalkirche seien in erster Linie dafür verantwortlich, die Finanzierung der kirchlichen Infrastrukturen und die Bedürfnisse der Seelsorge sicherzustellen.

So finanziere die Kantonalkirche beispielsweise zusammen mit den andern Kantonalkirchen die Präventionsmassnahmen gegen Verletzungen der körperlichen und seelischen Integrität der Menschen in der Kirche und über die RKZ die historische Aufarbeitung des Missbrauchs in der katholischen Kirche in der Schweiz. «Es freut mich, dass wir mit Peter Camenzind einen umsichtigen, ruhigen, zuvorkommenden und menschenfreundlichen Generalvikar erhalten», sagt Lorenz Bösch. Leute treten aus wegen Geld

318 Mitglieder weniger zählt die reformierte Schwyzer Kantonalkirche 2020 im Vergleich zum Vorjahr. Kirchenaustritte sind schweizweit und religionsübergreifend ein Thema, auch in den Kirchgemeinden im Kanton Schwyz und besonders in der Ausserschwyz in der Höfe und der March.

«Ein möglicher Grund für einen Austritt kann auch darin gesehen werden, dass Leute Steuern sparen wollen», sagt Heinz Fischer, Präsident des Kirchenrats der Kantonalkirche: «Personen treten aus der Kirche aus, wenn sie keinen Bezug zur Institution Kirche und zu Vertretern der Kirche haben.» Für den Kirchenrat der Kantonalkirche sei die Entwicklung der Mitgliederzahlen aber kein Grund, in Panik zu verfallen: «Menschen, die vielleicht unzufrieden sind mit einer kirchlichen Dienstleistung, aber den Bezug behalten, treten nicht aus», stellt Fischer fest: «Wir beobachten weiterhin einen funktionierenden, intensiven Dialog zwischen den Mitgliedern und den Pfarrpersonen und Diakonieverantwortlichen und auch eine stabile Zahl an Gottesdienstbesuchern in den einzelnen Kirchgemeinden – und dies dem Coronavirus zum Trotz.» Der Bezug zur Kirche fehlt «Unabhängig von der Entwicklung der Mitgliederzahlen sind wir mit der Strategiekommission durch detaillierte Gespräche und Debatten daran, die Organisation der Kirche und die Strukturen zu würdigen und zu erneuern», konstatiert der Kirchenratspräsident: «Auf die Synode im November 2021 werden diesbezüglich die entsprechenden Weichen gestellt für die nächsten drei Jahre.» «Die katholische Kirche wird in den Medien immer wieder sehr negativ dargestellt», sagt Albert Schönbächler: «Just derlei Missbrauchsgeschichten wie aktuell im Bistum Köln veranlassen die Leute, der Kirche den Rücken zu kehren.» Auch im fehlenden Bezug zur Kirche ortet der Präsident der katholischen Kirchgemeinde Einsiedeln einen wesentlichen Grund für einen Austritt: «Gerade jüngere Leute sind kaum noch mit der Kirche verbunden. » Eigentlich läge es an den Eltern und Paten, den christlichen Glauben an ihre Kinder weiterzugeben. «Doch viele Eltern fühlen sich in diesen Zeiten nicht mehr verpflichtet, ihre Kinder aktiv in einem christlichen Geist zu erziehen», moniert Schönbächler.

«Die reformierte Kirche hat ihren Sympathiebonus verspielt, den sie früher gehabt hat.»

Urs Jäger, Pfarrer reformierte Kirchgemeinde Einsiedeln

«Die katholische Kirche wird in den Medien immer wieder sehr negativ dargestellt.»

Albert Schönbächler, Präsident katholische Kirchgemeinde

Die Kirchen leeren sich dramatisch. Auch in der Kirchgemeinde Einsiedeln ist ein deutlicher Aderlass spürbar. Foto: Magnus Leibundgut

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