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Wie die Vogelwelt am Sihlsee zum Leben erwacht

Wie die Vogelwelt am Sihlsee  zum Leben erwacht Wie die Vogelwelt am Sihlsee  zum Leben erwacht

Noch herrscht tiefer Winter in Einsiedeln, Eiszeit im Bezirk. Doch bereits machen sich die Wasservögel am Sihlsee auf zum Brüten – unter der Beobachtung des Wildhüters Matthias Oechslin aus Einsiedeln.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Vom Winde verweht und von heftigem Schneetreiben begleitet macht sich Matthias Oechslin mit seinem Jeep auf den Weg an den Sihlsee: Eine Inspektion über die Wasservogelwelt rund um den See ist angesagt. Denn bereits regt sich Leben am Sihlsee: Es erwacht aus dem Winterschlaf. Tatsächlich sind an diesem verschneiten Morgen, am Sihlsee liegen dreissig Zentimeter Neuschnee, zahlreiche Wasservögel unterwegs.

Dabei hat das Jahr nicht gerade vielversprechend angefangen: An einer Wasservogelzählung am Sihlsee wurden im Januar exakt null Wasservögel gezählt. «Das ist nicht wirklich aussergewöhnlich und ist in früheren Jahren öfters vorgekommen », erklärt Oechslin das vollständige Fehlen von Wasservögeln am Sihlsee: «In diesem Januar war es sehr kalt, so ist der See zugefroren.» Dementsprechend sind die Vögel an andere Standorte ausgewichen – etwa auf Fliessgewässer oder an den Zürichsee.

Ein Kormoran am Sihlsee

An unserer Vogelschau kommt uns manche Ente vor den Feldstecher: Wir beobachten Stockenten, Taucherli, Tafelenten und Gänsesäger sowie Reiherenten. Und dann ist es so weit: Wir sind Augenzeugen, wie ein Kormoran startet und es bei seinem Flug knapp aus dem Wasser schafft.

«Kormorane sind in den vergangenen Jahren vermehrt am Sihlsee anzutreffen», schildert der Wildhüter: «Kormorane gehören zu den Tierarten, die vom Klimawandel profitieren. Die Kormoranbruten in der Schweiz steigen kontinuierlich an.» Der Sihlsee gilt als fischreich, dementsprechend reiche Beute findet der Raubvogel. «Gerade am Zürichsee kommt es vermehrt zu Konflikten, da die Kormorane der Berufsfischerei die Beute streitig machen», sagt Oechslin.

Was dem Wildhüter zunehmend Sorgen macht: Der Wassersport kann die Fisch- und Vogelwelt empfindlich stören. «Zum Beispiel Standup-Paddler können brütende Vögel stören, wenn sie zu nahe ans Ufer fahren und in die Schilfgürtel fahren.» Oechslin beobachtet grundsätzlich eine überhandnehmende Freizeitgestaltung, die sich vermehrt draussen abspiele: «Das führt zu Störungen von Fauna und Flora. Viele Leute treiben draussen Sport – was grundsätzlich zu begrüssen ist. Wir nutzen denselben Raum und dadurch auch den Lebensraum der Wildtiere » Vor allem seit dem coronabedingten Lockdown sei diese Zunahme sehr deutlich erkennbar.

Hunde gehören an die Leine Bekannt ist auch, dass sich in Zeiten von Corona viele Leute einen Hund oder eine Katze gekauft haben. Prompt begegnet ns auf unserer Stippvisite rund um den Sihlsee eine Spaziergängerin mit ihrem Hund – vorbildlich angeleint. «Im Kanton Schwyz haben wir eine gesetzliche Hundeleinepflicht», führt der Wildhüter aus: Allerdings würden sich nicht immer alle Hundehalter an das Gesetz halten und ihr Tier frei laufen lassen.

Mit Folgen: Die freilaufenden Hunde könnten das Wild in den Wäldern und die Vögel am Ufer des Sihlsees aufscheuchen. «Es ist oft so, dass die Hunde die Tiere gar nicht jagen wollen», erklärt Oechslin: «Der Spieltrieb der Hunde geht oftmals mit ihnen durch.» Allerdings sei der Effekt dieses «Nur-spielen-Wollens» genauso verheerend wie das Jagen: Die Tiere werden aufgescheucht und in die Flucht geschlagen. «Die Tiere schätzen das Aufscheuchen als sogenanntes Prädatoren- Risiko ein und flüchten», erläutert der Wildhüter.

Insektensterben im Fokus Die Vogelwelt plagen wiederum noch ganz andere Sorgen: Seit Jahren findet ein Insektensterben statt. «Die Gründe dafür sind sehr vielfältig. Daher weist das Insektensterben je nach Region unterschiedliche Ausmasse auf», berichtet Oechslin. Dass dem so sei, könne einfach festgestellt werden. «Wer in früheren Jahren sommers mit dem Auto unterwegs war, der hatte die Frontscheibe voll mit Insekten. Das ist heutzutage viel weniger der Fall.» Das Thema «Insektensterben » beschäftigt derweilen auch die Politik. Das BAFU hat dazu 2019 einen interessanten Bericht verfasst. Weil sich Vögel hauptsächlich von Insekten ernähren, kann sich das Insektensterben auf die Vogelwelt katastrophal auswirken.

Derzeit kehren die Vögel zurück aus dem Süden. Doch in den letzten Jahrzehnten sind viele verschwunden. Der Vogelzug ist im Wandel. Wissenschaftler sprechen vom Rätsel der 420 Millionen fehlenden Zugvögel in Europa. Zwar kann dies Oechslin im Bezirk Einsiedeln noch nicht beobachten, da das Gebiet zu kleinräumig sei, um eine konkrete Aussage zu machen.

Die Spezialisten der Vogelwarte haben unter anderem festgestellt, dass sich in den unterschiedlichen Lebensräumen der Vögel ein differenziertes Bild zeige. So würden im Kulturland die Verluste weitergehen. Im Wald und in den Feuchtgebieten zeigt sich eine positive Entwicklung. Allerdings weisen noch immer viele Arten sehr kleine Bestände auf und sind bedroht. Im Einsatz für die Vogelwelt

«In der Region wird für die Vögel sehr viel gemacht», stellt der Wildhüter fest: «So wird bei diversen forstlichen Eingriffen Rücksicht auf die Vögel im Lebensraum Wald genommen.» Weiter würden sich die Landwirte aus der Region vorbildlich in lokalen Vernetzungsprojekten und mit Aufwertungsmassnahmen für den Lebensraum Kulturlandschaft und Feuchtgebiete engagieren.

Auf der Tour rund um den Sihlsee begegnen uns Gartenrotschwanz, Amseln, Spatzen, Raben, Krähen und Rotkehlchen. Häufiger zu sehen sind auch der Rotmilan und der Mäusebussard, mitunter vereinzelt auch ein Eisvogel.

«Zu beobachten im Bezirk Einsiedeln sind zudem der Auerhahn und die Birkhenne», konstatiert der Wildhüter: Es gebe Vogelarten, die vom Klimawandel profitieren würden. Zum Beispiel Vögel, die dank der Erwärmung nicht mehr darauf angewiesen seien, winters in den Süden zu ziehen. Und auf den Vogelzug verzichten würden. Keine schlechte Idee angesichts dessen, dass der Vogelzug so gefährlich geworden ist in diesen Zeiten.

Der April macht, was er will: Derzeit präsentiert sich der Sihlsee hochwinterlich. Immerhin ist der See eisfrei – zur Freude der Vögel, die gerne im trüben Wasser fischen. Fotos: Magnus Leibundgut

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